Es ist besser, eine „Pussy“ zu sein, als „Balls“ zu haben – Warum wir uns endlich von alten Klischees befreien müssen

Als ich wegen meiner unverschämt schmerzhaften Periode verkrampft im Bett lag, fühlte ich mich, als wäre ich für ein Verbrechen bestraft, das ich nicht begangen habe. In solchen Momenten ist es äußerst schwierig zu glauben, dass die Natur weiß, was sie tut: PMS, PMDS, Blutungen, Menstruationsschmerzen, schmerzhafter Sex, fehlender Orgasmus und natürlich der brutale Prozess der Geburt fallen auf eine Gruppe von Menschen zurück – Frauen*.

Wenn alles, was Frauen erleben, so natürlich ist, dann ist die Misogynie wirklich in der Natur kodiert. Oder Gott ist ein verf*ckter Frauenhasser. 

Was noch schlimmer ist als die oben genannten weiblichen Symptome, ist, dass sie alle als natürlich interpretiert werden. Wenn alles, was Frauen erleben, so natürlich ist, dann ist die Misogynie wirklich in der Natur kodiert. Oder Gott (welcher auch immer) ist ein verf*ckter Frauenhasser. Welche Theorie wir auch immer glauben, beide rechtfertigen die Existenz des Patriarchats als unvermeidliche Form der sozialen Organisation der Gesellschaft. 

Natürliche weibliche Probleme

Und wenn irgendetwas von dem, was ich geschrieben habe, auch nur annähernd der Wahrheit entspräche, wäre ich bereits die jüngste Nobelpreisträgerin, die eines der großen Rätsel der Menschheit gelöst hat, nämlich warum Frauen so viel Pech haben. Aber schmerzhafte Menstruation, fehlender Orgasmus, Mystifizierungen der Geburt und all die anderen natürlichen, weiblichen Probleme sind eher das Ergebnis der schrägen Geschlechterdynamik als die Geißel Gottes.

Schmerzhafte Menstruation, fehlender Orgasmus, Mystifizierungen der Geburt und all die anderen natürlichen weiblichen Probleme sind eher das Ergebnis der schrägen Geschlechterdynamik.

Oder, wie es aktuell genannt wird: ein soziales Konstrukt. Ein Begriff, den wir oft hören, aber nicht immer ganz verstehen. Es braucht eigentlich nicht viel zu verstehen, außer, dass, was einmal vom Menschen geschaffen wurde, auch mehrfach verändert werden kann. Der Menstruationsschmerz wurde nicht vom Menschen erschaffen, aber wir können ihn reduzieren, beseitigen, die Lebensqualität anderer verbessern, indem wir die Tatsache akzeptieren, dass das Leiden Menstruierender nicht natürlich ist.

Der Archetypus der leidenden Frau 

Ein Beispiel dafür ist die Diagnose der Endometriose, die in Deutschland durchschnittlich acht Jahre dauert. Niemand stirbt an Endometriose, aber zusammengerollt in einem Kokon zu liegen, bewusstlos zu sein, regelmäßig operiert zu werden oder keine Kinder bekommen zu können, gehört zum Leben eines an Endometriose erkrankten Menschen. Es gibt keine Heilung für diese Krankheit, weil niemand forscht. Niemand forscht, weil niemand die Forschung finanziert. Niemand finanziert sie, weil sie eine „Frauensache“ ist. Und “Frauenprobleme” werden traditionell auf dieselbe Weise behandelt: durch stilles Leiden. Denn die leidende Frau ist ein kultureller Archetypus, der es verdient, in die UNESCO aufgenommen zu werden.

„Frauenprobleme“ werden traditionell behandelt durch stilles Leiden. Die leidende Frau ist ein kultureller Archetypus, der es verdient, in die UNESCO aufgenommen zu werden.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass Epilierstudios nicht schließen müssen, sondern große Popularität genießen. Das Waxing der Bikinizone ist wie ein Spaziergang am Meer bei einer leichten Sommerbrise im Vergleich zu den vielen natürlichen Schmerzen, die im Leben einer Frau existieren, ohne eine Möglichkeit sie zu beseitigen. Und obwohl Frauen statistisch gesehen etwa die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, scheinen Investitionen in die Verbesserung ihrer Lebensqualität immer noch unrentabel.

Dies ist auf Einstellungen zurückzuführen, die auf überholten politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Traditionen beruhen, die Frauen nicht mit Geld in Verbindung bringen. Sehr oft werden sie nicht einmal mit Menschen in Verbindung gebracht, denn der Prototyp eines Menschen ist ein weißer, heterosexueller Mann aus der Mittelschicht, nach dem angeblich die Lebensqualität aller Menschen verbessert wird. 

„Unsichtbare Frauen“

In Wirklichkeit wird nur die Lebensqualität einer Gruppe besser. Ein solches Beispiel ist der so genannte Crashtest, bei dem die Sicherheit eines Autos für Fahrer:innen mit Hilfe einer Crashtest-Dummys getestet wird, die die menschliche Anatomie nachbildet. Der für die Sicherheitstests in den USA und Europa verwendete Prototyp ist 175 cm groß und 78 kg schwer, also ein prototypischer Mann.

