Schwanger sein und Eltern werden ist nicht immer für alle nur rosaroter Freudentaumel. Manche Menschen stecken in kleinen bis großen Krisensituationen und brauchen Unterstützung – und genau das sollte dringend enttabuisiert werden, denn das kann uns allen passieren. Vor einer Weile berichteten wir euch schon von der alleinerziehenden Mutter Pauline, die von ihrem damaligen Partner geghostet wurde, und von Carlo, der von seiner Expartnerin in der Beziehung zum gemeinsamen Kind eingeschränkt wird.
Heute dürfen wir Anna Althoff kennen lernen. Anna ist 35 Jahre alt, Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin und seit sechs Jahren als Beraterin bei pro familia tätig. Wer sich an das Hilfetelefon für Schwangere in Not wendet, wird zum Beispiel an Anna von pro familia Berlin vermittelt. Je nach Problematik und Wohnort gibt es lokal unterschiedlichste Beratungsstellen, das Angebot www.schwanger-und-viele-fragen.de unterstützt dabei, die richtige Hilfe für das ganz persönliche Anliegen zu finden.
Bist du schwanger und brauchst Hilfe? Melde dich jederzeit, 24 Stunden täglich, beim Hilfetelefon Schwangere in Not (0800-4040020). Mehr zu dieser tollen Initiative findest du am Ende des Artikels.
Welche Beratungsleistungen bietet pro familia an?
pro familia deckt ein sehr weites Beratungsspektrum ab: Hier arbeiten Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen, Sexualpädagog*innen und Psycholog*innen, die zu allen Themen rund um Partnerschaft, Sexualität, sexuelle Bildung, Schwangerschaft, Schwangerschaftskonflikt, Schwangerschaftsabbruch und reproduktive Gesundheit beraten. Zudem bieten Rechtsanwält*innen Erstberatungen zu rechtlichen Themen an. Das Team ist zum Großteil weiblich*.
Anna versteht sich und ihr Team als niedrigschwellige Anlaufstelle. Wegen der vielen Anfragen kann es trotzdem je nach Anliegen etwas Geduld erfordern, bis ein Termin möglich ist (ausgenommen die Schwangerschaftskonfliktberatung). In dringenden Fällen bemühen sich aber alle, möglichst bald eine Beratung anzubieten.
Anna kann bis zu sieben Sitzungen täglich anbieten. Wer zu ihr in die psychologische Beratung kommt – meist sind es Frauen* – kann sich je nach Thematik außerdem gynäkologisch untersuchen lassen und bei Bedarf noch rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Und das alles im selben Haus. Das macht die Beratung und die Vertrauensbildung wesentlich einfacher.
Am häufigsten kommen Frauen zu Anna, die ungeplant oder ungewollt schwanger sind. Die meisten haben sich bereits entschieden, ob sie die Schwangerschaft austragen wollen oder nicht. Sie kommen dann, weil sie nach deutschem Recht diese sogenannte „Schwangerschaftskonfliktberatung“ aufsuchen müssen, um die Schwangerschaft abbrechen zu können oder weil sie Fragen oder Ängste haben. Einige Frauen sind aber auch noch ambivalent und wünschen sich Unterstützung bei der Entscheidungsfindung für oder gegen ihre Schwangerschaft.
Oft ist das der Fall, wenn Frauen ganz frisch mit ihrem Partner zusammen sind, wenn sie eigentlich keinen Kinderwunsch haben, wenn sie schon Kinder haben und sich fragen, ob sie ein weiteres wollen oder die Kraft dafür haben, wenn sie sich zu jung oder zu alt fühlen, sie in einer unglücklichen oder sogar gewaltvollen Beziehung leben, der Partner (noch) nicht Vater werden möchte oder es keinen Partner gibt und sie für sich klären wollen, ob sie „es auch alleine schaffen“ können oder wollen.
Auch Paare, die finanzielle Probleme haben oder in Angst vor ihren Familien leben, sitzen immer wieder bei ihr in der Beratung. Anna berät dabei immer ergebnissoffen.
Oft kommen schwangere Frauen zu Anna, die Hilfe bei der Entscheidung für oder gegen ihre Schwangerschaft brauchen.
