„Endlich Zeit für mich?“ – Quarantäne-Talk mit den Autorinnen Paulina Czienkowski und Paula Irmschler

Fast alle sind zuhause. Verbringen Zeit mit sich. Ich fühle mich, als wäre ich auf einem Spielabend, bei dem ich nicht aufgepasst habe, als die Regeln erklärt wurden. Auf einmal sind alle still, schauen in ihre Spielkarten und man selber ist Teil dieser Stille. Im selben Moment ist man aber dermaßen unruhig, weil man weiß, dass man, wenn diese Stille gleich vorbei sein wird, total aufgeschmissen sein wird – weil man das Spiel nicht versteht. Einfach mitmachen. Aber wie?

In zwei der vielleicht eindringlichsten Bücher dieses Frühjahrs reflektieren zwei Romanheldinnen über ihre Vergangenheit, über extreme Introperspektive und Selbstauseinandersetzung. Zum einen in Taubenleben von Paulina Czienkowski und Superbusen von Paula Irmschler.

In zwei der vielleicht eindringlichsten Bücher dieses Frühjahrs reflektieren zwei Romanheldinnen über ihre Vergangenheit, über extreme Introperspektive und Selbstauseinandersetzung.

Paulina Czienkowski schreibt unter anderem für die ZEIT und produziert zudem den Podcast Wovor hast du Angst?. Paula Irmschler ist Redakteurin bei der Titanic. Beide sind in ihren Jobs sehr mit sich und doch auch mit der Aufgabe der Beobachtung beschäftigt. Sie liefern zwei sehr unterschiedliche Stile.

Paulina Czienkowski hat mit Taubenleben einen wunderbar intensiv traurigen und mitreißenden Roman über eine junge Frau geschrieben, die den Suizid ihres Vaters verarbeitet und dazu ihr derzeitiges Leben – zwischen HIV-Test, Beziehungskrise und der Verbindung zur eigenen Mutter. Paula Irmschlers Roman Superbusen ist ein Exzess einer Reflexion über das Leben in Chemnitz als junge Erwachsene, mit Rockbands, Antifa und Partys; extrem komisch und sprachlich schillernd geschrieben.

Fotocredits: Taubenleben: Blumenbar + Superbusen: Claassen Verlag.

Mich interessiert: Wie schafft es eine Person, die ihre Jugend in der Hauptstadt verbracht hat ihre funktionalen Ressourcen zu entwickeln. Und besitzt eine, die im tiefen Osten der Republik, einer Stadt mit „dem Kraftklub-Klub“, ohne IC- und ICE -Anbindung vielleicht ganz andere Strategien? Wie gut, mit beiden sprechen zu können.

Das „Zeit für sich nehmen“ wird im psychologischen Kontext immer bekannter. Der Begriff Selbstfürsorge erlebt seit den letzten Jahren Konjunktur. Wie geht ihr damit um, wenn äußere Umstände, wie zum Beispiel die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona Pandemie, euch dazu bringen, so eine Pause zu vollziehen?

Paula: Ich nehme das momentan nicht als Pause wahr. Für mich haben sich ein paar Lesungen und Interviews erledigt, aber Autorin und Redakteurin bin ich weiterhin und weiterhin politisch interessiert. Ich habe weiterhin meine To-Do-Listen und auch weiterhin den Drang, etwas zu erfahren oder mitzuteilen. Es hört ja gar nichts auf, im Gegenteil, es kommt ganz viel dazu.

Es gibt viel zu tun: sich füreinander engagieren, Themen auf die Agenda heben, Probleme sichtbar machen, politischen Druck aufbauen, vernetzen, aufeinander Acht geben. Es ist nun mal Kapitalismus und es gibt zu viele Ungerechtigkeiten. Davon kann man sich ab und an erholen, an Pausen glaube ich in diesen Verhältnissen aber nicht.

Es ist nun mal Kapitalismus und es gibt zu viele Ungerechtigkeiten. Davon kann man sich ab und an erholen, an Pausen glaube ich in diesen Verhältnissen aber nicht.

Paulina: Der aktuelle Zustand ist eine Ausnahmesituation für uns alle, die absurd und beängstigend daherkommt. Die Dystopie als Realität. Sich in dieser Zeit (noch) selbst Hausarrest zu erteilen, um vorerkrankte Menschen und Alte zu schützen, also für ein Gemeinwohl einzustehen, solidarisch zu sein, auch zugunsten des Gesundheitssystems, ist das Mindeste, was diejenigen, die zuhause bleiben können, aktuell tun können. Es fällt mir nicht schwer, auch wenn ich als Freiberuflerin Angst habe (und viele andere mit mir), aus der Pandemie nur mit großen wirtschaftlichen Defiziten rauszukommen. Was das alles gesellschaftspolitisch bedeuten wird, will ich mir (noch) nicht ausmalen.

