Die Situation: Du, eine junge Frau, bist abends im Dunklen nach der Arbeit oder nachts nach dem Feiern alleine auf dem Heimweg. Du hast Kopfhörer drin, hörst deine Lieblingsmukke zum Entspannen oder willst die frische Nachtluft nach dem stickigen Club genießen. Eigentlich alles cool – eigentlich, denn du bist eine Frau und es ist dunkel.
Das Gefühl: Obwohl grade niemand auf der Straße ist, hast du ein mulmiges Gefühl. Du hältst das Handy in der einen, deinen Schlüssel in der anderen Hand. Nur zur Sicherheit. Denn es könnte ja sein, dass jederzeit ein Mann oder eine Gruppe Männer auftaucht und dich anquatscht oder Schlimmeres. Man muss eben vorsichtig sein – denkst du.
Wie oft haben es dir deine Eltern gesagt. Wie oft haben Medien gezeigt, dass die Nacht ein unsicherer Raum für Frauen ist. Wie oft haben Seiten bei Instagram darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen nachts in Gefahr sind und wie viele Mädchen und Frauen haben dann von ihren schlimmen Erlebnissen berichtet.
Du hältst das Handy in der einen, deinen Schlüssel in der anderen Hand. Nur zur Sicherheit.
Du gehst also weiter, aber „entspannen“ oder „genießen“ kannst du nicht. Und dann kommt eine Person – dort am anderen Ende der Straße. Sie geht langsam in deine Richtung. Dein Puls steigt, deine Alarmbereitschaft auch. „Es könnte ja eine Frau sein“, versuchst du dich zu beruhigen. Einige Meter trennen euch noch, aber du kannst schon erkennen: Es ist ein Mann. Du merkst, wie du panisch wirst, wie du dein Handy und deinen Schlüssel zurechtrückst. Bereit zum Gegenangriff. Bereit zur Flucht. Bereit, Hilfe zu holen.
Die statistisch am wahrscheinlichsten eintretende Realität: Noch ein paar Sekunden und er ist auf deiner Höhe. Und plötzlich … Geht er an dir vorbei. Das war’s. Er hat dich nicht mal angesehen.
Die Faktenlage
In Deutschland werden jährlich etwa 6 Millionen Straftaten registriert. Die Dunkelziffer, also die Straftaten, die nicht angezeigt oder entdeckt werden, ist wohl drei Mal so hoch. Von den also ca. 18 Millionen Straftaten im Dunkelfeldbereich sind 3,5% Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen. Davon geschahen allerdings 2,6% der Fälle im häuslichen Bereich – also in den eigenen vier Wänden. Täter der Delikte sind zu 76% die eigenen Ehemänner oder Lebenspartner der Opfer.
Damit verbleibt eine Wahrscheinlichkeit von 0,9% für einen Übergriff auf offener Straße. Dies betrifft aber die Dunkelfeldkriminalität – statistisch also die Häufigkeit, wie oft so etwas generell passiert. Im Hellfeld sind es lediglich 0,3%. Diese Zahl ist jedoch deshalb trügerisch, da das Hellfeld ja vom Anzeigeverhalten der Opfer abhängig ist und viele Frauen diesen Schritt aus verschiedenen Gründen gerade nicht gehen.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass, wenn einem eine Straftat wiederfährt, die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um einen sexuellen Übergriff auf offener Straße handelt bei unter einem Prozent liegt. Führt man sich dann noch vor Augen, dass die ganz überwiegende Tätergruppe von Sexualdelikten aus dem näheren Umfeld des Opfers stammt, kann dies hoffentlich dazu beitragen, dass wir Frauen nachts etwas ruhiger unterwegs sein können.
Dumme Anmachen und Catcalling
Von der tatsächlichen Straftat zu trennen sind allerdings die Begegnungen oder verbalen Annäherungen, die, ohne dass sie strafbar sind, sehr unangenehm sind. Wahrscheinlich hat es jede Frau schon einmal erlebt, dass sie – ob am Tag oder in der Nacht – von einem Mann oder mehreren Männern dumm angemacht wurde.
Natürlich kommt man sich am Tag meistens nicht so hilflos vor wie in der Nacht, denn es sind meistens andere Menschen auf den Straßen unterwegs und falls es zu weiteren Grenzüberschreitungen kommt, gibt es bestimmt irgendwo irgendwen, der zur Hilfe eilen könnte. (So die Idee.) Das sogenannte Catcalling bietet ein weites Feld und reicht von „Hey, wie heißt du, Süße?“ bis zu „Bock auf ficken?“.
… viele Frauen, die Catcalling bereits am eigenen Leib erfahren haben, haben Angst davor, dass weitere und schwerwiegendere Grenzüberschreitungen erfolgen. Dass das zum Glück in den meisten Fällen nicht so ist, zeigen die oben genannten Zahlen.
Jede Art der Kommunikation in diese Richtung ist ein Schritt zu weit und zeigt, dass die Hemmungen sinken. Es ist also verständlich, dass viele Frauen, die Catcalling bereits am eigenen Leib erfahren haben, Angst davor haben, dass weitere und schwerwiegendere Grenzüberschreitungen erfolgen. Dass das zum Glück in den meisten Fällen nicht so ist, zeigen die oben genannten Zahlen.
Vielleicht kann diese Erkenntnis dazu beitragen, dass sich Frauen – gerade in der Nacht – nicht so „ausgesetzt“ fühlen und in jedem fremden Mann einen Feind sehen. Denn zumeist ist er auch nur auf dem Nachhauseweg oder so und möchte dir nichts Böses.
Die Kehrseite der Zahlen
Allerdings gibt es auch eine Kehrseite dieser Zahlen, die bedeuten, dass das Zuhause, was man sich aufgebaut hat und welches eine Sicherheit bieten sollte, die man in der Welt sonst vermeintlich nicht findet, ein so unsicherer Ort ist. Unseren Fokus dürfen wir also eher darauf legen, achtsamer zu sein und bei Verdacht auf häusliche Gewalt in unserem Umfeld Hilfe anzubieten.
Wenn ihr von solchen Taten betroffen seid oder jemanden kennt, der mit solchen Situationen konfrontiert ist, scheut euch bitte nicht, euch damit an zuständige Beratungsstellen in eurer Nähe zu wenden. „Nein“ bedeutet auch in einer Eher oder Beziehung „Nein“.
Anm. d. Red.: Du kannst dich zum Beispiel an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ wenden, Beratungsangebote in deiner Nähe auf www.gewalt-gegen-frauen.de finden, zur Polizei gehen oder die Polizei anrufen und dich hier über alle Gewaltformen im Netz informieren. Du bist nicht allein.
Headerbild: Ivana Cajina via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Naja, angeblich tragen auch nur weniger als 1% der Frauen hochgradige Geburtsverletzungen davon. Ich bin diese Eine von Hundert.
1% trifft dich schnell.
Beruhigt mich jetzt nicht.