Es war in der Tat nicht mein erstes Mal auf einem Online-Dating-Portal. Zwar lag meine Tinder-Erfahrung schon einige Zeit zurück, aber die Erinnerung daran war alles andere als verblasst. Die Irrungen und Wirkungen dieser Zeit samt enttäuschter Erwartungen waren mir lebhaft im Gedächtnis geblieben.
Man könnte meinen, sich alleine im Tinder-Dschungel zu behaupten, sei schon eine Herausforderung für sich und erfordere ein großes Maß an Durchhaltevermögen sowie endloser Zuversicht. Aber ich hatte keine Ahnung, wie viel anspruchsvoller diese Art der „Jagd“ sein würde.
Zu zweit ist nicht alles einfacher
Hier saßen wir nun also vor dem Bildschirm: Zwei Menschen, die sich in einer heterosexuellen Verbindung zueinander befinden, diese aber wider alle Erwartungen von außen nicht selbst als (klassische) Beziehung etikettieren. Zwei, die sich in den vergangenen zehn Monaten besser kennengelernt haben als viele ihrer engen Freund*innen oder jahrelangen Expartner*innen.
Auch an dieser Stelle veränderte der Einfluss von Corona uns und unsere Pläne. Andernfalls wären wir wohl nicht so schnell in die Verlegenheit gekommen, über mehrere Wochen – ohne persönlichen Kontakt zu anderen – gemeinsam die 40 Quadratmeter einer Einraumwohnung zu bewohnen und eine gänzlich neue Nähe zueinander zu erleben.
Und ohne den Corona-Lockdown wären wir nun wohl auch nicht so ambitioniert dabei, unser gemeinsames Profil (auch das ist schon mal ein großer Unterschied zum regulären Online-Dating) mit unseren höchstpersönlichen Vorlieben und Neigungen zu befüllen.
Wie wir so mit leichtfüßiger Heiterkeit bei einem Gleis Weißwein unsere intimsten Vorstellungen in die Weiten des Internets tippten, hätte man meinen können, wir schreiben gerade in ein lustiges Poesiealbum.
Wie wir so mit leichtfüßiger Heiterkeit bei einem Gleis Weißwein unsere intimsten Vorstellungen in die Weiten des Internets tippten, hätte man meinen können, wir schreiben gerade in ein lustiges Poesiealbum. Nur dass wir da nicht „Cunnilingus“ und „Beim Sex zuschauen lassen“ reingeschrieben hätten – obwohl das vielleicht auch mal ein interessantes Geschenk innerhalb des eigenen Bekanntenkreises wäre.
Jetzt mal Tacheles
Auf eine gewisse Art machten wir uns nackig, obwohl wir im rein fotografischen Sinne noch recht angezogen waren. Anstatt unsere Galerie mit ausladenden Brust- und Schwanzfotos anzureichern, entschieden wir uns für eine geschmackvolle Auswahl unserer schönsten Urlaubsfotos. Unsere sexuelle Freizügigkeit spielte sich maximal im überschaubaren Rahmen eines Kussfotos im Hotelpool ab.
Expliziter wurden wir hingegen in unserer Profilbeschreibung: „Wir sind in einer polyamoren Liebesverbindung und wünschen uns die Gelegenheit, neue Erfahrungen zu machen. Vor allem würden wir uns freuen, einen Mann kennenzulernen, der Lust auf MMF-Dates hat.“
Da stand es nun also – schwarz auf weiß. Wir verwendeten zwar nicht unsere Klarnamen, aber aufgrund unserer Fotos wäre kein Leugnen mehr möglich gewesen. Und die ersten Reaktionen und Anfragen ließen nicht lange auf sich warten.
Wonach suchen wir eigentlich wirklich?
Dabei wurde uns immer mehr bewusst, dass wir auf der Suche nach einem menschlichen Einhorn waren: ein attraktiver und sympathischer Mann, der sich ebenfalls für eine Begegnung zu dritt interessiert und sich zudem auch noch vorstellen könnte, gewisse Zärtlichkeiten mit dem zweiten Mann auszutauschen. Besonders Letzteres stellte sich als Rarität heraus. Viele Männer, die durchaus in Frage gekommen wären, schlossen diesen Punkt für sich schon mal kategorisch aus.
