„Endlich Zeit für mich?“ – Quarantäne-Talk mit den Comedians Patti Basler und Till Reiners

Fast alle sind zuhause. Verbringen Zeit mit sich. Ich fühle mich, als wäre ich auf einem Spielabend, bei dem ich nicht aufgepasst habe, als die Regeln erklärt wurden. Auf einmal sind alle still, schauen in ihre Spielkarten und man selber ist Teil dieser Stille. Im selben Moment ist man aber dermaßen unruhig, weil man weiß, dass man, wenn diese Stille gleich vorbei sein wird, total aufgeschmissen sein wird – weil man das Spiel nicht versteht. Einfach mitmachen. Aber wie?

Das Angenehme an den gegenwärtig aktiven Comedians ist, dass sie sich schlichtweg weigern, die Bühne zu verlassen. Zumindest medial. Das ermutigt, zum Durchhalten. Patti Basler, eine der wohl lustigsten Frauen der Schweiz, produziert das Format Apocalypso TV auf YouTube, postet und teilt unablässig Artikel und entertaint dabei noch selbst  in den jeweiligen Kommentarfunktionen.

Das Angenehme an den gegenwärtig aktiven Comedians ist, dass sie sich schlichtweg weigern die Bühne zu verlassen.

Auch einer der aktuell unterhaltsamsten Comedians Till Reiners redet weiter. Seine neue und erste Fernsehshow Homies, auf ZDF Neo, zusammen mit Moritz Neumeier, begann ziemlich zu Beginn der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie.

Trotzdem bleibt doch die Bühne unersetzlich für Comedians, oder nicht? Der Austausch, die Absprache, die Kommunikation sind immer präsent. Ich frage mich: Wie wirkt dann das Alleinsein für Menschen, die eigentlich ständig mit anderen im Kontakt stehen müssen, um zu arbeiten? Wie gut es ist, mit beiden sprechen zu können.

Das „Zeit für sich nehmen“ wird im psychologischen Kontext immer bekannter. Der Begriff Selbstfürsorge erlebt seit den letzten Jahren Konjunktur. Wie geht ihr damit um, wenn äußere Umstände, wie zum Beispiel die derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, euch dazu bringen, so eine Pause zu vollziehen?

Patti: Das Unabdingbare habe ich schon immer hingenommen, das kenne ich nicht anders. Bei der Pandemie war ich quasi ein Early Adopter. Ich habe damit gerechnet, dass alles heruntergefahren wird, das kam nicht als Schock, obwohl ich dadurch etwa die Hälfte meiner Jahreseinnahmen verliere. Für mich war klar, dass wir (mein Bühnenpartner Philippe Kuhn und ich) sofort umstellen müssen. Nun drehen wir Filme mit Apocalypso TV. Wirklich Zeit genommen habe ich mir also nicht.

Till: Sollte die Kontaktsperre länger andauern, bekomme ich Schwierigkeiten. Ich weiß aber, dass ich damit sehr priviligiert bin, ich kann die Zwangspause fast genießen. Ich plane jetzt Podcasts, räume auf und entspanne mich.

Wie gehst du mit deinem eigenen Selbstbild hinsichtlich Produktivität um?

Till: Ich muss mich ziemlich bremsen, um nicht in Stress zu verfallen, weil ich dazu neige, manchmal aktionistisch zu werden, wenn ich nichts mache. Aber die Ansage, möglichst Zuhause zu bleiben, minimiert viele Optionen. Find ich gut.

Patti: Ich laufe im Krisenmodus. Da bin ich fast produktiver als normalerweise. Nur gibt’s halt kein Geld dafür. Frei nach Polgar: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

Ich laufe im Krisenmodus. Da bin ich fast produktiver als normalerweise. Nur gibt’s halt kein Geld dafür. Frei nach Polgar: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

Ist euer Selbstbild an euer Wohlbefinden bzw. euren Selbstwert gekoppelt?

Patti: Ja. Dass ich momentan auf Applaus und Publikum verzichten muss, kompensiere ich, indem ich viel in Social Media publiziere. Philippe und ich haben begonnen, mit Hardware und Software zu experimentieren, haben Filme und Lieder gemacht. Man hat ja als Satirikerin auch einen Bildungsauftrag.

Till: Ich glaube schon. Ich fühle mich gut, wenn ich Dinge auf der To-Do-Liste abhaken kann. Ich bin gerne produktiv und ich bekomme ein schlechtes Gewissen, wenn ich lange Zeit nichts mache. Für Urlaube brauche ich deswegen richtig „Anlauf“. – aber wenn ich erstmal im Urlaubsmodus bin, wird hart gechillt.

Wieviel Zeit verbringt ihr sonst mit euch selbst? 

Till: Immer mal wieder Tage, wenn ich auf Tour bin. Ich kann das auch genießen. Nach drei bis vier Tagen will ich aber wieder meine Freundin und Freunde sehen.

