Julian Heun | Strawberry Fields Berlin
Auf den Punkt gebracht:
Zwei Typen. Schüttler, der zynische Großstadtopportunist mit dem beschissensten aller Jobs gleich nach dem Blogger: Boulevard-Journalist. Und der junge Robert, der vor lauter Alltag keinen Bock mehr hat und seiner Ollen ab nach Indien ins Hippie-Camp folgt. Zwei Lebensentwürfe und doch so viel gemeinsam. Pointenrakete Julian Heun hat einen losgerissen. Hornbrillenbashing inkl.
Wer soll es lesen:
Poetry Slam Lovers, Neurotiker, hässliche Hipster, Early Adopter, Paradiesvögel, Selberdenker, Ich-Kult-Anhänger, Größenwahnsinnige, heimliche Menschenhasser, American Apparel-Brandstifter, Täglich-Duscher, Tino Hanekamp-Leser
Ich bin ein kleines Tier in der Horde, ein etwas zu zappeliger Fisch im großen Schwarm dieser bunten Fahrzeuge, durch deren Lack der Rost wie kleine Schuppen platzt, wie sie sich umeinanderwuseln, in einem eigenen, für mich undurchschaubaren Rhythmus, und immer wieder blechern hupen.
Ist geil, weil:
Man kann diesem Debütroman, der bereits 2013 erschienen ist, durchaus vorhalten, ein wenig handlungslahm zu sein und irgendwie ist der Hass auf Hipster zwei Jahre später mindestens genauso hassenswert geworden. Trotzdem kann der Mann mit dem so schön braun gelockten Haar etwas, das mit seinen gerade mal 25 Lenzen nicht alle drauf haben. Er kann mit Sprache. So gut, dass die Zeile „es ist Zeit für ästhetischen Terrorismus“ Programm ist. Heun schreibt auf hohem, temporeichem Niveau und mit jener komischen Wortgewalt, die in der Poetry Slam-Szene wie kleine Pillen in die Getränke der Künstler gemischt werden muss. Aus dieser stammt er jedenfalls und hat nach etlichen Titelgewinnen seine Überdosis auf 221 Seiten in einem Kaleidoskop aus Wörtern und Vergleichen zum Besten gegeben. Also jetzt nochmal: Wenn Heun die Droge ist, dann ist ‚Strawberry Fields Berlin‘ die Ekstase und du der Konsument, der danach auf Entzug muss.
Julian im Schnellcheck:
Das Mieseste, das du jemals in einem Streit rausgehauen hast?
Wenn ich richtig böse bin, kann ich ein wirklich unangenehmer Streitpartner sein, deswegen hab ich schon eine Menge Mieses gesagt, das lieber kein zweites Mal ausgesprochen werden sollte.
Wann darf man ein Kind schlagen?
Nie. Außer es ist Papst Franziskus.
Weißt du, wofür LSD steht?
Tatsächlich. Ja. Lysergsäurediethylamid.
Welche Walt-Disney-Prinzessin entspricht am ehesten deiner Traumfrau?
Keine. Ich will Pocahontas.
Wer ist erfolgreicher bei Frauen. Heun der Schriftsteller oder Julian der Poetry Slammer?
Die haben beide mangels Skills und hochgradiger Schüchternheit recht übersichtliche Aufreißquoten.
Heun! Erstmal muss ich wissen, wie du zum Poetry Slam gekommen bist?
Ich hab schon als kleines Kind Gedichte geschrieben. Allerdings nicht, weil ich meinen philosophischen Weltschmerz ausdrücken musste, sondern weil meine Eltern immer etwas Selbstgemachtes zu Weihnachten und zum Geburtstag wollten. So von 13 bis 17 musste ich hart pubertieren und hatte keinen Platz für Lyrik. Als ich dann wieder angefangen habe, las ich irgendwann im Programmteil einer Tageszeitung. „Poetry Slam im Bastard“. Ich hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Aber es klang verwegen. Dann bin ich da hin und war sofort verliebt. Ich wusste, dass das, was ich bis dahin geschrieben hatte, da nicht hinpassen würde. Aber ich wollte unbedingt etwas schreiben, das auf diese Bühne passt. Dann habe ich einen Slam Workshop bei Wehwalt Koslovsky besucht und der hat mich auf die Bühne getrieben.
Muss man als Slammer eigentlich Bühnen-Qualität mitbringen?
Absolut. Die halbe Miete ist Performance. Wenn nicht mehr. Mit einem mittelmäßigen Text und einer guten Performance kommt man weiter als mit einem guten Text und einer mittelmäßigen Performance.
Du bist schon fast ein alter Hase. Wenn du nach Jahren der harten Arbeit dann den Computer startest und auf einmal Julia Engelmann siehst, die aus dem Nichts 7 Millionen Klicks bekommt, welche Stadien durchläuft man dann seelisch?
Puh. Das ist eine gute Frage. Julias Erfolg hat viele sehr neidisch gemacht. Sind wir mal ehrlich: Ich war auch neidisch. Aber dann hab ich an all das gedacht, was ich bekommen habe und vielleicht nicht unbedingt verdient hatte. Dann war auch wieder gut. Julia ist ein cooles Mädchen und das ist ein solider Text. Sei ihr gegönnt.