Ein attraktiver und sympathischer Mann, der sich ebenfalls für eine Begegnung zu dritt interessiert und sich zudem auch noch vorstellen könnte, gewisse Zärtlichkeiten mit dem zweiten Mann auszutauschen? Eine Rarität.
Unsere Lernkurve war überraschend steil: Natürlich gab es in unseren Köpfen Fantasien und Idealvorstellungen, wie so ein MMF-Date aussehen und verlaufen könnte, aber mit Fragen nach den Details und nach expliziten Fotos, die unsere Geschlechtsteile abbildeten, waren wir definitiv überfordert. Wenn aus einer Fantasie eine Realität werden soll, fällt meistens erstmal auf, wie lückenhaft diese reizvolle Traumvorstellung war – und wie unbeholfen wir doch sind.
Immer wieder wurden wir auf uns selbst zurückgeworfen: Was wollen wir eigentlich? Welche Bedürfnisse können wir schon benennen und welche Grenzen wollen wir dabei setzen? Womit fühlen wir uns noch wohl und was geht zu weit? Es war sehr interessant, wie viel wir in diesen ungewöhnlichen Dialogen mit gleichgesinnten Fremden auch über uns beide selbst, unsere sexuellen Wünsche und unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung erfuhren.
Unsere Neugier und Lust trieben diese aufregende Suche an, aber wir kamen auch damit in Kontakt, für welchen Preis dieses Abenteuer zu haben sein würde. Die Währungen hießen Eifersucht, Verlustangst und Selbstzweifel.
Und: Es gab Überraschungen, die uns das Gefühl vermittelten, in einem Achterbahnwaggon zu sitzen. Die Sehnsucht nach einer dritten Person hatte uns hierher gebracht. Unsere Neugier und Lust trieben diese aufregende Suche an, aber wir kamen auch damit in Kontakt, für welchen Preis dieses Abenteuer zu haben sein würde. Die Währungen hießen Eifersucht, Verlustangst und Selbstzweifel.
Da, wo unsere größten Ängste liegen, versteckt sich auch das meiste Potenzial. Ohne die schmerzhaften Gefühle sowie den Verlust von Kontrolle und Sicherheitsillusion, würde der Lust, Sehnsucht und dem Trieb eben auch die Spannung, ja die Zugkraft fehlen. Das Grenzüberschreitende, das Verbotene und Fordernde, all das fühlte sich nach Lebendigkeit und Mut an.
Sicherheit ist und bleibt eine Illusion
Zu spüren, wie sehr unsere alten Denkmuster und Versagensängste getriggert werden, wir uns alleine und unzureichend fühlen, gleicht einer Welle aus Überforderung. Wir gieren nach Sicherheit und Kontrolle – ohne wahrhaben zu wollen, dass wir immer vergebens danach suchen werden.
Gemeinsam einen Mann zu suchen, der das Wunder vollbringt, all die Einhornqualitäten in sich zu vereinen, ähnelt einer Schatzsuche. Und vermutlich wird es am Ende nicht um das Finden eines solchen gegangen sein, sondern um das Ankommen bei uns selbst und unseren Anteilen, die schon so lange nach Anerkennung und Akzeptanz in uns gesucht haben.
Erst wenn wir aufhören zu suchen, dann finden wir
Übrigens ist das Online-Daten zu zweit dann letztendlich doch gar nicht so anders. Denn auch hierbei geht es um das „Sich zeigen und erkannt werden“, um das Ausprobieren und sich täuschen, dran- und zuversichtlich bleiben und mutig sein. Und an dem Punkt, wo wir aufhören, angestrengt zu suchen, finden wir auf einmal jemanden, der einem Einhorn überraschend ähnlich sieht. Wer weiß, vielleicht ist es ja am Ende doch (nicht?) zu schön, um wahr zu sein.
Headerbild: Claudia van Zyl via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!