Von meinem 18-jährigen Ich und was ich ihm sagen würde

Vor ein paar Wochen habe ich bei Twitter geschrieben, dass ich gerne in einer Zeitkapsel, zusammen mit ein paar Sibylle-Berg-Büchern, zu meinem 18-jährigen Ich reisen möchte. Ich würde mir dann erklären, wie alles ein bisschen leichter wird. Man stelle sich vor, man könnte wirklich diesen Joker ziehen, einmal schnell zurück ins Gestern. Was würde ich mir noch sagen?

2004, das Jahr, als die EU ständig um neue Mitglieder erweitert wurde, dabei unentwegt The Black Eyed Peas im Radio liefen, irgendwer Hartz IV zum Wort des Jahres wählte und ein Typ mit braunen Knopfaugen ein Unternehmen namens Facebook gründete. Der Winter war so lang und kalt, dass man dachte, es würde nie wieder Sommer werden. Es war auch das Jahr, in dem ich hinter meinen Möglichkeiten zurückblieb, nicht genau wusste, was ich jetzt eigentlich mit diesem Leben, das vor mir lag, anstellen sollte. Hör zu!

Erst mal musst du wissen, dass du ein paar ziemlich großartige Erfahrungen machen wirst und interessanten Menschen begegnest. Du wirst Neues lernen, hingebungsvoll lieben und viel lachen. Das bist im Grunde Du.

Ganz ehrlich, auf einer Skala von eins bis zehn erklimmst du eine solide Sieben. Versuche nicht ständig, eine Zwölf zu sein. Deine Haare werden nicht dicker, die Oberschenkel nicht dünner … Na, für Letzteres wirst du bald versuchen, dich in S-Größen zu hungern. Eines Abends stehst du zu schnell auf und klatschst einfach auf den Boden. Da liegst du dann in dem engen Kleid, mit deinen schneckenrunden Löckchen und jämmerlichen vierundfünfzig Kilo für eine Weile bewusstlos rum. Die Party soll übrigens gut gewesen sein. Aber mach mal die Erfahrung. Das wird dein großer Merkste-selber-Moment-2009. Trotzdem solltest du zufrieden, besser noch glücklich mit dem Körper sein, den du hast, dass alles funktioniert, wie es soll.

Du müsstest auch wirklich mit dem Rauchen aufhören! Es wird dich bald sehr anfangen zu nerven, aber du wirst nicht wissen, wie du es anstellen sollst. Irgendwann stehst du nämlich regelmäßig nachts auf, weil du unter zähen Schlafstörungen leidest. Du wirst versuchen, dich müde zu rauchen, was dir nicht ein einziges Mal gelingen wird. Zu denken, du könntest viele deiner Probleme mit ein bisschen Nikotin auspusten, ist zudem ein Trugschluss.

Dazu gehört übrigens: Zwing dich nicht zu einem Lächeln, obwohl du traurig bist. Zeig deinen geliebten Menschen auch mal, wenn du leidest. Statt unter der Dusche zu heulen, könntest du jemanden anrufen. Dieser Jemand wird dir zuhören, vielleicht vorbeikommen, dich in den Arm nehmen. Du hast diesen Jemand, eigentlich mehrere! Keiner von denen wird enttäuscht sein, wenn du mal etwas nicht hinbekommen hast.

Deswegen solltest du die Option mit den Büchern weiterverfolgen. Du hast mit achtzehn schon etwas gefunden, das du so sehr liebst, dass du unbedingt daran festhalten musst. Überwinde den Zweifel. Jeden! Verdammten! Tag! Ich weiß, vor kurzem haben sie dir in der Schule erklärt, dass du für ein Studium nicht reich genug an Verstand bist. Das hat dich getroffen. Aber gedulde dich, dafür werden sie dir in der Uni sagen, dass deine Währungseinheit fürs Schreiben Talent ist. – Entschuldige Liebes, wir werden auch in zwölf Jahren noch kein Geld damit verdienen, aber wir werden darin aufgehen, das Beste aus uns rausholen, es bis hierher nicht bereuen.

Bereuen solltest du sowieso nur in Ausnahmefällen. Zum Beispiel die Nacht mit dem Mann, der vergeben war. Oha, dafür wirst du dich schämen. Es wird dir auch nicht helfen zu verstehen, warum man dich betrogen hat. Lerne aus den Fehlern, die du machst. Wiederhole sie nur, wenn du mit den Konsequenzen leben kannst.

