Kurz vor meinem Höhepunkt ist er schon an der Zielgeraden angekommen. Ich schnaufe wütend und rutsche von ihm runter, um festzustellen, dass das wenig bisschen Latex, welches uns beide vor diversen Problemen und Krankheiten schützt, nicht an dem Ort steckt, wo es hingehört. Wütend stampfe ich ins Badezimmer und versuche von zehn runter zu zählen. Einatmen, Ausatmen. Alles ist okay.
Ich stelle fest, dass das wenig bisschen Latex, welches uns beide vor diversen Problemen und Krankheiten schützt, nicht an dem Ort steckt, wo es hingehört.
Die Emotionen, von fünf Jahren erfolgreicher Verdrängung, machen sich breit. Nicht schon wieder. Nicht jetzt. Nicht mit ihm. Mit unserem Bisschen „Beziehung“ geht es eh bergab und jetzt noch dieses Schlamassel. Nicht jetzt. Nicht schon wieder. Nicht mit ihm. Ich vermisse P. Ich vermisse, was wir hatten. Ich vermisse die Liebe.
Ich kehre panisch zurück, erzähle ihm von meinen Ängsten, der Panik, fasse fünf Jahre Unterdrückung zusammen in drei Sätzen und schaue dabei in leere Augen. Er geht, lässt mich in meinem Gedankenchaos alleine. Er verabschiedet sich und ich weiß, es wird unsere letzte Begegnung sein. Ich will ihn zurückrufen. Ihn an mich drücken. Ihn an mich binden. Bitte geh jetzt nicht. Ich brauch dich jetzt.
Die Apothekerin, die ich zwei Stunden später antreffe, panisch und aufgelöst, schickt mich heim mit den Worten, ich solle am nächsten Tag meinen Frauenarzt aufsuchen. Was sie dabei nicht weiß? Ich habe in dieser Stadt keinen.
Angst vor Verurteilung und Ablehnung
Die halbe Nacht liege ich wach. Die andere Hälfte quäle ich mich durch schaurige Albträume: Hexenzauber, Abtreibungen, verurteilende Blicke. Seine Worte schallen durch meinen Kopf, ein Kind würde nicht passen und würde sein Leben zerstören.
Um fünf Uhr finde ich einen Notfalltermin über eines dieser coolen neuen Ärzte-Online-Termin-Portale. Sie bestätigen mir auch sofort den Termin. Ich google „Kupferspirale danach“. Sehe Horror-Berichte. Lese Horror-Berichte. Um neun Uhr ist mein Termin, um neun Uhr habe ich auch ein Arbeitsmeeting.
Ich schlafe nicht, kaum. Wälze mich hin und her. Alleine. Wütend. Einsam. Vielleicht muss man in dieser Situation nicht alleine sein. Vielleicht sollte man in dieser Situation nicht alleine sein. Ich werde es erst knapp 48 Stunden später begreifen.
Meine Freund:innen wissen von meinem Abenteuer mit ihm nicht. Er muss anonym bleiben. Er will anonym bleiben. Vielleicht weil er seine Persönlichkeit schützen will. Vielleicht weil er sich für etwas Besseres hält. Vielleicht aber auch nur, weil er sich für mich schämt, wer weiß.
Ich sitze bei meiner Ärztin, weine und bin panisch. In meiner Not kontaktiere ich doch eine Freundin. Sie reagiert so, wie jeder Mensch reagieren sollte: empathisch. Sie nimmt mir für zehn Minuten die Angst, gibt mir das Gefühl, dass ich da nicht alleine durch muss.
Vielleicht muss man in dieser Situation nicht alleine sein. Vielleicht sollte man in dieser Situation nicht alleine sein.
Die Ärztin ist großartig, beruhigt mich, verschreibt mir etwas. Sie untersucht mich und lenkt mich ab. Ich lüge sie an, zu seinem Schutz. In der Apotheke werde ich belächelt. Es ist unangenehm, als der Apotheker vorliest, um welches Medikament es sich handelt. Die Pille danach. Er lächelt. Die Rechnung bezahle ich mit meiner EC-Karte und stolpere so schnell es geht aus der Apotheke raus.
Ein Glück haben wir eine Pandemie. Ein Glück wird meine Anonymität durch ein bisschen Kunststoff in meinem Gesicht geschützt. Ich fühle mich beschissen und denke an alle Frauen, die diese Situation erleben müssen.
Es vergehen Stunden. Ich schlafe an diesem Tag viel. Vor Schmerzen, Übelkeit und Angst. Mein Chef reagiert nett, hat Verständnis, lässt mich schlafen.
Überfordert und alleine gelassen im Gedankenkarussell
Seine Nummer auf meinem Display. Ich drücke ihn weg. Jetzt nicht. Er ruft mich später an, um sicher zu gehen, dass alles geklappt hat und bietet mir an, für mich einkaufen zu gehen. Ich denke, wie nett er ist. Ich lehne ab. Funkstille.
Seitdem sind elf Tage vergangen. Ich habe ihn gebeten, mich nicht zu kontaktieren. Abstand. Nicht weil ich keinen Kontakt wollte, sondern weil ich wusste, es ist ihm egal, was mit mir ist. Er sagt, er ist unsensibel, aber nur ehrlich. Ihn interessiert nur, ob sein Leben vorbei ist oder er weitermachen kann wie bisher.
Ich bin enttäuscht, wütend, traurig und habe ein gebrochenes Herz. Nicht weil ich verliebt bin, sondern weil ich mal wieder mit hundertsechzig auf der Autobahn gegen die Leitplanke gefahren bin. Mit offenem Verdeck.
Ihn interessiert nur, ob sein Leben vorbei ist oder er weitermachen kann wie bisher.
Meine Freundinnen reden mit mir. Sie urteilen nicht. Sie hören zu. Sind positiv. Sie sind da. Wir planen gemeinsam die Zukunft mit oder ohne Baby. Es ist okay. Es macht mich zeitweise sogar ein bisschen glücklich.
Abends liege ich oft wach, fahre Gedankenkarussell, umarme mein Kissen ein bisschen doller, weil ich mir vorstelle, dass er das sein könnte. Ich weiß nicht, ob ich verliebt bin. Ich weiß nur, dass da was fehlt. Ich habe auch etwas Angst. Vielleicht begründet, vielleicht unbegründet. Das Karussell stoppt nicht, es fährt immer weiter.
Nicht schwanger
Heute pinkle ich auf zwei Schwangerschaftstests. Zweimal ist der Test negativ. Ich weine, vor Glück, vor Wut, vor Enttäuschung. Weil ich diese ganze Geschichte alleine durchlebe. Weil ich mitten in einer Pandemie nicht kurz bei meinen Freund:innen vorbei schauen kann und mir Trost holen kann.
Ich sitze im Home Office tagein, tagaus und drehe durch. Abends telefoniere ich mit Freund:innen und der Familie, tagsüber versuche ich zu arbeiten. Mein Herz bebt. Mein Kopf streikt. Ich weine viel. Ich bin traurig und auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Mein Herz ist gebrochen.
Ich schreibe ihm über seinen Social-Media-Account. Kläre ihn auf. Er bedankt sich.
Hier endet unsere gemeinsame Geschichte.
Headerfoto: Marcus Santos via Unsplash (“Kategorie”-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!