Patti: Das ist eine etwas masturböse Frage, ich werd den Teufel tun und die hier beantworten. Doch Schreiben ist immer eine einsame Tätigkeit, dieses Sich-Selbst-Text-Abringen, der Kampf gegen die Deadline und den inneren Schweinehund.

Seid ihr euch, wenn ihr Zeit mit euch verbringt, dessen bewusst, dass es gerade nur „Du und Du“ heißt?

Till: Ja, absolut. Kann ich auch mal genießen.

Patti: Meist schon. Ich bin in der privilegierten Situation, dass ich von meiner Kunst leben kann und fast allabendlich auf Bühnen stehe, meist mit meinem Bühnenpartner. Tagsüber schlafe ich lange und schreibe viel. Daran hat sich nicht viel geändert. Nur dass ich statt auf die Bühne ins Studio gehe. Muss ich auch duschen vorher.

Tagsüber schlafe ich lange und schreibe viel. Daran hat sich nicht viel geändert. Nur dass ich statt auf die Bühne ins Studio gehe. Muss ich auch duschen vorher.

Wie weit könnt ihr es mit euch selber aushalten?

Patti: Weit.

Till: Eine Woche. Es gibt ja Leute, die fahren alleine in den Urlaub. Für mich ist das ein Trip in die Hölle. Ich tausche mich einfach gerne mit Menschen aus und erlebe Dinge zusammen.

Es gibt ja Leute, die fahren alleine in den Urlaub. Für mich ist das ein Trip in die Hölle.

Lebt ihr nach einer Struktur, die ihr auch als solche plant? Wie kriegt ihr das hin?

Till: Ja, ich mache Sport und lerne Italienisch, das sind dauerhafte Termine in der Woche. Alles andere kann ich wegen meines Jobs nicht so fix betrachten.

Patti: Ich habe da bestimmte Abläufe, die sich schon fast rituell eingeschliffen haben. Die greifen aber im Moment nicht so. Da ich krankhafte Prokrastinatörin bin, muss ich immer viele seriell hintereinander geschaltete Deadlines haben. Wobei Deadline grad ein eher etwas heikles Wort ist.

Wie leicht lasst ihr euch ablenken?

Patti: Ziemlich schnell. Dieses Interview beispielsweise lenkt mich von Textarbeit ab, die ich machen sollte.

Till: Bitte, was? Wie war die Frage? Sorry, war grad am Handy.

Wie geht ihr mit Ablenkung um? Lenkt ihr euch ab?

Till: Wie gesagt …

Patti: Ich geh duschen. Dann bin ich fokussiert und unabgelenkt. Dafür renn ich dann nackt von der Dusche an den Laptop, um alle Einfälle aufzuschreiben. Sorry für die Bilder im Kopf.

In welchen Situationen, vor allem mit euch selbst, braucht ihr Ablenkung?

Till: Wenn ich mich von etwas stressen lasse. Oft merke ich: Wenn man es schafft, rauszugehen und spazieren zu gehen, legt sich die innere Unruhe schnell.

Patti: Ablenkung bräucht ich eher weniger. Doch Ablenkung heißt ja, in eine andere Richtung zu lenken als direkt ans Ziel. Das ist meist spannender und ergiebiger als der direkte Weg. Ein Hoch auf die Ablenkung.

Till Reiners Show Homies (zusammen mit Moritz Neumeier) läuft immer Dienstags 22.15 Uhr auf ZDF Neo – auch in der ZDF Mediathek.

Patti Basler produziert derzeit zusammen mit ihrem Bühnenpartner Philippe Kuhn auf YouTube das Videoformat APOCALYPSO TV.

Danke Patti und Till!

Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.

In Zeiten der Corona-Pandemie sind viele Menschen dazu angehalten, zuhause zu bleiben. Das schließt eine gewisse Selbstbeschäftigung nicht aus. Aron Boks interessiert sich dafür, wie andere Menschen das hinkriegen, dieses Alleine-Sein.

In der Artikel-Reihe „Endlich zeit für mich?“ von Aron Boks sind bereits erschienen Interviews mit: Kathrin Weßling (Schriftstellerin und Social Media-Expertin)Karl Schaper (Schauspieler) und Richard Schmittstein (Hausmeister) und den Autorinnen Paulina Czienkowski und Paula Irmschler.

Headerfoto: Patti Basler (links oben) fotografiert von Geri Born, Till Reiners (links unten) fotografiert vom Friederike Ellerbrock, Aron Broks (rechts) fotografiert von Jens Passoth. Danke dafür!

ARON BOKS (*1997) ist Autor und Slam Poet aus Berlin. Sein Buch Luft nach Unten erschien 2019 und thematisiert Magersucht, vor allem bei Männern. Er macht den Podcast Topliteratur auf Spotify, ist Frontmann der Band „Das zappelnde Tanzorchester“ und Klopstock Förderpreisträger für Neue Literatur 2019.

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