Gleichheit, Freiheit und Menschlichkeit – Was Feminismus für mich persönlich bedeutet

Feminismus bedeutet für mich in erster Linie Gleichheit. Gleichheit für alle Menschen unabhängig von ihrer Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexuellen Orientierung. Egal ob arm oder reich, dick oder dünn, groß oder klein, beeinträchtigt oder besonders begabt.

Woher nehme ich meine Gedanken?

Alle Menschen haben in meinen Augen die gleichen Rechte verdient. Die gleichen Chancen im Leben und ihrem Alltag. Leider ist das bis dato nicht der Fall. Weder Frauen* noch Mitglieder der LGBTQ-Community, People of Color oder beeinträchtige Personen genießen in Deutschland, geschweige denn weltweit, dieselben Privilegien.

Alle Menschen haben in meinen Augen die gleichen Rechte verdient. Die gleichen Chancen im Leben und ihrem Alltag.

Schuld ist zum einen das Patriarchat, welches einen heterosexuellen Normativ vorgibt und in erster Linie dem weißen cis Mann zugutekommt. Ein Tag aus seiner Perspektive muss ein leichter Tag sein.

Zumindest leichter als für manch eine Frau*, die sich nachts auf dem Nachhauseweg immer noch fünfmal umschaut und mit dem Haustürschlüssel in der Faust und Handy am Ohr durch die Straßen läuft. Leichter als für eine Person of Color, die bei jeder Polizeikontrolle davon ausgehen kann, als erste oder sogar einzige kontrolliert zu werden.

Gleichheit, Freiheit und Menschlichkeit

Gleichheit, Freiheit und Menschlichkeit. Das sind wohl die Grundwerte, die ich meinem Feminismus zuordne. Natürlich ist es dafür nötig, dass wir weiterhin bestehende diskriminierende Strukturen in unserem Alltag aufdecken und im besten Fall zerstören, bzw. durch neue ersetzen. Allerdings darf Mensch hierbei auch nicht vergessen, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel nicht von heute auf morgen vollzieht.

Ein Beispiel: Meine Eltern sind in den 60ern geboren und von einer Generation aufgezogen worden, die den Krieg miterlebt hat und selbst extrem konservativen gesellschaftlichen Vorstellungen unterworfen war. Wir sind eben die Produkte unserer Eltern und sie waren, in den meisten Fällen, unsere ersten Vorbilder, weswegen wir ihre Werte und Normen als Maßstab vermittelt bekamen.

Wir sind eben die Produkte unserer Eltern und sie waren, in den meisten Fällen, unsere ersten Vorbilder, weswegen wir ihre Werte und Normen als Maßstab vermittelt bekamen.

Daher ist die Aussage „Feministin ist man“ falsch. Man wird es. Wie das funktioniert? Indem man sich der weiterhin existierenden patriarchalischen Strukturen bewusst wird und aktiv gegen diese vorgeht oder zumindest auf sie verweist.

„Was genau heißt Feminismus? Erstmal ganz wichtig: es gibt nicht den einen Feminismus. Es gibt viele verschiedene Bewegungen und Theorien, die sich für unterschiedliche Themen stark machen und sich teilweise sogar widersprechen. Trotzdem gibt es einen Kern, der wohl alle Feminismen verbindet. Feminismus setzt sich für die Gleichstellung aller Menschen, gegen Sexismus und gegen die Diskriminierung von Frauen ein. […] All das ist durch die Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft oft nicht einfach, oder nicht möglich. Es geht aber auch um eine Haltung und darum, dass sich alle für Gleichberechtigung einsetzen. Das heißt auch, dass Männer mehr teilen müssen – aber eben auch mehr Möglichkeiten bekommen.“ (Quelle/genderdings.de)

Wenn alle gleich sein und gleiche Rechte bekommen sollen, ist es unerlässlich, dass wir alle miteinander kooperieren. Es geht nicht darum, eine neue Machthaberin auszurufen. Schließlich hatten wir Frauen*, nicht nur Frauen*, ja genug unter dem männlichen Pendant zu leiden.