Und jetzt wird es wichtig! Schultern zurück, Kopf nach oben! Du gehörst nicht zu den Frauen, die wissen, wann sie gehen sollten. Probiere es und ich verspreche dir, es wird dir einiges an Liebeskummer erspart bleiben. Aber denke nicht, dass es sich nicht lohnen würde, es immer wieder von Neuem zu versuchen. Gehöre nicht zu denen, die anfangen, Mauern zu bauen, weil sie so viel Angst davor haben, verletzt zu werden. Merke: Was der eine an dir hasst, wird ein anderer vielleicht lieben. Und nur so ein Gedanke, aber: Derjenige, der dich nicht gehen lässt, könnte eventuell der Richtige sein.

Halte jeden noch so schönen Augenblick fest und stell dir vor, dass es kleine Lichtstrahlen wären. Du wirst sie in der Dunkelheit brauchen. Denn es wird Tage geben, die so schwarz sind, dass du in einem Dickicht aus Angst und Verzweiflung nichts mehr sehen wirst.

Wenn dich dein Freund im November 2012 anruft, solltest du ihn unbedingt länger am Telefon behalten, ihm sagen, dass er zu den Guten gehört. Es wird das letzte Mal sein, dass du seine Stimme hörst, bevor er diese Welt verlässt.

Eigentlich solltest du jetzt auch sofort in das Zimmer deines Bruders marschieren, um ihm zu sagen, wie sehr du ihn liebst. Denn er wird dir zur Seite stehen, wenn du ihn am meisten brauchst. Da passiert diese eine Sache, die wirklich hart für dich wird, aber ich verrate dir etwas, woran du jetzt noch nicht denkst: Andere Leute machen auch viel Mist mit.

Schließ dich danach also nicht weg. Du hast ein Leben gerettet, herrje, du solltest feiern gehen. Fang an, deine Zeit so richtig schön zu verschwenden. Mit zwanzig hast du so viele Hobbys, nähst, malst und gehst joggen. Deine Röcke sind zu kurz, die Bilder sehr hässlich und du läufst so langsam, dass joggen gehen bei dir eine völlig neue Bedeutung bekommt. Du wirst das leider alles irgendwann aufgeben. Tu es nicht!

Unterm Alltags-Strich läuft es gut für dich. Versuche mehr zu denken, wenn du nur fühlst, und hör auf zu denken, wenn fühlen wichtig ist. Du hast einen klugen Kopf, ein bemerkenswertes Bauchgefühl. Finde die Balance dazwischen und es wird dir nichts passieren. Wir glauben mit dreißig übrigens, dass unsichtbare Einhörner neben uns herlaufen und das Universum regelmäßig zu uns spricht. Achtung, der rote Bus an einem Frühlingstag!

Noch was: Die schwarzen Pumps mit dem silbernen Streifen sind erste Sahne, bring sie bald zum Schuster, damit du sie noch drei Jahre länger tragen kannst. Und flieg nicht mit Lichtschutzfaktor 25 nach Australien. 50er Blocker! Immer schön damit einschmieren, auch die Ohren.

Lies noch nicht Grass, sondern Brecht.

Liebe, wann immer du kannst, solange du kannst. Weine nur kurz, aber dafür wirklich und wahrhaftig.

In die Runde gefragt: Was würdest du deinem 18-jährigen Ich sagen?

Headerfoto: Christian Lauer via Creative Commons Lizenz! („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

JUDITH malt gerne Mandalas, will sich demnächst einen Plattenspieler kaufen und ist eine waschechte Buchhändlerin. Sie studierte in Berlin Literaturwissenschaften und Publizistik und ist als Autorin und Texterin tätig. Den Kleinen Prinzen findet sie scheiße und auf ihrem Grabstein möchte sie mal „Books were her Mission“ zu stehen haben. Hier werkelt sie unter anderem an Bock auf Lesen und Wenn du mich fragst.

3 Comments

  • Liebe viel und sei dankbar. Bereue nichts und sei frei.
    Umarme deine Freunde und lass ein paar weiterziehen.
    Schließe ab und lass neue Kapitel entstehen.
    Mehr Herz, weniger Kopf.
    Widme dich deiner Schwester, ihr seid euch ähnlicher als du denkst.

    Entdecke deine Leidenschaft fürs Reisen noch vor 2014, denn die Welt ist wunderschön und riesig.

    Geh nicht nur drei Monate nach Australien, bleibe länger. Du hast so viel über doch selbst gelernt, denk dir wie weit du sein könntest wenn du länger dort geblieben wärst!

    Danke, für alle Dummheiten die wir begehen werden.

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