Es war ein warmer Tag im August und trotzdem fror ich. Alles wirkte so unwirklich. Irgendwie nah und dennoch fern. Wie war das nochmal? Ich wollte nach Berlin, um mich selbst zu finden. Ich war bereits auf ’nem verdammt guten Weg. Fühlte mich gefestigt in mir, sah meinen Wert und fand mich selbst ziemlich geil.
Ich wusste, was ich will und wo ich hinwill und irgendwie wusste mein Herz: Für den nächsten Schritt musst du nach Berlin. Raus aus dem zugeknöpften Düsseldorf mit all den Oberflächlichkeiten und vorgelebten Leben. Ich wollte frei atmen, mein echtes, wahres Selbst wirklich entdecken und nicht nur an der Oberfläche kratzen.
Also zog ich ins große B und erlebte eine fantastische Zeit, mein echtes Berlin High. Über Wochen war ich jeden Tag unterwegs, lernte neue Leute kennen, erlebte viel – trotz Corona – und fand einfach nur alles fantastisch. Ich fühlte mich so „Berlin“. Frei, ungebunden, ein unbeschriebenes Blatt Papier. Niemand, der mich kannte, hier konnte ich mich selbst erfinden.
Und genau darin lag der Fehler. Ich dachte, ich komme nach Berlin, um wirklich ich zu sein, aber stattdessen versuchte ich, mein Ich zu kreieren. Ich fühlte mich schön und wild und fantastisch und ja, auch irgendwie besser als manch andere.
Wenn im Tinder-Dschungel plötzlich doch jemand auftaucht, der gefällt.
So unwiderstehlich wie ich mich fand, betrat ich das Online-Dating-Minenfeld mit dem Gedanken, mich auf gar keinen Fall irgendwie festlegen zu wollen. Ich meine, hey… ich befand mich das erste Mal in meinem Leben in einem komplett neuen Jagdgebiet. Was für eine Verschwendung, sich da festlegen zu wollen! Ich musste doch erst mal schauen, was der Markt so zu bieten hat!
Aber ich machte die Rechnung – wie schon so oft – ohne mein Herz. Ich bin nun einmal einfach nicht so. Wenn mir jemand gefällt, dann verliebe ich mich. Und egal, wie viele Narben ich meinem Herzen so schon beigebracht hatte, mein Ego war grad an der Macht und es wollte gestreichelt werden.
Ich laufe auf dich zu und denke mir nur: „Fuck, der gefällt mir.“ Und dass du mir deshalb gefährlich werden kannst.
Zwischen den kurzen Begegnungen hier und da, die sich alle nur aufs Bett beschränkten, wurde ich unzufrieden, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte. Und dann warst auf einmal du zwischen diesen belanglosen Matches. Ich war mir nicht mal sicher, ob du mir gefallen würdest, aber du hast so toll geschrieben, warst echt an mir interessiert, außerdem wohnten wir im selben Kiez … also warum nicht einfach mal anschauen?
Und dann laufe ich auf dich zu und denke mir nur: „Fuck, der gefällt mir.“ Wir gingen etwas essen, sprachen intensiv, ich merkte mit jedem weiteren Wort und mit dem Wissen aus den Nachrichten, die wir im Vorfeld geschrieben hatten, dass mir nicht nur dein Äußeres, sondern auch dein Inneres verdammt gut gefällt. Und dass du mir deshalb gefährlich werden kannst.
Ich rutschte in meine mühsam verdrängten und doch so einwandfrei einstudierten Muster. Ich wollte dir gefallen, ich wollte dich beeindrucken, ich wollte, dass du mich genauso unwiderstehlich findest, wie ich dich … und mich. Und du warst so zurückhaltend, charmant, wertschätzend und liebevoll. Hast mich nicht nur auf das oberflächliche Bild reduziert, das ich von mir selbst gezeichnet hatte, sondern dich für die Substanz hinter der Fassade interessiert.
Was ist das eigentlich mit uns?
Mein Herz hatte das Ego vom Podest geschubst, wollte dass du mich wirklich siehst. Ich zeigte bei diesem ersten Treffen all meine Verletzungen, meine Schwächen und Unsicherheiten. Las dir meine Texte vor, die alle davon handeln, dass ich eigentlich unsicher und verletzt bin und mein Herz Heilung braucht, anstatt sich immer wieder den nächsten Schuss Belanglosigkeit zu setzen, um zu vergessen.