Wenn alle gleich sein und gleiche Rechte bekommen sollen, ist es unerlässlich, dass wir alle miteinander kooperieren.

Jemanden mit den gleichen Waffen zu schlagen ist eben auch nicht die Lösung und Verallgemeinerungen, was Schuldzuweisungen betrifft, ebenso wenig.

Kooperation statt Konkurrenz

Mal davon abgesehen, dass Konfrontation nicht immer der beste Weg ist, um Einsicht beim Gegenüber oder Anteilnahme am eigenen Leid zu erzeugen. Versteht mich nicht falsch: Es geht nicht darum, Opfer zu beschämen oder ihre mitunter schrecklichen Missbrauchserfahrungen oder Erlebnisse sexualisierter Gewalt zu verschweigen – im Gegenteil. Nicht alle Männer* sind Täter, nicht alle Frauen* sind Opfer. Zugegeben: Weitaus mehr Frauen* sind Opfer (gewesen) als Männer*.

Nicht alle Männer* sind Täter, nicht alle Frauen* sind Opfer. Zugegeben: Weitaus mehr Frauen* sind Opfer (gewesen) als Männer*.

Zudem sind Frauen* bis heute in der Wirtschaft und Politik unterrepräsentiert, dafür (Alltags-)Sexismus ausgesetzt und in Familienfragen die erste Ansprechpartnerin, wenn es um die Kinderversorgung geht. Zu wenig Entscheiderinnen also, die sich um die Belange der Bevölkerung oder, auf wirtschaftlicher Ebene, der Arbeitnehmer:innen einsetzen könnten, geschweige denn diese mitgestalten. Ein Beispiel: der Abtreibungsparagraph 218 oder besser gesagt: “Wenn Männer* über die Körper von Frauen* entscheiden.”

Frauen* sind bis heute in der Wirtschaft und Politik unterrepräsentiert, dafür (Alltags-)Sexismus ausgesetzt und in Familienfragen die erste Ansprechpartnerin, wenn es um die Kinderversorgung geht.

Kind oder Karriere? Das sollte eigentlich keine Entscheidungsfrage mehr sein. Es kann nicht sein, dass wir in einem post-industriellen Land im 21. Jahrhundert immer noch 6% weniger Lohn für die gleiche Arbeit zahlen. Egal ob Health-/Orgasm-/Pay- oder Gendergap, es herrschen jede Menge Lücken. Lücken, die es zu schließen gilt. Für alle. 50% der Weltbevölkerung kann eben nur besser, oder genauer gesagt: gerechter, behandelt werden, wenn die anderen 50% mitziehen.

Grenzen setzen kann manchmal schon der Schlüssel sein

Selbstbestimmtheit sollte für jedes Individuum selbstverständlich sein. Denn wer selbstbestimmt ist, lässt sich weniger fremdbestimmen. Klingt vielleicht einfach, ist auch zu einfach. Was ich damit eigentlich sagen will: Für mich ist es wichtig, dass alle Menschen – alle Seelen – sich ihrer Großartigkeit bewusst sind.

Selbstbestimmtheit sollte für jedes Individuum selbstverständlich sein. Denn wer selbstbestimmt ist, lässt sich weniger fremdbestimmen.

Sprache ist Macht! Daher sollte Gendern selbstverständlich und nicht diskutierbar sein. Gleiches Geld für gleiche Arbeit – ebenfalls nicht diskutierbar. Sexismus und sexistische Strukturen gehören aufgedeckt und eliminiert: Hier haben wir (noch) einiges zu tun.

Indem wir Frauen* beispielsweise zu sexuellem Selbstbewusstsein erziehen und weibliche Lust viel mehr in den Vordergrund rücken, anstatt sie zu verstecken, könnten wir eventuell einer gewissen Form von sexuellen Übergriffen vorbeugen – präventiv. Das soll natürlich nicht heißen, dass das Problem damit aus der Welt geschafft wäre. Aber Aufklärung verschafft Wissen und Wissen erzeugt wiederum Macht.

