Wenn man sich die aktuellen Statistiken anschaut, kann man neben den negativen Auswirkungen der Coronakrise auch positive Tendenzen erkennen: In China ist die Luftverschmutzung rapide zurück gegangen. Einige Kinder dort sehen zum ersten Mal in ihrem Leben einen blauen Himmel. Durch den geringeren Flugverkehr war der Co2-Ausstoß noch nie so gering wie jetzt. In Venedig hat das Fehlen der Kreuzfahrtschiffe zu klarerem Wasser und sogar zu mehr Platz für Delfine geführt.
Plötzlich finden Unternehmen, Institutionen und wir alle Lösungen für Dinge, die vorher nicht möglich schienen: Viele Konferenzen finden jetzt digital statt, die früher nur durch persönliche Anwesenheit und damit durch viele Flugreisen möglich zu sein schienen. Auch Homeoffice ist plötzlich für viel mehr Menschen möglich. Das Schulsystem erlebt eine digitale Revolution, die schon lange anstand.
Es findet ein Umdenken statt und neue Möglichkeiten werden geschaffen
So herausfordernd und für manche von uns sogar existenziell diese Situation gerade ist, führt sie auch dazu, dass viele Menschen offensichtlich umdenken und neue Möglichkeiten erschaffen. Sie nutzen die Krise für sich und ihre persönliche Weiterentwicklung, indem sie nicht in Angst verfallen, sondern sich darin trainieren, im Vertrauen zu bleiben. Vor allem im Vertrauen in sich selbst, dass sie, egal was kommt, die Situation meistern werden. Dass sie nicht alles kontrollieren können, was ihnen passiert, aber das sie es immer selber in der Hand haben, wie sie darauf reagieren.
Doch was braucht es dafür, dass diese Krise nicht nur ein kurzes Strohfeuer der Veränderung ist, sondern zu einem wirklich nachhaltigen dauerhaften Wandel führt? So dass nicht alle, sobald die Krise vorbei ist, sofort wieder in das alte Fahrwasser zurück fallen? So dass sich auch nach der Krise die Kreuzfahrtschiffe nicht gleich wieder in die venezianischen Kanäle drängen, und dass der Himmel blau bleibt.
Was bedarf es, dass die Chance für einen wirklichen Bewusstseinswandel genutzt wird? So dass wir in ein paar Jahren nicht wieder vor der nächsten Krise stehen, da viele einfach wieder in alte Verhaltens- und Denkweisen zurückgefallen sind.
Nicht in alte Muster zurückfallen
Denn du kennst das bestimmt auch selbst: Nach einer besonders stressigen Zeit nimmst du dir vor, jeden Tag zu meditieren oder Yoga zu machen, und einige Zeit hältst du es auch durch, bis du wieder genauso gestresst handelst wie vorher. Oder denk mal an das Versprechen nach einer durchzechten Nacht, nicht mehr so viel Alkohol zu trinken, das dann nur bis zum nächsten Wochenende reicht.
Den Vorsatz, nach einem finanziellen Engpass nicht mehr so viel unnötige Dinge zu kaufen – der dann bei der nächsten Gelegenheit wieder vergessen wird. Das Versprechen, seinem*seiner Partner*in mehr Aufmerksamkeit zu schenken, das dann im Alltagsstress wieder untergeht. Das Versprechen, sich selbst pfleglicher zu behandeln, das dann doch schnell wieder in Selbstentwertung mündet.
Um eine Krise wirklich für einen dauerhaften Wandel zu nutzen, braucht es mehr, als nur sein Verhalten zu ändern. Es braucht sogar mehr, als nur sein Denken zu ändern. Es braucht einen wirklichen Bewusstseinswandel, eine Bewusstseinstransformation.
Das unersättliche Streben nach Selbstoptimierung beruht oft genau auf dem gefühlten Mangel, der auch Ursache vieler anderer Probleme unserer Welt ist.
Und das bedeutet nicht, dass du dir zusätzlich zu der Last der Krise auch noch die Last des Selbstoptimierungsdrucks aufladen sollst. Das wäre mehr vom Alten und kein Ausdruck von Wandel – so paradox es sich anhört. Denn das unersättliche Streben nach Selbstoptimierung beruht oft genau auf dem gefühlten Mangel, der auch Ursache vieler anderer Probleme unserer Welt ist.
Der gefühlte Mangel, der uns glauben lässt, wir bräuchten mehr Kleidung, mehr Fernreisen, einen neuen Job, eine*n bessere*n Partern*in. Mehr Anerkennung – immer nur mehr, mehr, mehr, um glücklich zu sein und ein erfülltes Leben leben zu können. Der gefühlte Mangel, der uns vergessen lässt, was wir alles haben, wer wir schon sind, was alles schon da ist. Der künstliche Mangel, der uns dazu bringt, uns nur noch um unsere eigenen Bauchnabel zu drehen, und damit die Chance der Erfüllung im Blick nach außen, hin zu anderen, verpassen lässt.