Die Datenlücke in Bezug auf die Sicherheit für Frauen im Auto führt zu einer traurigen Statistik: Frauen haben ein deutlich höheres Risiko, bei einem Autounfall verletzt zu werden als Männer. Bis heute sind Hersteller nicht gesetzlich verpflichtet, die Sicherheit von Autos mit Dummys zu testen, die der weiblichen Anatomie entsprechen.

Frauen haben ein deutlich höheres Risiko, bei einem Autounfall verletzt zu werden als Männer. Bis heute sind Hersteller nicht gesetzlich verpflichtet, die Sicherheit von Autos mit Dummys zu testen, die der weiblichen Anatomie entsprechen. 

Es ist kaum zu glauben, aber die private Initiative zur Einführung dieser Praxis kam erst letztes Jahr, d. h. 2022, zustande, als die schwedische Wissenschaftlerin Astrid Linder die erste weibliche Dummy der Welt namens Eva schuf. Ich könnte noch mehrere Seiten, wenn nicht ein ganzes Buch, über solche Beispiele schreiben

Die britische Journalistin Caroline Criado Perez hat dies bereits getan. Ihr Buch heißt „Unsichtbare Frauen: Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“. Ich bin sehr überrascht über die Empörung darüber, welche Rechte Frauen noch immer fehlen. Unser alltägliches Leben ist voll von Narrativen geprägt, die wir bewusst bzw. unbewusst reproduzieren, obwohl sie nicht der Realität entsprechen.

Von starken Vaginas und schwachen Eiern

Als Linguistin fällt mir schnell auf, was wir sagen und wie wir es sagen. Und wir reden eine Menge Unsinn, wie zum Beispiel, Frauen dafür zu loben, dass sie balls haben, und Männer dafür zu beschämen, dass sie eine pussy sind. Das ist aus einer Million Gründen Unsinn.

Die soziologischen Gründe lassen sich schnell zusammenfassen: Es ist einfach eine klassische Geschlechterdiskriminierung. Ich möchte jedoch hier auf die biologischen Gründe eingehen und auf die Tatsache, dass deren Nichtbeachtung zu komischen Situationen führt. In dem Fall wird das möglicherweise schwächste menschliche Organ mit geistiger Stärke verglichen. Man muss keine medizinische Expertin sein, um das Offensichtliche zu erkennen: Die so genannten balls, die von außen schlecht geschützt sind, sind ziemlich verletzlich und empfindlich.

Die Vagina befindet sich im Inneren des Körpers und ist daher schwieriger zu erreichen und weniger verletzbar.

Die Vagina hingegen befindet sich im Inneren des Körpers und ist daher schwieriger zu erreichen und weniger verletzbar. Sie ist äußerst elastisch und muskulös, was bedeutet, dass sie eine echte physische Stärke besitzt und ziemlich anpassungsfähig ist. Das ist nicht verwunderlich, denn, wenn man bedenkt, dass ein lebender Mensch durch die Vagina gepresst wird, was an sich schon beeindruckend sein sollte.

Aber da es als natürlich und selbstverständlich betrachtet wird, sind noch andere Argumente nötig. So gibt es aufgrund des natürlichen Geburtsvorgangs nicht so viele Nervenpunkte in der Vagina, wie man gemeinhin annimmt. Sonst wäre der schwer auszuhaltende Schmerz überhaupt nicht zu ertragen. Die Vagina ist also aus logischen Gründen nicht das empfindlichste Organ der Frau.

Der Mythos vom vaginalen Orgasmus

Und so haben wir endlich einen Ort gefunden, an dem Frauen nicht allzu viele Gefühle zeigen – die Vagina. Paradoxerweise werden sie genau dafür wieder bestraft, denn die Schwierigkeit, beim vaginalen Sex zum Orgasmus zu kommen, wird häufig auf psychische und/oder physische Gesundheitsprobleme der Frauen zurückgeführt. Und die Tatsache, dass ein ganz anderes Organ für den Orgasmus der Frau verantwortlich ist, wird einfach ignoriert. Wie Emily Nagoski sagen würde: „In Wirklichkeit lautet die Frage also gar nicht, warum manche Frauen bei vaginaler Penetration keinen Orgasmus haben, sondern warum manche Frauen einen haben!“

„In Wirklichkeit lautet die Frage gar nicht, warum manche Frauen bei vaginaler Penetration keinen Orgasmus haben, sondern warum manche Frauen einen haben!“

Für dieses Narrativ sollten wir in erster Linie Sigmund Freud, dem Erfinder der Psychoanalyse, danken, der den Mythos verbreitete, dass der einzig wahre weibliche Orgasmus vaginal sei. Und obwohl wir heute bereits wissen, dass dies nicht der Fall ist, ist es für eine Frau immer noch oft schwer, zuzugeben, dass sie keinen Orgasmus hatte. Die Gründe für diese Scham liegen auf der Hand: Was Sex sein sollte (wie alles andere im Leben), wird an männlichen Maßstäben gemessen. In diesem Fall bedeutet das, dass der Orgasmus schnell und einfach sein und durch Penetration erreicht werden sollte.