Wer sich mächtig fühlt, gerät weniger in die Bredouille, machtlos zu sein

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir alle für diese Strukturen verantwortlich sind. Nicht bloß das Patriarchat. Wir leben dieses System und unterstützen es, indem wir die Augen verschließen und Narrative, Klischees, Stereotype weitergeben, die wir z.B. bereits in frühester Kindheit vermittelt bekommen – und eigentlich für falsch befunden – haben.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir alle für diese Strukturen verantwortlich sind. Nicht bloß das Patriarchat. Wir leben dieses System und unterstützen es.

Mütter reden ihren Töchtern ein, zurückhaltend, fürsorglich, gütig und angepasst sein zu müssen. Väter vermitteln ihren Söhnen im Gegenzug das Bild des Versorgers, des starken Mannes, der weder weint, noch seine Gefühle nach außen trägt. Das ist jetzt alles recht einfach runtergebrochen, aber der Gedanke dahinter ist eindeutig: Geschlechterrollen bekommen wir bereits mit der Muttermilch serviert und in den ersten Jahren werden wir somit erfolgreich indoktriniert.

Jede:r definiert Feminismus für sich selbst, denn schließlich leidet auch jede:r anders unter den gesellschaftlichen Gegebenheiten. Unter wirtschaftlichen und sexistischen Strukturen gleichermaßen, im Alltag dennoch auf unterschiedliche Art und Weise. Wann mir das bewusst wurde? Als ich feststellte, wie viele Dinge es gibt, die für mich z.B. selbstverständlich sind, aber für andere wiederum nicht.

Mütter reden ihren Töchtern ein zurückhaltend, fürsorglich, gütig und angepasst sein zu müssen. Väter vermitteln ihren Söhnen im Gegenzug das Bild des Versorgers, des starken Mannes, der weder weint, noch seine Gefühle nach außen trägt.

Ein Beispiel: Ich fühle mich selten von cis Männern unterbrochen oder in Gesprächen dominiert. Daher empfand ich Gespräche, egal auf welcher Ebene, selten als unbefriedigend oder hatte gar das Gefühl, den Kürzeren gezogen zu haben. Im Gegenteil: Ich selbst neige öfter dazu, andere Menschen zu unterbrechen. Daher ist diese „Unart“ für mich nicht geschlechtsspezifisch, sondern hat lediglich was mit Gesprächsetikette zu tun. Die musste meine Mutter mir bereits früher „einhämmern“, wenn ich mal wieder zu vorlaut war.

Ich kenne das Gefühl, sich auf dem Heimweg unwohl zu fühlen, allerdings im Vergleich zu anderen Frauen*, mit denen ich gesprochen habe, scheint das Gefühl bei mir nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Zumindest gibt es wenige Strecken, die ich nicht allein bestreiten würde – egal ob nachts oder tagsüber.

Ich kenne das Gefühl, sich auf dem Heimweg unwohl zu fühlen, allerdings im Vergleich zu anderen Frauen*, mit denen ich gesprochen habe, scheint das Gefühl bei mir nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Zumindest gibt es wenige Strecken, die ich nicht allein bestreiten würde – egal ob nachts oder tagsüber.

Als ich damals in der Promo-Branche arbeitete, war ich übelsten sexistischen Degradierungen und Kommentaren ausgesetzt. Meistens überhörte ich diese oder zog denjenigen direkt zur Rechenschaft – je nach Laune! Auch unser Agenturchef blieb dabei nicht von meinen Maßregelungen verschont.

Natürlich ist es mir, wie den meisten Frauen*, bereits passiert, dass ich in der Öffentlichkeit sexuell belästigt wurde. Ein Beispiel hierfür war der Herr, der mir in Köln im Waschsalon eines nachmittags den Weg zum Ausgang versperrte, weil er sich lieber erst einmal einen vor mir runterholen wollte. Schön war das nicht – keine Frage.

