Fast alle sind zuhause. Verbringen Zeit mit sich. Ich fühle mich, als wäre ich auf einem Spielabend, bei dem ich nicht aufgepasst habe, als die Regeln erklärt wurden. Auf einmal sind alle still, schauen in ihre Spielkarten und man selber ist Teil dieser Stille. Im selben Moment ist man aber dermaßen unruhig, weil man weiß, dass man, wenn diese Stille gleich vorbei sein wird, total aufgeschmissen sein wird – weil man das Spiel nicht versteht. Einfach mitmachen. Aber wie?
Wie oft knallt das Klischee des umtriebigen „Einsamer Wolf“-Künstlers, der sich nicht von festen Strukturen ablenken kann – ungebunden leben muss? Florian Hacke bietet zumindest von außen ein Kontrastprogramm.
Das wohl anspruchsvollste Set bestand für den preisgekrönten Kabarettisten, Slam-Poeten und Schauspieler aus der heimischen Kinderstube, Spielplätzen, Supermärkten, Wickeltischen – Elternzeit.
Diese Perspektive nutzt er in seinem Soloprogramm „Hasenkind du stinkst!“ und schafft aus dem materialgenerierenden Umfeld, aus skeptischen Müttern, vorurteilsdreschenden Vätern und den Höhö-Kommentaren des Restes ein scharfsinniges und grandios komisches Bühnenprogramm, mit dem er (abends natürlich) die Bühnen des deutschsprachigen Raumes unterhielt. Das Publikum dort war sicherlich einfacher als das heimische, das immer wieder dieselbe Vorstellung besuchte.
Ich frage mich, wie verbringt ein Künstler, der zum großen Teil auf ein Soloprogramm eingestellt war – das wirkliche Alleinsein für Menschen – die Zeit nach dem Kontrastprogramm mit Kleinkindern und Familie und was bewirken Zwangspausen? Wie gut es ist, mit ihm sprechen zu können.
Das „Zeit für sich nehmen“ wird im psychologischen Kontext immer bekannter. Der Begriff „Selbstfürsorge“ erlebt seit den letzten Jahren Konjunktur. Wie gehst du damit um, wenn äußere Umstände, wie zum Beispiel die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, dich dazu bringen, so eine Pause zu vollziehen?
Bei uns ist das insofern eigentlich eher umgekehrt, als dass wir zwei kleine Kinder haben, die momentan nicht in den Kindergarten gehen können. Dadurch ist die Corona-„Pause“ für uns weniger ein Meditiationsretreat zwischen Netflix und Homeoffice, sondern eher ein knallharter Bastel-Mal-und-Spiel-Marathon ohne Spielplatz oder Freunde, der uns allen alles abverlangt. Das geht vermutlich allen Eltern ähnlich. Wir haben sehr schnell eine rigorose Lockdown-Routine eingeführt, die uns Struktur gibt und den Tag ordnet, damit zumindest kleine Verschnaufpausen absehbar sind. Zeit für Arbeit oder gar „für sich“ bleibt sehr wenig.
Wie gehst du mit deinem eigenen Selbstbild hinsichtlich Produktivität um?
Klar fühle ich mich besser, wenn ich eine gute Arbeit gut beendet habe. Das ist aber im Moment nicht möglich. Mein Selbstbild hat sich gemäß den „Five Stages of Grief“ der Situation angepasst und vorerst alle Erwartungen auf Pause gestellt. Der anfängliche Produktivitätsdruck ist zum Glück vorbei und ich bin nicht künstlerisch produktiv im Moment. Das liegt zum einen an der absolut fehlenden Zeit und Ruhe, zum anderen an einer noch tiefempfundenen Sprachlosigkeit ob der Situation. Für ein Ordnen der extrem ambivalenten Gedanken oder gar eine Recherche, sie mithilfe von (hochkomplexen!) Fakten begreifen zu lernen, ist kaum Platz. Das ist vermutlich Fluch und Segen zugleich.
Ist es an dein Wohlbefinden bzw. deinen Selbstwert gekoppelt?
Als Schauspieler und Kabarettist war ich es von Anfang an gewohnt, kaum Regelmäßigkeiten zu kennen. Das habe ich lieben gelernt. Die Balance mit Kindern ist immer eine sehr feine: zu viel Arbeit geht auf Kosten der Familie, was mich extrem unglücklich macht, zu wenig Arbeit macht mich rastlos und lässt zu viele Zweifel zu. Ich habe immer mehr gelernt, das Gleichgewicht zu halten, denn dann hat man das Beste aus zwei Welten und das ist sehr toll.
