Zwischen Sportwahn und Kalorienzählen: Hypothalamische Amenorrhoe ist mehr als das Ausbleiben der Periode

Eine Essstörung und zwanghafter Sport haben den Körper unserer Autorin so gestresst, dass ihre Periode schon lange ausbleibt. Hypothalamische Amenorrhoe heißt das. Dabei dachte sie, sie würde sich damit etwas Gutes tun. Zwar lebt sie inzwischen gesünder, muss sich aber immer noch fragen, ob das mit dem Kinderkriegen irgendwann klappen wird.

TW: Essstörung.

Keine Ahnung, was meine Freundinnen meinen, wenn sie mal wieder über Unterleibschmerzen während ihrer Menstruation klagen. Es ist einfach zu lange her, als ich meine letzte Periode hatte. Ich kann mich nicht mehr erinnern.

Auf jeden Fall war es lange vor der Zeit, als ich anfing, gegen meinen Körper zu arbeiten. Mit viel zu viel Sport, viel zu viel Stress und einer vermeintlich gesunden Ernährung. Alles nochmals befeuert durch falsche Fitness- und Beauty-Vorbilder auf Social Media. Danke dafür.

Hormonchaos nach Absetzen der Pille

Aber von vorn: Im Frühjahr 2020 habe ich die Pille abgesetzt, die ich bedauerlicherweise schon mit 16 von meiner Frauenärztin einforderte, unter anderem, weil mich ein paar Pickel im Gesicht gestört haben. Das waren Probleme, herrlich. Take me back.

Als gewissenhafte Journalistin hatte ich mich selbstverständlich hinzureichend informiert und wusste, dass nach dem Absetzen der Pille die Regelblutung monatelang auf sich warten lassen kann. Das sei normal. Nach einem halben Jahr ohne Periode fühlte sich das alles aber so gar nicht mehr normal an. Etwas fehlte. Also ab zum Frauenarzt.

Damals ging ich fast jeden Tag zehn Kilometer laufen und wog bei einer Körpergröße von 1,72 gerade mal 57 Kilo.

Ob ich viel Sport treibe? Ob ich an Gewicht verloren hätte die letzte Zeit? Joa, schon. Damals ging ich fast jeden Tag zehn Kilometer laufen, schleppte mich zu sämtlichen Gruppenfitness-Kursen und wog bei einer Körpergröße von 1,72 gerade mal 57 Kilo. Aber Bewegung und #HealthyFood sind doch super, dachte ich. Nö. Für unseren weiblichen Körper eben nur bedingt.

Schlanke und sportliche Frauen sind betroffen

Die Diagnose also: hypothalamischen Amenorrhö. Es hat Jahre gedauert, bis ich dieses Wortmonster fehlerfrei aussprechen konnte. Etwas unkomplizierter heißt es: eine ausbleibende Periode.

Trotzdem nochmal auf der wissenschaftlichen Ebene, falls dazu mal eine Frage bei „Wer wird Millionär?“ kommt: Der Hypothalamus ist eine Art Regulationszentrum im Gehirn. Er steuert hormonelle Vorgänge und ist damit ausschlaggebend für den weiblichen Zyklus.

Meistens wird der Stress ausgelöst durch eine zu niedrige Kalorienzufuhr und zu viel Sport. Welcome to my Life.

„Bei einer hypothalamischen Amenorrhö nimmt der Hypothalamus so viel Stress wahr, dass er die Hormonproduktion im Körper so weit wie möglich herunterreguliert“, sagt die Hormoncoachin Julia Schultz, die als eine der wenigen Deutschen ein Buch zum Thema geschrieben hat. Meistens wird der Stress ausgelöst durch eine zu niedrige Kalorienzufuhr und zu viel Sport. Welcome to my Life.

Progesteron- und Östrogenmangel erhöhen Risiko von Osteoporose

Die Pille ist also nur bedingt schuld an der fehlenden Periode. Mit der Pille tun wir uns unter Umständen keinen großen Gefallen. Das eigentliche Problem ist aber der Lebensstil. Heute bin ich davon überzeugt, dass meine natürliche Periode schon lange vor dem Absetzen der Pille ausgeblieben ist, die künstlichen Hormone mir aber vorgegaukelt haben, alles sei okay.

Vor Lebensmitteln wie Weizenbrot, Paniertem und Softdrinks hatte ich regelrecht Panik.

Denn schon lange war ich streng mit mir. Zu meinen Hochzeiten trug ich Anfang der Woche meine Sporteinheiten in meinen Terminkalender ein. Manchmal verschob ich Treffen mit Freund:innen, wenn es nicht in meinen Masterplan passte. Dazu kam eine restriktive Ernährung: nicht zu viele Kohlenhydrate, kein Fett, wenig Zucker. Okay, man kann es auch Essstörung nennen. Vor Lebensmitteln wie Weizenbrot, Paniertem und Softdrinks hatte ich regelrecht Panik.

Unerfüllter Kinderwunsch

Meiner Drill-Instructor-Mentalität der vergangenen Jahre habe ich es also zu verdanken, dass ich bis heute nicht blute. Nun könnte man meinen: Ist doch ganz geil, so ohne lästige Monatsblutung. Ist aber leider überhaupt nicht geil.

