Teil 1 des Textes („Mein Weg vom Veganismus zum Minimalismus“) gibt es hier.
WWas hat uns das ganze Minimalisieren – das nun noch längst nicht abgeschlossen ist – eigentlich gebracht? Viel, sehr viel. Es hat sich in einer Weise auf unser Leben ausgewirkt, die man schon fast als umkremplerisch beschreiben kann.Platz!
Ziemlich trivial, aber ja: Wir könnten nun ohne mit der Wimper zu zucken wieder in unsere ehemalige schnuckelige 60-Quadratmeter-Wohnung rückeinziehen und hätten sicherlich noch immer mehr als genug Platz.
Kein Krimskrams mehr, der die Regale verstopft, den Blick einfängt und um den man kompliziert drumherumwischen (oder auch nicht) muss. Kein wöchentliches Geächze, weil man nicht weiß, wohin mit den gerade geshoppten neuen Liebhabereien. Keine Unordnung, die sich nicht innerhalb von zehn Minuten beseitigen ließe. Kurzum: Wir. Haben. Platz.
Manchmal bin ich immer noch ganz verliebt in unsere neuen alten Räume, die nun trotz Alter des Hauses und obwohl die Wohnung nicht meinem persönlichen Living-Traum entspricht, durch das Weniger wie verwandelt aussehen. Ein bisschen so, als hätten sie ihr Hochzeitskleid angezogen.
Was will ich eigentlich? Stilfindung und Identitätsentdeckung
Das Reduzieren bringt aber noch einen ganz anderen, mindestens ebenso wesentlichen Vorteil mit sich, der natürlich eng an den ersten gekoppelt ist: Man weiß auf einmal, was man will. Findet seinen eigenen Stil. Zumindest ging mir das so – und die Folgen dieser Entdeckung halten bis heute an.
Das Problem mit dem Vielbesitzen ist nämlich nicht nur, dass die Gegenstände physischen Platz wegnehmen, sondern dass sie das auf der psychischen Ebene genauso tun.
Das Problem mit dem Vielbesitzen ist nämlich nicht nur, dass die Gegenstände physischen Platz wegnehmen, sondern dass sie das auf der psychischen Ebene genauso tun. Das bedeutet konkret: Durch die unglaubliche Überflutung mit den Massen an Dingen, die irgendwie alle nicht zueinander passen, im Affekt gekauft und für singulär, aber nicht kollektiv schön befunden wurden, konnte sich bei mir kein richtiger Stil in dem Sinne entwickeln, dass ich wirklich wusste, was ich eigentlich will.
Wie ich mich kleiden, wie meine Wohnung gestalten möchte. Welchen Stil ich meinem Leben zugrundelegen möchte und was das eigentlich über mich aussagt. Das sind Dinge, über die ich mir bisher herzlich wenig Gedanken gemacht hatte – ich kaufte einfach das, was man so von der Werbung als kaufenswert eingetrichtert bekommen hatte. Woraus sich ein irrsinniger Mix aus Farben, Stilen, Mustern, Schattierungen, angedeuteten Ich-Entwürfen, die aber nie zu Ende gedacht wurden, ergab. Ein Chaos.
Als wir begannen, die überflüssigen Dinge radikal rauszuschmeißen, stellte sich die erwähnte Freiheit/Erleichterung nicht nur aufgrund des räumlichen Platzes ein: Mit jedem Teil, von dem ich mich trennte, weil ich wusste, dass es (aus welchen Gründen auch immer) nicht (mehr) zu mir gehörte, mich nicht mehr ausmachte, ich mich also nicht mit ihm identifizieren konnte – mit jedem dieser aussortierten Teile wusste ich automatisch ein bisschen mehr darüber, wie ich mich zukünfig entwerfen wollte und wer ich eigentlich war.
Identifikation durch Ablehnung – das älteste aller Spiele griff auch hier. Es war ein bisschen so, als hätten die Gegenstände nicht nur die Räume unserer Wohnung, sondern auch diejenigen meiner Seele zugestellt gehabt.
Konzentration auf das Wesentliche
Die letzte und aus den anderen Dingen resultierende Wirkung, die eine Hinwendung zum Minimalismus für uns gehabt hat, ist die Konzentration auf das Wesentliche – in allen Lebensbereichen.
Das beginnt beim simplen Durch-den-Raum-Schauen, das dem Auge auf einmal so viel leichter fällt, weil entsprechender Platz nicht voller bunter, durcheinandergewürfelter Farbkleckse ist, und endet bei einer allgemeinen Entspanntheit, was Kaufen, Nicht-Kaufen, Aufbrauchen und das Leben generell betrifft.
Wir müssen nicht mehr jeden Samstag in die Shoppingmeile laufen und uns mit Klamotten eindecken, um uns gut zu fühlen. Stattdessen nutzen wir die Zeit für uns, lesen ein gutes Buch, schreiben oder verbringen Zeit zusammen.
Wir stressen uns nicht, weil wir Gegenstand xy bei dieser oder jener Person gesehen haben (oder in der Werbung – die wir übrigens kaum noch konsumieren) und nun ebenfalls unbedingt und sofort genau das haben müssen. Müssen wir nicht.
Wir sind kreativer geworden – Kartoffeln sind schließlich immer im Haus. Mach‘ was aus dem, was da ist. Streng‘ deinen Kopf an.
Wir müssen auch nicht zwingend einkaufen gehen, wenn wir da jetzt keine Lust drauf haben. Dann gehen wir eben morgen. Wir sind kreativer geworden – Kartoffeln sind schließlich immer im Haus. Mach‘ was aus dem, was da ist. Streng‘ deinen Kopf an.
Entspannung
Es ist eine grundlegende Ich-muss-erstmal-gar-nichts-Erleichterung, die uns der Minimalismus beschert hat. Ein bisschen (viel) mehr Lebensqualität, obwohl wir nicht über Nacht Millionäre oder Erben geworden sind. Ein bisschen mehr Zufriedenheit mit uns und dem Leben.
Hast du ähnliche Erfahrungen mit dem Minimalismus machen können?
P.S.: Der Einfachheit halber habe ich in diesem Artikel stets von uns als „Minimalisten“ gesprochen. Ich weiß nicht, ob es überhaupt eine allgemeingültige Definition des Begriffs gibt – aber wir möchten uns nicht prinzipiell auf ein Label festlegen, das nun an uns kleben soll wie die sprichwörtliche Fliege am Honig. Wir sind keine 100-Dinge-Besitzer, keine Konsum-Asketen. Wir achten nur ein bisschen drauf, was wir tun – und dafür hat sich im Diskurs der Begriff des „Minimalisten“ eingebürgert, den wir hier darum ebenfalls nutzen.
„angedeutete Ich-Entwürfe“ finde ich toll, liebe Jenni! Das empfinde ich teilweise leider immernoch so, aber das Gefühl schwindet zumindest, was meinen Kleidungs- und Einrichtungsstil angeht.
xx
Der Artikel macht auf mich tatsächlich nicht den Eindruck, dass es hier um Minimalismus geht. Selbstfindung und Achtsamkeit passen hier viel mehr, finde ich. Die hier gewonnenen Erkenntnisse bleiben dennoch sehr wichtig und wertvoll.