Wieviel Zeit verbringst du sonst mit dir selbst?
Vor Corona? Etwas mehr, weil ich wochentags die Vormittage zum Arbeiten habe. Und abends, wenn alle schlafen, lese ich noch ein wenig und genieße die Stille. Im Moment: fast keine und also nicht genug.
Bist du dir, wenn du Zeit mit dir verbringst, dessen bewusst, dass es gerade nur „Du und Du“ heißt?
Manchmal, im Zug. Da kann keiner was wollen und man ist nicht erreichbar. Ansonsten gibt es immer irgendwas, das erledigt/bedacht/geplant/verschoben werden muss.
Wie weit kannst du es mit dir selber aushalten?
Tagsüber geht es gut, aber abends allein in Hotels finde ich es wahnsinnig schwer, nicht sofort zu verwahrlosen.
Lebst du nach einer Struktur, die du auch als solche benennst? Wie kriegst du das hin ?
Mit kleinen Kindern ist der Tag extrem ritualisiert. Das ist zuerst ungewohnt, aber dann merkt man, dass es viele ungeahnte Vorteile birgt. Ich bin in den wenigen Stunden, die ich nicht für meine Kinder mitdenken muss, viel produktiver, als ich es ohne Kinder jemals war. Auch die Zeit auf der Bühne kann ich viel intensiver greifen und genießen, weil ich weiß, dass sie sehr exklusiv ist und einer krassen Vorplanung bedarf.
Wie leicht lässt du dich ablenken?
Auf der Bühne gar nicht, und wenn ich etwas schreibe, das sich lange in mir vorbereitet hat, auch nicht. Bei unwichtigen Dingen kann man aber prima andere unwichtige Dinge nebenbei machen.
Wie gehst du mit Ablenkung um? Lenkst du dich ab?
Wenn mir etwas wirklich wichtig ist oder endlich geschafft werden muss, dann leiste ich mir den Luxus, mich nicht ablenken zu lassen. Außer bei der Steuererklärung. Da backe ich nebenbei Kuchen, telefoniere oder überlege, ob Ablenkung von der Ablenkung überhaupt Ablenkung ist. (Meine Steuererklärung 2020 wird mich aber vermutlich kaum eine halbe Stunde kosten.)
In welchen Situationen, vor allem mit dir selbst, brauchst du Ablenkung?
In bestimmten Stresssituationen gibt es Trigger, die mir eigentlich überholte, schädliche Verhaltensmuster nahelegen. Ich habe als Jugendlicher und junger Erwachsener sehr lange stark unter Essstörungen gelitten und natürlich bis heute die vertrauten und vermeintlich naheliegenden Stressbewältigungsmechanismen verinnerlicht. Dagegen muss ich mich dadurch schützen, dass ich Stress langfristig reduziere, oder, wenn ich das nicht kann, unschädliche Auswege finde. Das ist nicht immer leicht, aber ich kenne mich inzwischen gut genug, dass ich weiß: Es lohnt sich. Extremsituationen wie die derzeitige sind da eine besondere Herausforderung, aber auch hier helfen Familie und Routine.
Florian Hacke ist preisgekrönter Kabarettist und Poetry-Slammer. Nach seinem Schauspieldiplom an der HMT Rostock 2004 arbeitete Florian Hacke acht Jahre als Schauspieler am Theater Lübeck und war dort in über 40 Produktionen zu sehen. Parallel steht er auch für Kino, TV und Werbung vor der Kamera, schreibt, inszeniert und unterrichtet. 2016 und 2018 war er jeweils langfristig in Elternzeit für seine beiden Kinder und schrieb seinen ersten Stand Up Comedy Abend „Hasenkind du stinkst“.
Danke Florian!
Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.
In Zeiten der Corona-Pandemie sind viele Menschen dazu angehalten, zuhause zu bleiben. Das schließt eine gewisse Selbstbeschäftigung nicht aus. Aron Boks interessiert sich dafür, wie andere Menschen das hinkriegen, dieses Alleine-Sein.
In der Artikel-Reihe „Endlich zeit für mich?“ von Aron Boks sind bereits erschienen Interviews mit: Kathrin Weßling (Schriftstellerin und Social Media-Expertin), Karl Schaper (Schauspieler) und Richard Schmittstein (Hausmeister), den Autorinnen Paulina Czienkowski und Paula Irmschler und den Comedians Patti Basler und Till Reiners.
Headerfoto: Florian Hacke (links), Aron Broks (rechts) fotografiert von Jens Passoth. Danke dafür!