Wir trafen uns ein weiteres Mal, schrieben uns jeden Tag. Unser zweites Mal war unser erstes Mal und ich war überwältigt davon, wie empfindlich mein Körper auf jede deiner kleinen, feinen Berührungen reagierte. Ich hatte ganz vergessen, wie es sich anfühlt, wenn das Herz mitsprechen darf.
Wir kannten uns nun ein paar Wochen, es war unser viertes Treffen. Du liefst mit mir durch den Kiez und nahmst meine Hand. Ich musste klären, was das mit uns war, denn ich wusste, wir hatten vor dem Hintergrund gematched, dass ich nur etwas Unverbindliches wollte. Also fragte ich dich später vorsichtig, ob wir nur Spaß haben bis wir uns langweilen oder Spaß haben und uns dabei kennenlernen.
Dass du in Panik gerätst und beschließt, das mit mir besser nicht weiterzuführen, traf mich wie eine eisige Hammerfaust, die mir ein tiefes Loch irgendwo in die Brust riss.
Ich formulierte meine Frage so unverfänglich wie möglich, wollte weder dich noch mich damit in eine Ecke drängen. Ich wollte nur wissen, ob es eine Richtung gibt oder unser Roadtrip ziellos verläuft. Mental hatte ich mich darauf vorbereitet, dass du zu Option a) tendierst, ich kannte ja den Hintergrund unserer Verbindung.
Dass du jedoch in Panik gerätst und ein paar Tage später beschließt, das mit mir besser nicht weiterzuführen, obwohl alle Treffen toll waren, ich toll bin und du jetzt schon weißt, dass du dich darüber ärgern wirst, traf mich wie eine eisige Hammerfaust, die mir ein tiefes Loch irgendwo in die Brust riss. Und so saß ich da an einem warmen Tag im August und fror. Von Innen heraus. Denn da, wo mein Herz war, klaffte ein eiskaltes Loch.
Ich fang an, an mir zu arbeiten.
Diese Verletzung, so schwer sie auch war und immer noch weh tut, war gut. Denn sie zeigte mir, dass ich tief in mir drinnen gar nicht so weit war, wie ich dachte. Dass ich durch eine Ablehnung von Außen sofort wieder dachte, nicht gut genug zu sein. Nichts wert zu sein.
Ich beging den gleichen Fehler wie schon so oft zuvor. Ich suchte mein Glück, mein ganz persönliches Glück in einem anderen Menschen. Ich vergrub meine Muster mit dem Umzug nach Berlin und dank dir kamen sie alle auf einen Schlag und mit aller Macht zurück.
Ich kann meine Vergangenheit nicht einfach vergessen und versuchen, mich neu zu erfinden. Das funktioniert vielleicht mal kurz, aber nie nachhaltig. Ich muss meine Vergangenheit und alle Verletzungen, alle Fehler und falschen Entscheidungen als das annehmen, was sie sind. Ein Teil von mir.
Ich beging den gleichen Fehler wie schon so oft zuvor. Ich suchte mein Glück, mein ganz persönliches Glück in einem anderen Menschen.
Und auch, wenn es mir über Wochen beschissen ging, ich mich entwurzelt, verloren und völlig hoffnungslos fühlte, mir die Liebe meiner Familie und Freund:innen das eiskalte Loch in der Brust nicht füllen konnten, ich bin froh, diesen Moment hier in Berlin zu haben. Denn dadurch, dass hier niemand von mir erwartet, etwas Bestimmtes zu tun, zu sagen oder zu sein, habe ich wirklich endlich die Chance, mich zu finden, anstatt zu versuchen, mich neu zu erfinden.
Also nehme ich mein Berlin Low an. Sehe den Fall aus meiner Hybris als echtes Geschenk, egal wie weh es tut. Ich will keine Blenderin mehr sein, weder für andere noch für mich. Gebt mir ’nen Spachtel und ’nen Eimer! Ich kratz mich vom Boden und fange an, den Inhalt zu sortieren. Und diesmal wirklich. Danke, Berlin!
Headerfoto: Artem Ivanchencko via Unsplash (Gedankenspiel Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!
Liebe HerzKopfPapier,
du sprichst mir aus der Seele. Danke für deine Offenheit. Danke für deine Ehrlichkeit. Danke für Deine Erfahrungen, du stehst damit nicht alleine.
Vergiss niemals, nicht wir sind es nicht wert, sondern die, die unseren Wert nicht erkennen….
Pass auf dich auf, ich wünsche dir alles Gute auf deinem Weg,
Lieben Gruß.
Spricht mir aus der Seele…. sehr schön geschrieben