„Endlich Zeit für mich?“ – Quarantäne-Talk mit Karl Schaper, Schauspieler, und Richard Schmittstein, Hausmeister

Fast alle sind während dieser Corona-Pandemie zuhause. Verbringen Zeit mit sich. Ich fühle mich, als wäre ich auf einem Spielabend, bei dem ich nicht aufgepasst habe, als die Regeln erklärt wurden. Auf einmal sind alle still, schauen in ihre Spielkarten und man selber ist Teil dieser Stille. Im selben Moment ist man aber dermaßen unruhig, weil man weiß, dass man, wenn diese Stille gleich vorbei sein wird, total aufgeschmissen sein wird – weil man das Spiel nicht versteht. Einfach mitmachen. Aber wie?

Ich denke an den Hausmeister Richard Schmittstein, der jahrelang durch ganz Europa, Russland – bis 200 km vor China, meinte er – gefahren ist. Er muss genau wissen, wie es sich anfühlt, alleine mit sich selbst zu sein – und plötzlich den Gegensatz zu leben: Hausmeister in einem Berliner Mietshaus.

Dem gegenüber wohnt Karl, ein Schauspieler, der ständig unterwegs ist, um in Köln für SOKO Köln und diverse andere TV- und Kinofilmproduktionen zu drehen. Zwei auf den ersten Blick durchgehend unterschiedliche Perspektiven. Beide erlauben uns den Einblick in das, was sie unterscheidet, und das, was es gar nicht so sehr tut.

Das „Zeit für sich nehmen“ wird im psychologischen Kontext immer populärer. Der Begriff Selbstfürsorge erlebt seit einigen Jahren Konjunktur. Wie geht ihr damit um, wenn äußere Umstände, wie die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, euch dazu bringen, so eine Pause zu machen?

Richard: Für mich fühlt sich das eigentlich normal an. Ich hab damit kein Problem, mich an die derzeitigen Sachen zu halten. Ich kann meine Zeit auch anderweitig nutzen, das ist nicht das Problem.

Karl: Ich hab ja sowieso nie ’ne Wahl. Es kommt, wie es kommt – und ich muss immer damit arbeiten. Jetzt sieht’s eben danach aus, dass ich viele Sachen von zuhause aus machen muss. Das macht keinen großen Unterschied.

Wie geht ihr mit euren eigenen Erwartungen hinsichtlich eurer Produktivität um?

Richard: Ich geh damit gelassen um, da ich so flexibel bin in meiner Arbeit als Hausmeister. Wenn ich auf irgendetwas heute keine Lust habe, dann mach ich es eben morgen. Ich muss ja zum Beispiel nicht jeden Morgen pünktlich bei der Arbeit sein, da ich mir meine Zeit selber einteile.

Karl: Also natürlich: Wenn ich produktiv bin, geht’s mir besser, aber das ist wahrscheinlich nicht die Antwort auf die Frage. Es gibt Momente, da hole ich mir ein scheiß Playstation-Spiel vom Flohmarkt und zocke erstmal, das geht aber nur, wenn ich weiß, dass ich anschließend wieder was mache oder wenn ich vorher sehr produktiv war.

Ist euer Wohlbefinden bzw. euer Selbstwert an eure Produktivität gekoppelt?

Richard: Mich belastet und beunruhigt eigentlich nichts in meiner Arbeit, da ich weiß, dass ich das „Versäumte“ immer wann anders machen kann, da es außer mir ja niemand macht!

Karl: Ich kann mich eigentlich nur wirklich wohl fühlen, wenn ein gewisses Maß an Produktivität in meinem Leben vorhanden ist. Anders geht das eigentlich nicht. Ich brauche schon in gewisser Weise einen Ausgleich, da ich mich schnell nutzlos und überflüssig fühle. Das Nichtstun gelingt mir nur mit der Aussicht oder dem Rückblick auf Produktivität. Die längste Phase, die ich so „durchgehalten“ habe, waren zwei Wochen, in denen ich nur auf dem Boden rumlag. Kurz nach dem Abschluss der Schauspielschule.

Ich kann mich eigentlich nur wirklich wohl fühlen, wenn ein gewisses Maß an Produktivität in meinem Leben vorhanden ist.

Wieviel Zeit verbringt ihr sonst mit euch selbst?

Richard: Ich habe schon viel Freizeit, aber ebenso viele Hobbys – basteln, am Computer daddeln, lesen. Ist schon viel.

Karl: Mit mir allein, hm. Bezogen auf das Leben? Mir wird super schnell langweilig und dann trinke ich ein Bier oder renn‘ ins Fitnessstudio – bin ich dann noch allein? Ich glaube nicht. Ich lasse mich halt sehr schnell ablenken. Und weil ich mich so schnell ablenken lasse, bin ich wirklich selten allein mit mir.

Seid ihr euch, wenn ihr Zeit mit euch verbringt, dessen bewusst, dass es im Moment nur „Du und Du“ heißt?

Richard: Ich denke, auch wenn ich alleine bin, eigentlich gar nicht drüber nach.

Karl: Ich glaube, es ist super schwierig für mich, mich komplett auf mich zu konzentrieren. Aber ich habe bis jetzt auch noch nie wirklich drüber nachgedacht.

Wie gut könnt ihr es mit euch selber aushalten?