Aufgrund des Progesteron- und Östrogenmangels können Haarausfall, Osteoporose, ständiges Frieren oder Schlafprobleme die Folge sein. Und dann noch die Sache mit dem unerfüllten Kinderwunsch, unter dem ich mit Anfang 30 mit Abstand am meisten leide.

Um mich herum werden gerade viele Freundinnen schwanger. Die Frage „und wann ist es bei dir soweit?“ kommt regelmäßig. Szenen von glücklichen Müttern in Filmen und Serien machen mich traurig. Vergangenes Jahr war ich zum ersten Mal in einer Kinderwunschklinik. Die Ärztin hat mir Hoffnung gemacht. Versprechen konnte sie natürlich nichts. Alles ist ungewiss.

2.500 Kalorien am Tag

Inzwischen habe ich acht Kilo zugenommen, habe mein Sportpensum deutlich nach unten geschraubt, praktiziere sanftes Yoga und esse etwa 2.500 Kalorien am Tag. So lautet die Empfehlung von Hormoncoaches, auf die ich glücklicherweise über Instagram aufmerksam geworden bin.

Ich fühle mich nicht weiblich, nicht vollkommen, hilflos.

Bei jedem kurzen Ziehen im Unterleib halte ich die Luft an. Hoffe, bete, um kurze Zeit später enttäuscht zu werden. Ich fühle mich nicht weiblich, nicht vollkommen, hilflos.

Auch für meine Beziehung ist das alles eine Belastung. Was, wenn ich zu viel zunehme und er mich nicht mehr attraktiv findet? Was, wenn das mit dem schwanger werden niemals funktioniert? Was, wenn ich nie wieder richtig Frau sein werde?

Ihr seid nicht allein!

Seit einiger Zeit bin ich in Therapie. Auch das habe ich mir lange nicht eingestanden. Ich, eine selbstbewusste, schlagfertige und lebensfrohe Frau auf dem Sofa eines Therapeuten? Bis heute weiß niemand außer meiner Mum und meinem Freund von meinem Montagabend-Termin.

Nur weil Fitness-Influencerin X behauptet, Intervall-Fasten sei jetzt das Ding oder deine beste Freundin jeden Tag ins Fitti rennt und abends Carbs meidet, heißt das nicht, dass das gesund ist.

Warum ich darüber schreibe? Weil es mir ein Herzensanliegen ist, das Thema mehr in die Öffentlichkeit zu tragen. Ich möchte Betroffenen zeigen: Ihr seid nicht allein. Vor allem aber möchte ich Frauen warnen. Nur weil Fitness-Influencerin X behauptet, Intervall-Fasten sei jetzt das Ding oder deine beste Freundin jeden Tag ins Fitti rennt und abends Carbs meidet, heißt das nicht, dass das gesund ist. Im Gegenteil.

Dir geht es gerade nicht besonders gut und du weißt nicht, wie du das alleine schaffen sollst? Hier sind ein paar Anlaufstellen, bei denen du Hilfe finden kannst: 

Ein Besuch beim Hausarzt oder der Hausärztin deines Vertrauens kann ein guter erster Schritt sein. Unter www.therapie.de findest du freie Psychotherapieplätze in deiner Nähe. Freunde fürs Leben e.V. bietet neben ganz vielen Informationen zu psychischen Krankheiten auch solche zu Hilfsangeboten. Unter 0800-1110111 erreichst du jederzeit die Telefonseelsorge, wenn du dringender Hilfe brauchst und unter 116-111 das Kinder- und Jugendtelefon.

Du bist nicht allein ! <3 

Carina hat jetzt wochenlang hin und her überlegt, ob sie ihren Text mit echtem Namen veröffentlichen soll, weil sie ein bisschen spießig ist, Theologie studiert hat und es hier ja auch manchmal um Sex und so geht. Aber um es mit den Worten des großen Philosophen Wendler zu sagen: EGAL! Carina arbeitet als Journalistin, steht tierisch auf Waschbären und macht randommäßig gerne Yoga. Sie kommt gebürtig aus dem Rheinland, lebt jetzt in der Nähe von Frankfurt und wenn sie nochmal umzieht, dann irgendwo in die Berge, damit sie jeden Tag Dirndl tragen kann. Mehr von Carina findet ihr auf Instagram.

Headerfoto: Marcus Vinícius A. Ribeiro (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

2 Comments

  • Liebe Carina,

    danke für dein Mut und dafür das du hilfst, das awareness über dieses wichtige Thema zu erhöhen. Ich war selbst betroffen, habe es aber geschafft, aus dem zustand rauszukommen und bin jetzt Mama zu 2 wunderschönen Söhne.

    Es ist möglich, den zustand zu heilen <3

  • Liebe Carina,
    ich wollte nur mal sagen, wie mutig ich das finde, dass du diesen Artikel mit Foto und deinem Klarnamen veröffentlicht hast. Ich wünsche dir, dass dir die Therapie hilft und du irgendwann „dein kleines Wunder“ in den Armen halten darfst.♥
    Alles Liebe für dich.

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