Natürlich ist es mir, wie den meisten Frauen*, bereits passiert, dass ich in der Öffentlichkeit sexuell belästigt wurde.

Allerdings erkannte ich in seinem Blick bereits den „Wahnsinn“. Wenn er ein Problem hatte, dann dass er nicht mehr alle beisammenhatte, wie man so schön sagt. Bedroht habe ich mich nicht gefühlt, eher angeekelt und gleichzeitig erleichtert, dass es mich und nicht ein junges Mädchen erwischt hatte.

Darüber hinaus habe ich in einer meiner Beziehungen psychischen Missbrauch und Gewalt erfahren. Aber auch hier lag eine psychische Erkrankung, in dem Fall Depressionen, zugrunde. Ebenso sexistische Strukturen, die sich bereits in der Kindheit meines Expartners manifestiert hatten. Damit will ich sein Verhalten nicht rechtfertigen, dennoch war er zu dem Zeitpunkt krank und seine beiden Suizidversuche attestierten mir seinen geistigen Ausnahmezustand. Er hatte nichts gegen „Frauen“, er hatte in erster Linie was gegen das Leben … sein Leben.

Schlechte Vorbilder, schlechtes Abbild der Gesellschaft

Serien, Filme, Bücher aus den 90er und 2000er Jahren zeigen uns sexistische Strukturen wunderbar auf. Egal ob Californication, Sex and the City, How I met your mother … überall wird ein fragwürdiges Frauenbild transportiert und Sexismus widergespiegelt.

Serien, Filme, Bücher aus den 90er und 2000er Jahren zeigen uns sexistische Strukturen wunderbar auf. Egal ob Californication, Sex and the City, How I met your mother … überall wird ein fragwürdiges Frauenbild transportiert und Sexismus widergespiegelt.

Dennoch kennen die meisten von uns diese Serien und haben sie in ihrer Jugend geschaut. So ist das eben. Ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht sich nicht von heute auf morgen und zu erwarten, dass wir ab jetzt völlig diskriminierungsfrei unterhalten werden, ist meiner Meinung nach etwas utopisch. Klar, ein schönes Endziel – vielleicht sogar das Endziel. Trotzdem ist es noch ein (weiter) Weg bis dorthin.

Verständnis ist das oberste Gebot

Jede:r schaut aus seinem oder ihrem eigenen Fenster und demnach leiden/profitieren wir auch alle unterschiedlich von den derzeitigen gesellschaftlichen Umständen. Verständnis ist das oberste Gebot. Die wenigsten Menschen fügen anderen bewusst Schaden zu.

Eins steht für mich fest: Feminismus ist für alle, mit allen. Gleichheit auf allen Ebenen für alle Menschen, … alle Seelen!

Headerfoto: Tima Miroshnichenko via Pexels. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

NADINE studierte nach dem Abitur an der Universität in Bonn Romanistik (B.A.) und Internationale Geschichte der Neuzeit (M.A.). Mittlerweile lebt sie in Berlin und ist selbstständig als freie Autorin, Speakerin und Model tätig. Auf ihrem Blog und Instagram teilt sie persönliche Erlebnisse aus ihrem Alltag als bisexuelle Frau sowie Vertreterin der LGBTQ-Szene und spricht über alternative Beziehungskonzepte, anhaltende Ungerechtigkeiten im Patriarchat und die gesellschaftliche Rezeption von Bisexualität. Mehr hierzu könnt ihr zudem monatlich in ihrer Kolumne "bi happy" lesen. Als Speakerin kann man sie in verschiedenen Podcasts, darunter ihren eigenen "INTIM" zusammen mit Ben für Eis.de, und bei kleineren TV-Auftritten (Paula kommt!) zu diesen Themen sprechen hören. | Foto der Autorin: Fabian Stuertz.

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