Ich möchte dir nur ein Wort sagen, nur ein Wort: Plastik. Plastik ist die Zukunft, mein Junge.
Als ich mit 18 Jahren das erste Mal den Film „Die Reifeprüfung“ gesehen habe, war ich von seinen ausdrucksstarken Bildern und dem Protagonisten Ben begeistert. Ben ist ein junger Mann Anfang zwanzig, der auf der Suche nach sich selbst und seinem eigenen Lebensweg ist. Immer wieder zeigt sich seine Überforderung mit dem Erwachsenwerden und seine Ablehnung der konsumorientierten Welt seiner Eltern.
Auf Bens Willkommensfeier zieht ihn ein Bekannter zur Seite und gibt ihm folgenden Ratschlag: „Ich möchte dir nur ein Wort sagen, nur ein Wort: Plastik. Plastik ist die Zukunft, mein Junge.“ Die Aussage zeigt nicht nur eine realistische Einschätzung der Entwicklung des Plastikmarktes, sie leitet gleichzeitig einen Generationskonflikt ein.
Die Aussage „Die Zukunft ist Plastik.“ steht symbolisch für alles, was die Jugendgeneration verändern will.
„Plastic“ kann im Englischen mit künstlich, falsch, synthetisch, unecht, oberflächlich, unnatürlich gleichgesetzt werden und steht symbolisch für die materialistische, konsumorientiert Generation von Bens Eltern. Die Aussage „Die Zukunft ist Plastik.“ steht symbolisch für alles, was die Jugendgeneration verändern will. Am Beispiel von Plastik kann die Entstehung der modernen Wegwerfgesellschaft erklärt werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte eine Sehnsucht nach Normalität. Die 50er waren die Geburtsstunde der modernen Konsumgesellschaft und durch Wirtschaftswachstums, Konformität, Konservatismus und Materialismus geprägt. Durch das Wirtschaftswachstum stiegen Produktion und Konsum und der Verpackungsmüll wuchs.
Zuvor war die Müllerzeugung von Privathaushalten gering. Es wurde repariert, recycelt und upgecycelt.
Zuvor war die Müllerzeugung von Privathaushalten gering. Es wurde repariert, recycelt und upgecycelt. Es erfolgte eine Abwendung von einer energieeffizienteren Lebensweise. Haushalte wurden mit Hilfe von Staubsauger, Waschmaschine, Wäschetrockner oder Geschirrspüler elektrifiziert. Auch die Unterhaltungselektronik oder Textilien aus Kunstfasern, PET-Flasche und Behälter aus Kunststoff veränderten den Energie- und Ressourcen Verbrauch von Privathaushalten.
Plastik wurde ein immer größerer Bestandteil des alltäglichen Lebens. Während des Zweiten Weltkrieges wurde in den USA vom Militär die Vielseitigkeit von Plastik entdeckt. Nach Kriegsende suchten die Unternehmen nach neuen Plastikmärkten und es entstanden Produkte wie beispielsweise Frischhaltefolien, Nylonstrümpfe oder Tupperwaren. In den 60er Jahren stieg die globale Plastikproduktion um 400 Prozent.
Bis Mitte des 20. Jahrhunderts betrug der Plastikmüll 1.7 Millionen Tonnen, während er heute 335 Millionen Tonnen beträgt. Bens Eltern sind Teil der amerikanischen, oberen Mittelschicht und verkörpern die vom Materialismus und Konsum besessene 50er-Jahre-Generation. Die Eltern selbst sind künstlich und steif. Sie haben eine feste Haltung, sind lächerlich gekleidet und verhalten sich übertrieben.
In den 60er Jahren stieg die globale Plastikproduktion um 400 Prozent.
Ben stellt diese Generation in Frage. Wiederholt sagt er seinen Eltern oder Freunden der Eltern, dass er sich Sorgen um seine Zukunft macht, sich wünscht, dass seine Zukunft anders wird. Der Generationskonflikt wird an Bens Geburtstagsfeier deutlich. Bens Eltern zwingen den jungen Mann sein Geburtstagsgeschenk, einen Taucheranzug, anzuziehen. Er präsentiert das Geschenk widerwillig den Freunden seiner Eltern. Taucheranzug und Sauerstoffflaschen, die in tiefen Gewässern Unterkühlung und Sauerstoffmangel vorbeugen, werden hier zweckentfremdet und dienen als sinnloses Accessoire. Sie führen den Wohlstand von Bens Eltern vor.