Das alles sind wahnsinnig große Themen, die ein unfassbares Fingerspitzengefühl in der Beratung benötigen. Anna hat eine sehr ruhige Art, eine warme und liebevolle Stimme und erklärt uns gleichzeitig zart und doch entschlossen, dass sie natürlich niemandem die Entscheidung für oder gegen die Schwangerschaft abnehmen kann oder darf. Das ist wichtig, um die Klient*innen wirklich ergebnisoffen beraten zu können und mit ihnen gemeinsam den Weg zu finden, die für sie der richtige ist. Und das bespricht sie so natürlich auch mit den Klient*innen.
Im ersten Schritt wird die jeweilige persönliche Situation erstmal sortiert. Anna und die zu beratende Person filtern gemeinsam heraus, wie der aktuelle Stand ist und welche Bedürfnisse existieren. Dabei werden Gefühle und Argumente in alle Richtungen berücksichtigt.
Meist hat die Klientin ein erstes Bauchgefühl, wie sie zu ihrer Schwangerschaft steht, und erst dann geht das Gedankenkarussell los: Partner, Eltern, Freund*innen, Finanzen, Moral, Religion, gesellschaftlicher Druck, Wohnraum. Die konkreten Gründe sind so vielfältig und komplex, wie es unsere westliche Gesellschaft nun mal ist.
Zwischen Trauerberatung und Strafgesetzbuch
Was Anna immer anbietet und was in der öffentlichen Debatte viel zu kurz kommt, ist die Trauerbegleitung. Denn “egal“, ob eine Frau sich für oder gegen eine Schwangerschaft entscheidet, kann es sein, dass sie einen Verlust erlebt. Dass sie etwas loslassen und gehen lassen muss, sich das Leben anders verändert, als sie es sich vorher gewünscht hat. Das gilt bei weitem nicht für alle Frauen. Studien und auch die Erfahrung von Anna und ihren Kolleg*innen zeigen, dass Frauen und Paare mit ihren Entscheidungen sehr schnell und nachhaltig im Reinen sind.
Trotzdem kann es sein, dass die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft genau richtig und befreiend, gleichzeitig aber auch traurig oder belastend sein kann. Dann stehen nicht Schuldzuweisungen oder Scham im Vordergrund, sondern wertschätzende Begleitung und praktische Unterstützung. Annas klar gestecktes Ziel ist es, Frauen völlig unabhängig von ihrer Entscheidung in ein erfülltes Leben zu verhelfen.
Und das funktioniert nicht immer in nur einem Gespräch. Daher bietet sie immer Folge-Sessions an. Niemand muss davon Gebrauch machen – wenn Frauen sich darüber klar sind, was sie wollen, ist Anna die Letzte, die weitere Gespräche aufzwängt.
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen straffrei.
In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Bedingungen straffrei. Das wird in den Paragrafen 218 ff. des Strafgesetzbuchs geregelt. Eine vorherige Beratung, beispielsweise bei pro familia, ist dafür meistens Pflicht. Zwischen der Beratung und dem Eingriff müssen dann drei Tage Bedenkzeit liegen. Ohne Beratungsschein darf der Eingriff in den meisten Fällen nicht vorgenommen werden. Seit der Befruchtung dürfen maximal 12 Wochen vergangen sein, es sei denn, es liegen medizinische Gründe für einen Abbruch vor.
Weil bekannt ist, dass die Tabuisierung des Themas Schwangerschaftsabbruch oft bewirkt, dass sich Frauen mit ihren Gedanken dazu nicht mitteilen können, sich einsam und isoliert fühlen und das die Verarbeitung erschwert, bietet Anna seit letztem Jahr eine begleitete Selbsthilfegruppe für Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch an. Hier können sich Frauen in geschütztem Rahmen über ihre Erfahrungen und Belastungen austauschen, was für viele nach eigenen Aussagen sehr entlastend und befreiend ist. Denn wir sagen es hier nochmal laut und klar: Wer abtreibt, ist kein schlechter Mensch!