Richard: Ganz einfach. Ich sag’s dir jetzt so, wie es ist. Ich war 25 Jahre Fernkraftfahrer und hatte höchstens zwischenmenschlichen Kontakt beim Ein- und Ausladen. Mich stört das Alleinsein nicht. Wenn du so etwas durchmachst, dann bist du so was von abgestumpft dabei. Machst halt dein Zeug und bist immer allein. Du musst dich da mit dir selbst beschäftigen. Du lebst auf zwei Quadratmetern. Größtenteils bin ich gefahren und habe am Wochenende dann etwas auf der Strecke unternommen. So war ich im Disneyland und in London – man muss sich seine Wege schaffen. Auf dem Weg, klar, da hat man sich mal mit wem für zehn Minuten unterhalten, dann war für mich aber auch Ruhe.

Ich war 25 Jahre Fernkraftfahrer und immer allein. Du musst dich da mit dir selbst beschäftigen. Du lebst auf zwei Quadratmetern.

Karl: Ich kann mich selten ganz ohne Kommentar stehen lassen. Ich denke dabei aber immer über mich und nicht mit mir nach. Das ist vielleicht eine Beschäftigung mit mir selbst. Und dann kann ich es auch mit mir aushalten. Ich würde nicht sagen, dass ich es generell gut mit mir aushalten kann, es passiert mir einfach.

Lebt ihr nach einer gewissen Routine? Wie gelingt euch das?

Richard: Ich habe schon eine gewisse Struktur in meinem Leben und Tage, an denen ich wirklich weiß, was ich zu machen habe. Wenn sich daran mal was ändert, dann ist das so. Aber bei mir und in meiner Tätigkeit gibt es eigentlich nie ein Muss, sondern immer ein Kann.

Karl: Das kommt drauf an, was ich zu tun habe. Im Herbst spiele ich in einem Stück mit, da wird es eine Struktur geben. Weil andere davon abhängig sind. So ist es auch beim Dreh. Wenn aber nichts zu tun ist, gehe ich zweimal die Woche ins Fitnessstudio – was momentan nicht geht. Aber ich habe mir gerade zwei Hanteln gekauft. Das letzte Hantelset, das noch da war. Die Leute drehen durch, weil die Fitnessstudios zumachen. Sie wollen alle zu Hause pumpen, ist ja logisch. Oder ich gehe mit dem Hund meiner Freundin raus. Die Aussicht auf diese Sachen, zum Beispiel am nächsten Tag Sport zu machen oder mit dem Hund rauszugehen, geben mir in gewisser Weise auch Struktur.

Ich habe mir gerade zwei Hanteln gekauft. Das letzte Hantelset, das noch da war. Die Leute drehen durch, weil die Fitnessstudios zumachen.

Wie leicht lasst ihr euch ablenken?

Richard: Eigentlich lass ich mich nicht ablenken. Nur die Leute im Haus, wenn sie eine Frage haben oder was erledigen wollen, naja, die sind nicht direkt eine Ablenkung – aber sie wissen nicht um meine persönliche Aufgabenstrukturierung. Sie lenken mich ab, indem sie eigentlich nur auf mich zugehen. Da muss ich flexibel sein und kann das eigentlich nicht als Ablenkung sehen, denn mich um einige ihrer Anliegen zu kümmern, ist ja mein Job.

Karl: Ich glaube, meine bisherigen Antworten haben bereits deutlich gemacht, dass ich mich schnell ablenken lasse.

Wie geht ihr mit Ablenkung um?

Richard: Ich habe absolut kein Problem mit Ablenkung, da ich sie gar nicht so wirklich bemerke.

Karl: Manchmal kann ich mich schon aktiv zurückholen, wenn ich beispielsweise merke, dass ich mir 30 Minuten irgendeinen Mist auf Facebook durchgelesen habe. Manchmal kann ich die Ablenkung auch umwandeln. Ich versuche generell, einfach gelassen zu sein.

In welchen Situationen, vor allem mit euch selbst, braucht ihr Ablenkung?

Richard: Ich bin durch ganz Europa gefahren vom Nordkap bis Griechenland. Das geht nicht ohne Ablenkung. Man muss sich ablenken können.

Karl: Wenn ich ganz bei mir bin und ewig lang einen Text lerne und merke, dass ich mich nicht konzentrieren kann. Da merke ich schon, dass mir die Ablenkung, beispielsweise gerade dieses Interview zu führen, gut tut. Ich glaube, es kommt immer drauf an, was man aus Ablenkung macht.

Danke Karl und Richard!

Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.

In Zeiten der Corona-Pandemie sind viele Menschen dazu angehalten, zuhause zu bleiben. Das schließt eine gewisse Selbstbeschäftigung nicht aus. Aron Boks interessiert sich dafür, wie andere Menschen das hinkriegen, dieses Alleine-Sein.

In der Artikel-Reihe „Endlich zeit für mich?“ von Aron Boks ist bereits erschienen: Quarantäne-Talk mit Kathrin Weßling, Schriftstellerin und Social Media-Expertin.

Headerfoto: Richard Schmittstein fotografiert von Aron Boks  (links unten), Karl Schaper fotografiert von Timmo Schreiber (links oben) Aron Broks (rechts) fotografiert von Jens Passoth. Danke dafür!

ARON BOKS (*1997) ist Autor und Slam Poet aus Berlin. Sein Buch Luft nach Unten erschien 2019 und thematisiert Magersucht, vor allem bei Männern. Er macht den Podcast Topliteratur auf Spotify, ist Frontmann der Band „Das zappelnde Tanzorchester“ und Klopstock Förderpreisträger für Neue Literatur 2019.

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