Okay, also Text und Performance ist beides wichtig, check. Julia Engelmann taugt was, check. Ich persönlich steh auf die Texte, die auch mal etwas länger sind und eine Geschichte erzählen. Davon hast du viele. Wie entstehen deine Texte?
Ich dusche, rede und rappe dabei wirr vor mich hin. Dann habe ich eine Idee und notiere sie auf meinem wasserfesten Notizblock. Die Idee macht eine Reihe von Kontrollen durch. Sobald ich weiß, was ich ungefähr sagen will und ein grobes Formkonzept habe, fange ich an zu schreiben. Und dann setzte ich mich so oft ran, bis der Text fertig ist. Meist ändere ich nach den ersten Vorträgen noch Kleinigkeiten.
Ich schätze, der Schreibprozess bei deinem Buch ist schon ein anderer gewesen, oder?
Absolut. Einen Roman schreiben ist völlig anders. Ich musste mir das auch erst beibringen bzw. bringe es mir immer noch bei. Ich lebe entweder in Prosa- oder Lyrikphasen. Es geht nur eins. Als ich an dem Roman geschrieben habe, konnte ich keinen einzigen Vers Lyrik schreiben, musste mich isolieren und hab mich häufig einfach in den Zug gesetzt und bin irgendwo hingefahren, damit ich kein Internet und kein Berlin um mich hatte. Berlin-Göttingen, was essen am Bahnhof und dann zurück. Man ist abends zu Hause und hat ein neues Kapitel.
Also Schüttler ist mit seinem Weltschmerz und dem Hass auf die „urbanen Szeneaffen“ eher so bei den kaputtesten Zeitgenossen anzusiedeln. Wie kam es zu dieser Figur?
Der Schüttler ist irgendwann in meinen Kopf gelaufen. „Wer bist du denn?“, hab ich gedacht. „Und wie bist du so komisch geworden?“
Ich finde, das ist die interessanteste Frage, die das Buch stellt. Überhaupt im Kontext unserer Zeit ist es DIE Frage. Wann werden aus Kindern Arschlöcher? Wann fängt man an die CDU zu wählen? Wann genau, wann gibt man seine Ideale auf? Wer ist schuld?
Ja, das ist der Punkt. Menschenfeind wird und ist man nicht einfach. Es ging mir auch ein bisschen um die Flüchtigkeit von Weltanschauungen. Manche Menschen ziehen sich Weltanschauungen an und legen sie ab wie Kleidung. Sie gehören zu einem Lifestyle-Paket von Wünschen, Idolen, Musik und einer Art sich zu geben. Besonders im Zeitalter der digitalen Selbstinszenierung. Dahinter steht auch die Frage: Wieso will ich das, was ich will? Wer hat mir die Träume in den Kopf gezimmert? Bis zu einem gewissen Ausmaß beantwortet das Buch die Frage ja. Und der Rest bleibt leider geheim. Wie ist es denn bei dir?
Ach, ich halte so lange an meinen Idealen fest, bis mal einer mit viel Geld winkt. Naja, ich mach was mit Büchern… Ich darf meine Ideale vermutlich behalten.
Ich hab vorhin überlegt, ob ich It-Girl werden sollte. Letzten Sonntag war ich nämlich beim K.I.Z. Konzert nur für Männer, die als Frauen verkleidet sind. Ich war ein prächtiges It-Girl!
Du bist 25 Jahre. Also hast du schon erste Robert/Schüttler-Erscheinungen?
(Hustet.) Entschuldige, ich bin 24.
Verdammt!
Ich mach nur Quatsch. 25 stimmt schon. (Lacht.)
(Ich nicht.)
Also ich hatte noch nicht so viele Erscheinungen. Aber ganz leichte sind da wohl. Manchmal beobachte ich in mir einen unbändigen Drang nach schnellem Spaß. Es darf keinen Alltag geben, keine Mühseligkeit. Alles soll mit Musik unterlegt sein und einzigartig. Das ist anstrengend auf die Dauer und ich weiß nicht, wo das herkommt. Schüttler lässt grüßen.
Nur mal so:
Regelmäßige Kicks kannst du dir bei Heuns Slamshow und Lesebühne Spree vom Weizen mit Till Reiners, Frank Klötgen, Wolf Hogekamp und Ken Yamamoto in der Ritter Butzke holen. Am 3.4. (also diesen Freitag) feiern die eine dicke Party zu ihrem 4-jährigen Jubiläum.
Eine verdammte Radiosendung hat der Typ übrigens auch! Zusammen mit Till Reiners (noch so einer!) gibt es bei Radio Fritz am 9.4. um 22 Uhr das nächste Mal Blue Moon.
Wir bedanken uns an dieser Stelle recht herzlich bei unserem wundervollen Kameramann Jakob Kienzerle. Und natürlich bei dem schönsten Ort im Wedding: Café Pfoertner!
Julian Heun „Strawberry Fields Berlin“, erschienen im Rowohlt Verlag, Taschenbuch für 9,99 Euro (auch als E-Book erhältlich für 9,99 Euro).
Kann man Intelligenz eigentlich essen? Und warum werdet ihr nie satt? Ich bedankte mich für euer Sein. Es lässt mich doch noch an die Jugend von heute glauben.☺