Dass man sich nun plötzlich mit dem eigenen Selbst und vermeintlich freier Zeit konfrontiert sieht, ist ein merkwürdiges Gefühl, weil es eben nicht selbst gewählt ist. Gut mit sich in dieser Zeit zu sein, ist sehr wichtig, denke ich. So eine Zeit ist prädestiniert, um stark auf die (bei manchen eh schon angeschlagene) Psyche Einfluss zu nehmen. Gerade wenn körperliche Nähe und sozialer Austausch IRL einem sonst Halt, Kraft und Freude geben.

Wie geht ihr mit eurem eigenen Selbstbild hinsichtlich Produktivität um?

Paula: Mal so, mal so, je nachdem wie es mir psychisch geht. Oft habe ich das Gefühl, zu wenig zu tun, zu wenig Wichtiges vor allem, zu wenige Sachen, die nicht Selbstzweck sind. Man muss sich zusammenschließen, so funktionieren ja auch Redaktionen zum Beispiel. Jede*r trägt etwas bei und am Ende steht dann etwas. So ist es auch in politischen Gruppen. Alleine ist Vieles zu viel.

Oft habe ich das Gefühl, zu wenig zu tun, zu wenig Wichtiges vor allem, zu wenige Sachen, die nicht Selbstzweck sind.

Dazu kommt, Zweifel ernstzunehmen. Wenn man etwas nicht so wichtig findet, dann ist es das vielleicht auch nicht. Wenn es sich zu viel anfühlt und man es absagen kann, muss man lernen, das zu machen. Mit der Energie haushalten, wo es nur geht. Aber das sind alles Prozesse und deshalb schwankt das auch immer mit dem Selbstbild.

Paulina: Produktiv bin ich, wenn ich etwas (er)schaffe. Aus meiner Sicht. Wenn ich auf andere Menschen schaue, kann jemand genau so produktiv sein, auch wenn er nichts tut.

Ist euer Selbstbild an euer Wohlbefinden bzw. euren Selbstwert gekoppelt?

Paulina: Schon. Und das ist ein Fehlglaube, der einem das kapitalistische System ziemlich früh eingepflanzt hat. Ich versuche ihn sukzessive zu korrigieren. Ist ziemlich schwer. Gerade wenn man in einem Feld arbeitet, wo Sichtbarkeit von Bedeutung ist.

Paula: Ja, das ist auch so. Aber ja – das ist halt Kapitalismus, weil uns allen beigebracht wird, dass unser Wert an verwertbare Produktivität gekoppelt ist. Es gibt natürlich noch mehr, vor allem Zwischenmenschliches, Kulturelles und so weiter. Aber von der Produktivitätsnummer kann sich leider niemand freimachen.

Wieviel Zeit verbringt ihr sonst mit euch selbst?

Paula: Ich bin selten wirklich allein, weil ich, selbst wenn ich körperlich allein bin, viel in Kontakt mit meinen Freund*innen bin, aber manchmal gibt es diese Zeiten, zum Beispiel in Zügen, in denen ich fast täglich sitze und Dank Kopfhörer die Leute um mich herum vergesse.

Paulina: Ich mag Alleinsein in meiner Vorstellung meist lieber, als ich es dann im konkreten Moment genießen kann.

Seid ihr euch, wenn ihr Zeit mit euch verbringt, dessen bewusst, dass es im Moment nur „Du und Du“ heißt?

Paulina: Sicherlich. Und dann will ich die Zeit auch „sinnvoll“ nutzen, was immer das heißt. Zum Beispiel Dinge tun, zu denen ich sonst nicht komme. Lesen, ruhen, dummes Zeug im Fernsehen gucken. Ganz ohne die Projektion auf ein „Außen“. Eben nur für mich und mit mir. Meist bedeutet dieses „Ich und Ich“ dann aber auch wieder Austausch – digital oder über Telefonate.

Paula: Ich mache mir das nicht bewusst, es passiert halt. Dann mach ich mir ein Lied an und gucke irgendwohin. Obwohl dann die singende Person natürlich auch irgendwie dabei ist.

Wie gut könnt ihr es mit euch selber aushalten?