Parallel bietet Annas Kollegin Lisa eine begleitete Gruppe für schwangere Frauen an, denn Belastungen und verwirrende Emotionen in der Schwangerschaft sind ebenso tabuisiert. Und das soll so nicht sein.
Wer eine Schwangerschaft abbricht, ist kein schlechter Mensch
Bei jeder Frau, die ambivalent ist, bietet Anna unterschiedlichste Optionen an. Sie zeigt alle Möglichkeiten auf. Am wichtigsten ist und bleibt ihr eine bedürfnisorientierte Arbeit inklusive Hilfestellung.
Manchmal ergibt sich in den Gesprächen auch, dass sich die Frau nicht vorstellen kann, sich um das Kind zu kümmern, ein Schwangerschaftsabbruch aber auch keine Option ist, beispielsweise weil die Schwangerschaft schon zu weit fortgeschritten ist. Dann kann Adoption eine Möglichkeit sein, die eine neue Perspektive erlaubt.
Unter bestimmten Bedingungen ist es auch möglich, dass sich Frauen für eine sogenannte vertrauliche Geburt entscheiden können. Dann bleibt die Mutter anonym, kann aber trotzdem in einem Krankenhaus unter sicheren Bedingungen entbinden und wird von einer Beraterin vor und nach der Geburt begleitet. Zum Schutz der Mutter ist das manchmal unerlässlich und soll verhindern, dass sie das Kind alleine zur Welt bringen muss.
Wenn die Mutter nach der Geburt immer noch sicher ist, dass sie sich nicht um das Kind kümmern kann oder möchte, wird das Kind in Obhut genommen und kann adoptiert werden. Trotzdem kann das Kind im Alter von 16 Jahren die Identität der Mutter erfahren. So wird die Mutter geschützt und zugleich die Rechte des Kindes gewahrt.
Es gibt keine halben Kinder
Anna hat öfter Paare in Sitzungen, bei denen sie die Liebe und den Zusammenhalt sehr stark spürt. Umso mehr bewegt es die Beraterin im Privaten, wenn das Paar einen ungeteilten Kinderwunsch hat. Sie möchte ein Kind, er nicht oder andersrum, beides tritt fast gleich oft auf. Wenn diese Paare zu zweit kommen und versuchen, eine Lösung zu finden, gehört das für Anna mit zu den schwierigsten Aufgaben. Es sind so viele Gefühle involviert, berechtigte Wünsche und unterschiedliche Bedürfnisse – und bei Kinderwunsch gibt es nun mal keinen Kompromiss. Es gibt kein halbes Kind.
Bei einer Person dieser eigentlich intakten Partnerschaft gibt es dann immer einen großen Verzicht, Trauer und Schmerz. Bei der anderen Person kann es zu starken Schuldgefühlen kommen. Meistens trennen sich diese Paare, was dann ein doppelter Verlust ist und beide sind mit ihrer gesamten Trauer auf einmal alleine. Das ist intensiv und daher betreut Anna auf Wunsch auch einzeln weiter.
Sie konnte auch schon Paare mit ungeteiltem Kinderwunsch so begleiten, dass sich die Beziehung weiter halten konnte und das Paar (wieder) glücklich wurde. Menschen sind so unterschiedlich wie der Ausgang ihrer Lebensabschnittsgeschichten.
Bei Paaren mit Kinderwunsch gibt es nun mal keinen Kompromiss.
Auch häusliche Gewalt bis hin zur Zuhälterei sind immer wieder Themen in den Beratungen. In Annas pro-familia-Zweigstelle wurde vor einigen Jahren eine junge Frau beraten, die erst in die Prostitution getrieben wurde und dann von ihrem Freund und Zuhälter schwanger wurde. Er beteuerte ihr stets seine Liebe, wollte das Kind aber auf gar keinen Fall. Sie war emotional abhängig von ihm, zudem fand wohl auch immer wieder Gewalt statt. Die junge Frau wollte das Kind unbedingt, kam zu drei Gesprächen, meldete sich dann aber nicht mehr.