Bens Vater erwähnt sogar, dass der Taucheranzug 200 Dollar gekostet hat. Ben geht steif, fast schon militärisch zum Pool. Die Szene wirkt klaustrophobisch und erstickend. Er wird zu einer unbeweglichen Plastikfigur, wirkt steif und künstlich wie seine Eltern. Sein schweres Atmen unter der Tauchermaske und die Art und Weise, wie er seine Füße ausschnitthaft sieht, gleicht einem Entfremdungsgefühl und einer Panikattacke.
Ben taucht kurz unter und wird mehrmals von den Eltern ins künstliche Gewässer zurückgedrückt.
Er hört seine Eltern nicht reden, sieht, wie sich ihre Münder bewegen, was die Distanz zu seinen Eltern unterstreicht. Ben taucht kurz unter und wird mehrmals von den Eltern ins künstliche Gewässer zurückgedrückt, um die Funktion des Taucheranzuges ausreichend zu präsentieren. Ben steht wie kleines Männchen auf dem Grunde des Pools. Man sieht ihn verschwommen aus der Einstellungsgröße der Totalen. Das unscheinbare Männchen löst sich in der Weite auf. Er hat Ähnlichkeiten mit dem kleinen Taucher in seinem Aquarium.
Eine Plastikfigur in einem künstlichen Raum. Bens Beziehung zu Elaine, der Tochter von Mrs. Robinson, einer verheirateten Frau, mit der Ben eine Affäre hatte, ist die einzige Beziehung im Film, die nicht leer und unerfüllt ist. Er öffnet sich Elaine, sagt, dass er sich unverstanden fühlt, dass er Spiele gespielt hat, die keinen Sinn mehr ergeben. Die Welt seiner Eltern und deren Erwartungen sind desillusionierend für ihn. Elaine versteht dieses Gefühl kann sich mit Ben identifizieren. Die beiden emanzipieren sich von der Generation ihrer Eltern und brennen zusammen durch.
Eine Plastikfigur in einem künstlichen Raum.
Doch der anfänglichen Euphorie folgt eine erneute Desillusionierung. Ben und Elaine sitzen im Bus umzingelt von Menschen der älteren Generation, die sie fragend mustern. Die beiden gucken einander an, lachen und wirken plötzlich bedrückt und melancholisch. Sie kennen sich eigentlich kaum und ihre Zukunft ist unklar. Sie haben sich gegen ihre Eltern aufgelehnt, beginnen ihr eigenes Leben zu leben und sind dabei, erwachsen zu werden. Die Emanzipation der beiden geht Hand in Hand mit Ungewissheit und Melancholie. Die neugewonnene Freiheit stellt gleichzeitig eine Unsicherheit, Überforderung und Angst vor einem selbstständigen Lebensweg dar.
Der Film entstand Ende der 60er in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs, in einer Zeit, die von einer rebellischen, explodierenden Jugendkultur geprägt war. Die Konsumbesessenheit und der Konservatismus der Eltern wurden abgelehnt. Es entstand eine neue Popkultur, und ein neues Umweltbewusstsein und das vorherrschende Frauenbild und sexuelle Bewusstsein wurden revolutioniert.
Die Konsumbesessenheit und der Konservatismus der Eltern wurden abgelehnt.
Der passive Ben spiegelt den Zeitgeist der Jugendkultur der 68er auf indirekte Art und Weise indirekt wider. Heute leben wir in einer Wegwerfgesellschaft, in der die Umweltverschmutzung ein hohes Ausmaß angenommen hat und geplanter Verschleiß kein Fremdwort ist.
Plastik ist aus dem alltäglichen Leben kaum noch wegzudenken und umfasst eine Reihe von Wegwerfprodukten und Billigartikeln. Es ist überall und verschmutzt unsere Umwelt.
Plastik ist überall und verschmutzt unsere Umwelt.
In der modernen Konsumgesellschaft sind wir von Herstellungs- und Entsorgungsprozessen entfremdet. Verschwendung Bequemlichkeit und Gewohnheit zeichnen unserer Verhalten. In unserem Bewusstsein ist nicht verankert, dass Gegenstände vor und nach der Benutzung Energie verbrauchen oder nicht richtig entsorgt werden. Die Zersetzung von Plastik kann beispielweise bis zu 450 oder 600 Jahre dauern.
Die Umweltverschmutzung durch Plastik, aber auch eine neue Jugendrebellion sind zur Zeit in den Medien allgegenwärtig. Die Jugend hat ein neues Umweltbewusstsein und lehnt sich gegen Gewohnheiten der Eltern auf und gegen die Marginalisierung des Klimawandels auf. Vielleicht wird diese Entwicklung auch ein neues gesamtgesellschaftliches Bewusstsein der Jugend prägen.
Headerfoto: Stockfoto von garetsworkshop/Shutterstock. („Heal the World“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!