Die Fotoarbeit „Nur zum Meer ist es ein wenig weit“ ist die persönliche Dokumentation einer deutschen Aussteigerkommune in Italien. Hier ist Fotografin Linda Nau (Teil unseres wunderbaren im-gegenteil-Teams München) aufgewachsen. Stimmungsvoll und poetisch schlägt Linda eine Brücke zwischen ihren Kindheitserinnerungen und der Gegenwart, zwischen vermeintlicher Objektivität der Fotografie und radikaler Subjektivität spürbar erlebter Momente. Wir mögen Lindas Serie sehr. Klar, würden wir euch ja sonst auch nicht zeigen, ne?
Linda nimmt uns mit auf eine persönliche Spurensuche. Wir ent-decken die Welt ihrer Kindheit, tauchen ein in eine uns fremde Utopie. Die Fotos machen neugierig, wecken Emotionen und hinterfragen eher, als dass sie etwas klarstellen. Unsere Fragen zum Leben in einer Aussteigerkommune werden nicht beantwortet, aber wir bekommen eine Ahnung. Von einer besonderen Kindheit. Vom Glück des alternativen Landlebens. Von geplatzten Träumen und Idealen, die vielleicht an der Wirklichkeit gescheitert sind.
Das Kribbeln in unserem Bauch mischt sich mit leichtem Unbehagen. Das ist gut so. Lindas Bilder wirken nach und hinterlassen viele persönliche Fragezeichen: Was macht die Vorstellung von einem Leben in einer Kommune so reizvoll für uns? Was fehlt uns in unserem Alltag, in unserer Gesellschaft, zum Glück?
Liebe Linda, wie entstand die Idee, an den Ort deiner Kindheit zurückzukehren?
Ursprünglich wollte ich als Diplomprojekt der Frage nachgehen: „Was ist von der Utopie von damals geblieben?“ Also ging ich 2015/16 mit der Kamera nach Utopiaggia. Immer mehr entwickelte sich das Projekt aber zu einer persönlichen Spurensuche nach den Gefühlserinnerungen meiner Kindheit. Mit meinem zweiten Sohn im Tragetuch und der alten Pentax Mittelformatkamera vor dem Bauch tauchte ich ins Schattenreich des Halb- und Unbewussten ein, indem ich mich vortastete – ähnlich wie eine dort heute noch lebende Mitbegründerin es beschreibt: „wie im Traum durch die Schleier, die sich in vielfachen Schichten um das Eigentliche gelegt haben.“
Wie begann die Geschichte von Utopiaggia und welche Träume wollten deine Eltern in der Kommune verwirklichen?
Utopiaggia nannte sich die Gruppe junger Deutscher, die 1982 auf der Suche nach einem alternativen Lebensmodell in Italien ein Stück Land mit drei verfallenden Häusern kaufte, um dort selbstbestimmt und unabhängig gemeinsam zu leben. Hier wollten meine Eltern mit Gleichgesinnten eine Utopie vom besseren Leben für sich und ihre Kinder verwirklichen. Kommune bedeutete für die jungen Aussteiger in erster Linie Verfügungsgewalt über die eigenen Lebens- und Arbeitsformen und die Gestaltung ihrer eigenen politischen und kulturellen Sphäre in einer überschaubaren Gemeinschaft.