Dabei wird vergessen, dass Männer kein Lebewesen durch ihren Penis auspressen müssen. Daher macht es keinen Sinn, die Physiologie der beiden Körper zu vergleichen. Und doch tun wir es, und zwar oft sehr dilettantisch. Wenn wir schon so scharf darauf sind, die emotionale Stärke oder Verletzlichkeit eines Menschen mit den Geschlechtsorganen zu vergleichen, dann sollten wir es wenigstens sachlich korrekt tun. Loben wir, indem wir sagen: „Er/sie hat eine starke Vagina!“ oder kritisieren wir: „Er/sie hat keine Eier!“

Böse Penisse und die Sexualisierung menschlicher Körper

Die negativ konnotierten Genitalmetaphern haben auch das Männliche betroffen. Der englische Ausdruck „He‘s a dick“ bezieht sich auf einen Mann, der sich nicht benimmt und wegen seines Verhaltens als Schwanz bezeichnet wird. Dieser Vergleich eines schlechten Mannes mit einem Schwanz impliziert, dass der Penis an sich böse ist.

An dieser Stelle komme ich nicht umhin, eine Szene aus der zweiten Staffel von „The White Lotus“ zu kommentieren, in der Männer drei Generationen einer Familie an einem Tisch saßen und das aktive Sexualleben des Ältesten kritisierten. Einem Jüngeren zufolge sollte keine Frau den Penis eines 80-jährigen Mannes sehen. Die Antwort des Opas war einfach: „Ein Penis ist kein Blick auf den Ozean. Da gibt es nichts zu sehen, egal wie alt er ist“.

Wir leben in einer Welt, in der der menschliche Körper ständig sexualisiert wird: Von Hintern, Bauch, Brüsten bis hin zu Penis und Vulva prägen wir den menschlichen Körper in eine Norm, in der er rund um die Uhr objektiv begehrenswert sein muss. 

Damit hat er eine offensichtliche Wahrheit angesprochen, die provokant klingt, weil wir in einer Welt leben, in der der menschlicher Körper ständig sexualisiert wird: Von Hintern, Bauch, Brüsten bis hin zu Penis und Vulva prägen wir den menschlichen Körper in eine Norm, in der er rund um die Uhr objektiv begehrenswert sein muss. Und es sind nicht nur Männer, die das tun. In Anlehnung an die Serie „Sex & The City“ ahmen Frauen die dort gehörten Gespräche nach und diskutieren über die Körper von Männern und den Grad ihrer Begehrlichkeit sehr gerne.

Ich sage bewusst nachahmen, denn ich habe nicht einmal an Gesprächen teilgenommen, die mir nicht authentisch erschienen. Es ist einfach schwer zu verstehen, wie das Gesäß, das sich unter einer Jeans und einem Oversized-Pullover versteckt, so genau beurteilt werden kann, oder nach welchen Kriterien die Schönheit des Penis eingeschätzt wird. Der moderne Sexualdiskurs zwingt uns jedoch dazu, diese Bewertungen vorzunehmen, auch wenn wir uns nicht immer bewusst sind, wofür und wie wir bewerten müssen.

Ich wünschte mir, dass wir unsere Körper mal in Ruhe lassen, ohne ihnen unsere eigenen Eigenschaften zuzuschreiben und unrealistische Erwartungen an sie zu stellen. Sie haben im Laufe des Tages schon genug harte Arbeit zu leisten.

Aus dieser kurzen Analyse geht hervor, dass wir dazu neigen, unsere Körper nicht nur zu unterschätzen, sondern ihnen auch eine übermäßige Bedeutung beizumessen. Die Folgen davon sind divers, wie zum Beispiel, Männer, die sich um die Größe ihres Penis sorgen (obwohl wir alle schon lange wissen, dass es nicht auf die Größe oder gar den Penis ankommt) oder Frauen, die sich um die Form ihrer Vulva sorgen (obwohl niemand weiß, wie sie wirklich aussehen soll).

Ich wünschte mir, dass wir unsere Körper mal in Ruhe lassen, ohne ihnen unsere eigenen Eigenschaften zuzuschreiben und unrealistische Erwartungen an sie zu stellen. Sie haben im Laufe des Tages schon genug harte Arbeit zu leisten.

*Disclaimer: Im Text ist von „Frauen“ und „Männern“ die Rede. Dabei wird Geschlecht in erster Linie als eine soziale Konstruktion verstanden. Es ist der Autorin und der Redaktion an dieser Stelle wichtig, anzumerken, dass es auch Menschen ohne Vulva und Vagina gibt, die Frauen sind, sowie es Menschen ohne Penis gibt, die Männer sind.

Dzordana kommt aus Litauen und wohnt in Berlin. Derzeit promoviert sie in Baltistik, mit Fokus auf Linguistik, Kommunikationswissenschaft und Gender Studies. Mit Frauen- bzw. Geschlechterthemen beschäftig sie sich seit Langem und schreibt und publiziert seit mehreren Jahren, vor allem auf Litauisch. Mehr von ihr lest ihr hier.

Headerfoto: Roberto Hund (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Foto der Autorin: juratephoto

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