Solche Geschichten bewegen das gesamte Team. Denn die Berater*innen sind auch nur Menschen, die den Schalter nicht immer umlegen können. Damit das Team kraftvoll und gesund bleibt erhalten alle Mitarbeiter*innen einmal im Monat Supervision, außerdem beraten sie sich untereinander gegenseitig nach schwierigen Beratungsstunden.
Natürlich kommen auch Menschen zu Anna, die sehr froh über ihre Schwangerschaft sind. Dann geht es zum Beispiel darum, dass die Frau sich zwar auf ihr Kind freut, aber sich trotzdem die ganze Zeit traurig fühlt. Beide Gefühle können parallel auftreten. Wieder andere sind schwanger und ein geliebter Mensch ist gerade gestorben und sie sind mit dem großen Verlust auf der einen Seite und der großen Vorfreude auf der anderen Seite emotional überfordert.
Nicht alle Aspekte einer Schwangerschaft sind für alle Frauen genussvoll. Die körperlichen Beschwerden können unter Umständen so enorm sein, dass in der Betroffenen der Konflikt zwischen Vorfreude und starken körperlichen Einschränkungen und Schmerzen aufflammt. Auch da können Gespräche unterstützen.
Dann gibt es Paare, die sich wahnsinnig auf den Nachwuchs freuen, aber ihre Familien machen Druck, die Schwangerschaft zu beenden, weil sie es für zu früh oder die werdenden Eltern für zu jung halten oder die Partnerschaft und somit auch das Kind aus religiösen Gründen nicht gutheißen. Diesen Paaren hilft Anna, mehr Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein gegenüber ihren Familien zu entwickeln. Manchmal gelingt das, manchmal ist der Druck aber auch zu groß.
Wer darf sich beraten lassen und was kostet das?
Die Schwangerschaftskonfliktberatung ist selbstverständlich immer kostenlos. Auch die psychologische Betreuung in der Schwangerschaft ist bei pro familia für den ersten und drei weiteren Folgetermine kostenlos. Bei Paar- und Sexualberatungen wird ein Kostenbeitrag zwischen 35 und 60 Euro pro Session erhoben. Elterngeld und soziale Beratung werden im niedrigschwelligen Bereich von sechs bis 20 Euro angesetzt.
Menschen können sich anonym, diskret und unter sehr sicheren Bedingungen beraten lassen. Alle Gender sind zu allen Fragen im Bereich Sexualität und Familie(nplanung) willkommen. Anna und das Team beraten feinfühlig, ressourcenorientiert und immer ohne Moralkeule. Alles darf gesagt werden und alles wird ohne Bewertung oder Verurteilung besprochen. Im Vordergrund steht immer die Hilfeleistung.
Von der kleinen bis zur großen Krise lohnt es sich immer, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Von den kleinen bis zu den großen Fragen oder gar Krisen lohnt es sich immer, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wir sind alle nur Menschen, die (fast) alle kein perfektes Leben führen und sich für nichts schämen müssen. Egal, ob es um eine ungewollte Schwangerschaft, Geldsorgen oder Gewalt geht: schwanger-und-viele-fragen.de vermittelt bei ALLEN kleinen und großen komplexen Situationen rund ums Schwangersein und Elternwerden.
Alle werdenden Eltern in problematischen Situationen oder Menschen aus deren Umfeld finden jederzeit per Telefon (0800-4040020), Online-Chat oder E-Mail Hilfe und Unterstützung. In 18 Sprachen plus Gebärdensprache. Das Hilfetelefon für Schwangere in Not des Bundesfamilienministeriums ist kostenfrei und kann an pro familia oder andere Beratungsstellen weiterleiten. Auch und insbesondere zu Zeiten des Coronavirus.
Please tell all your friends: If you or your partner are pregnant and you feel overwhelmed because of financial problems, arguments or any other uncomfortable situation please contact 0800-4040020. It is free of charge and you can speak anonymously. The counselors of the German pregnancy advice will help you. Please click here to find more information in English.
Anzeige: Wir danken dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die Zusammenarbeit. Das Ministerium hat die Produktionskosten dieses Artikels getragen. Eure Hilfe für Schwangere und werdende Eltern ist essenziell. Daumen hoch.