Das Streben nach Selbstoptimierung beruht auf dem Irrglauben, du seist so, wie du bist, noch nicht genug, du müsstest erst noch im Außen etwas hinzufügen, statt im Inneren etwas los zu werden. Damit wir uns nicht missverstehen: Das bedeute nicht, dass du die Krise nicht auch hervorragend für deine persönliche Weiterentwicklung nutzen kannst – aber nicht, um noch mehr in ein vom Mangel bestimmtes Fass ohne Boden zu kippen, sondern, um das Fass endlich los zu werden.
Persönliche Weiterentwicklung bedeutet nicht, dass du immer noch mehr hinzufügen musst, sondern viel mehr, dass du etwas los wirst: nämlich alle Überzeugungen, Meinungen und Glaubenssätze, die Mangel, Angst und Misstrauen erzeugen.
Statt Selbstoptimierung, lieber Selbstbefreiung. Anstatt, dass du noch mehr tust und hinzufügst, um dich selbst wertzuschätzen, gib besser die irrige Überzeugung auf, du seist nicht gut genug. Persönliche Weiterentwicklung bedeutet nicht, dass du immer noch mehr hinzufügen musst, sondern viel mehr, dass du etwas los wirst: nämlich alle Überzeugungen, Meinungen und Glaubenssätze, die Mangel, Angst und Misstrauen erzeugen.
Es ist ok, wenn du die Möglichkeit dazu hast, die durch die Pandemie entstandene freie Zeit mit der Familie zu genießen und wertzuschätzen, statt dich zu zwingen, die Zeit auf jeden Fall sinnvoll zu nutzen. Noch mehr zu lernen oder zu optimieren.
Es ist ok, lieber mal mehr weg zu lassen, statt noch mehr zu machen. Dann ist genau das Weglassen der Sinn. Und es ist auch ok, wenn deine Zeit sinnvoll nutzen willst. Um etwas Neues zu lernen oder aufzubauen. Die Zeit für Kreativität und Produktivität zu nutzen.
Denn es kommt nicht darauf an, was du tust oder nicht tust, sondern aus welchem Modus heraus du es tust. Mit welchem Antrieb, mit welcher Absicht oder aus welchen Motiven heraus. Aus Mangel – oder aus Fülle heraus. Ein wirklicher Wandel wäre, egal was du tust, es nicht mit der Absicht zu tun, einen gefühlten Mangel zu stopfen, sondern als Ausdruck von Fülle.
Wikipedia definiert eine Krise wie folgt: „Die Krise bezeichnet im Allgemeinen einen Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging und die eher kürzer als länger andauert.“
Bei einer Krise muss die Funktionsstörung erkannt werden und eine wirkliche Lösung gefunden werden
Um daher die Wurzel der Krise im Kern zu lösen, gilt es, die Funktionsstörung zu identifizieren und zu beheben. Eine Funktionsstörung ist mit Sicherheit der gefühlte Mangel sowie zu viel Angst und Misstrauen, welche es nicht nur oberflächlich zu verändern gilt, sondern wirklich im Kern zu wandeln.
Wie bei einem Auto, bei dem ein Warnlampe leuchtet, es nicht von langer Wirkung ist, einfach die Lampe abzuschrauben. Sondern vielmehr zu erforschen, woher das Problem kommt, und dieses im Kern aufzulösen, damit das Problem nachhaltig behoben ist. Wir sind zwar keine Autos, aber leuchtende Warnlampen können wir bei uns auch erkennen.
Wie jede Krise birgt auch diese eine Chance für einen wirklichen Wandel. Darüber sind sich auch viele Menschen einig. Eine Chance nicht nur für jede*n Einzelne*n, sondern sogar für die ganze Gesellschaft. Für die ganze Welt.
Auch wenn die Krise mit großen Herausforderungen einhergeht, bietet sie doch die Möglichkeit, gestärkt daraus hervorzugehen. Wer will, kann schon die ganzen Phönixe sehen, die in ganz neuen Farben emporsteigen.
Wer jetzt Angst hat, keiner dieser Phönixe zu sein, und dass diese Krise weder zu einem persönlichen noch einem globalen Wandel führt, ist genau mit der Angst, dem Mangel und dem Misstrauen in Kontakt, die es zu wandeln gilt. Wer von uns genau diese Zustände bei sich erkennt und sie nicht nur schönredet, sondern wirklich wandelt und auch danach handelt, trägt nicht nur zu seinem persönlichen Wandel, sondern auch zu einem globalen nachhaltigen Wandel für uns alle bei.
Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.
Headerbild: Charles Deluvio via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!