Paula: Meistens verstehe ich mich ganz gut mit mir, es sei denn, ich habe mal wieder was Dummes, Peinliches gemacht oder mal wieder irgendwas nicht gemacht oder bin in irgendjemanden verliebt.

Paulina: Mein Geld verdiene ich ja hauptsächlich mit Schreiben – das ist per se eine einsame Tätigkeit. Wenn ich nicht arbeite, dann kann ich durchaus auch mal alleine sein, muss aber erstmal dahin kommen, mich also ganz bewusst dafür entscheiden. Meist braucht es einen Moment, mich „dran zu gewöhnen“ und das nicht als Einsamkeit oder Ungeselligkeit zu empfinden.

Lebt ihr nach einer gewissen Routine? Wie gelingt euch das?

Paula: Nein, das kann ich gar nicht, weil ich kein regelmäßiges Leben habe. Ich pendele zwischen verschiedenen Städten und mache verschiedene Dinge dabei und habe festgestellt, dass das bis zu einem gewissen Maße für mich sehr gut passt. Und ich bekomme das hin, was ich hinbekomme, weil es Deadlines gibt, die halt eingehalten werden müssen. Mal ist es ein absolutes Chaos und manchmal klappt es entspannt. Ich wurschtel mich durch.

Als Freiberuflerin muss ich mich gefühlt besser organisieren und schneller, wacher und genauer arbeiten als jede*r Festangestellte*r.

Paulina: Als Freiberuflerin muss ich mich gefühlt besser organisieren als jede*r Festangestellte*r. Man muss schneller, wacher und genauer arbeiten. Da ist ja nichts, was einen nach unten hin ernsthaft auffängt, wenn mal was daneben geht. Positiv daran: Ich bin frei. Und das ist es mir wert.

Wie leicht lasst ihr euch ablenken?

Paula: Sehr gut. Beziehungsweise lasse ich mich eher nicht gut einlenken und brauche viel Zeit, um überhaupt mal loszulegen.

Paulina: Die Gewohnheit, zwischen Schreibeinheiten wie eine Betriebsblinde durch die Feeds zu scrollen, ohne ernsthaft was davon wahrzunehmen, nervt mich zunehmend. Das Hirn nimmt dabei so viel auf, aber eben alles nur unbewusst.

Wie geht ihr mit Ablenkung um?

Paula: Wenn etwas von außen stört: Kopfhörer auf. Wenn etwas zu sehr stört: Heulkrampf. Ich bin sehr ungeduldig leider. Wenn die Ablenkung Diskussionen in den sozialen Medien sind: Nicht machen. Wenn ich mit irgendwas prokrastiniere, ist das eben so. Dann kommt halt die Deadline und ich muss. Wenn ich bewusst flüchten will, dann gern durch altbekannte Serien, Sex and the City oder sowas.

Auf jeden Fall bin auch ich Opfer der Digitalisierung. Deshalb lösche ich Apps regelmäßig.

Paulina: Auf jeden Fall bin auch ich Opfer der Digitalisierung. Lange Zeit dachte ich, dass Social Media nichts mit mir macht. Das stimmt natürlich nicht. Deshalb lösche ich Apps regelmäßig.

In welchen Situationen, vor allem mit euch selbst, braucht ihr Ablenkung?

Paulina: Mit allem, was relativ neu ist, muss nach Einzug ins Leben wohl jeder für sich erstmal einen natürlichen, einen eigenen Umgang finden. Und das dauert. Ich bleib geduldig mit mir.

Paula: Wenn ich mich verliebe, oder Liebeskummer habe.

Danke Paulina und Paula!

Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.

In Zeiten der Corona-Pandemie sind viele Menschen dazu angehalten, zuhause zu bleiben. Das schließt eine gewisse Selbstbeschäftigung nicht aus. Aron Boks interessiert sich dafür, wie andere Menschen das hinkriegen, dieses Alleine-Sein.

Headerfoto: Paulina Czienkowski (links oben) fotografiert von Valentin Hansen, Paula Irmschler (links unten) fotografiert vom Immergut Festival, Aron Broks (rechts) fotografiert von Jens Passoth. Danke dafür!
ARON BOKS (*1997) ist Autor und Slam Poet aus Berlin. Sein Buch Luft nach Unten erschien 2019 und thematisiert Magersucht, vor allem bei Männern. Er macht den Podcast Topliteratur auf Spotify, ist Frontmann der Band „Das zappelnde Tanzorchester“ und Klopstock Förderpreisträger für Neue Literatur 2019.

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