Im Vaterglück: Was die Welt in dieser verrückten Zeit braucht, ist mehr Liebe

Mein Herz pocht im Galopp. Draußen geht gerade die Sonne auf. Ich bin im Krankenhaus. Die Hebamme kommt rein. „Sie können jetzt raus kommen.“ Ich laufe ganz artig dem kleinen Wägelchen hinterher, in dem meine frisch geborene Tochter liegt. Kann sie kaum sehen, weil sie eingehüllt ist wie ein Schmetterling im Kokon.

Als die Hebamme das kleine Wesen aus den Decken herausschält und auf die Waage zum Wiegen legt, flüstere ich: „Hey, kleine Maus.“ Ich bin so tief gerührt, dass es mir schwer fällt, dieses Gefühl in Worte zu fassen.

Kein Schreien, nur ein wenig Meckern von der Kleinen, als sie das übliche Prozedere für Neugeborene über sich ergehen lassen muss. Dann wird mir meine Tochter in die Arme gelegt. Oxytocin olé! Von diesem Gefühl haben mir viele Väter erzählt und ich denke, nur Eltern können das nachempfinden.

Pure Liebe. Sehnsucht. Dankbarkeit. Glück. Und so beginnt mein neues Leben.

Bedingungslose Liebe aus jeder Zelle deines Körpers. Unschuldig, rein und vermutlich ein Leben lang. Die Zeit steht still und ich schaue zu, wie der kleine Engel an seiner Faust nuckelt und so unendlich liebenswert ist, dass ich innerlich glühe.

Einige Zeit später geht die Schiebetür mit der Milchglasscheibe auf. „Schau mal, jetzt kommt die Mama!“, flüstere ich der Kleinen zu. Meine Stimme bebt. Die Mutti hingegen liegt auf einem Krankenbett, Tropf, Katheter, Maske … sie hatte einen Kaiserschnitt.

Doch ihre Augen sagen alles. Pure Liebe. Sehnsucht. Dankbarkeit. Glück. Und so beginnt mein neues Leben. Ein Leben in einer eigentlich verrückten Zeit.

Reality-Check 2020

Geht es euch nicht auch so, dass ihr euch fragt, was mit der Welt passiert ist? Menschen sitzen vor ihren Smartphones in der Bahn. Tief verankert in ihrer Social-Media-Bubble. Und dieser Prozess beginnt beim Griff nach dem Aufstehen, begleitet uns bei der morgendlichen Sitzung auf dem Topf, auf dem Weg zur Arbeit, während der Arbeit, nach der Arbeit und zuletzt vor dem Schlafengehen.

Unsere eigenen psychologischen Schwächen werden bewusst durch Algorithmen gegen uns verwendet und wir merken nicht, wie wir zu den Sklav:innen der Künstlichen Intelligenz geworden sind und unser Smartphone mehr Zeit mit uns verbringt als jeder noch so nahestehende Mensch.

Der Egoismus der Menschen ist ganz klar sichtbar.

Der Übergang war fließend. Ich bin froh, dass ich ihn noch miterlebt habe, aber heute schaue ich mich um und frage mich ernsthaft, ob der Film Matrix unsere Realität geworden ist. Nur ohne Superkräfte. Woanders hingegen siehst du einen amerikanischen (bald Ex-) Präsidenten, der grotesker nicht sein könnte und wirkt wie ein kleiner wütender Junge mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung.

An anderer Ecke der Erde köpfen Menschen anderen das Haupt, weil sie ein Bild von einer Gottheit zeigen. Menschen gruppieren sich immer mehr in ihre diversen Ideologien und die Fronten verhärten sich. Der Populismus wächst global enorm. Corona hat sein Übriges getan zu dem Chaos, aber die Ursache liegt bei uns Menschen und durch die digitalen Blasen steigern sich alle mehr und mehr hinein.

Der Egoismus der Menschen ist ganz klar sichtbar. Schneeflocken habe ich lange nicht mehr gesehen und irgendwie fällt es mir schwer, der Menschheit zuzugestehen, dass sie sich weiter entwickelt hat. Es wirkt eher wie eine deftige Rechnung, die uns gerade auf den Tisch geworfen wird.

Erkenntnis führt zu Reflexion führt zu Selbstliebe führt zu Liebe

Was unsere Welt heute ganz besonders braucht, ist Liebe. Das Verständnis des anderen. Der „echte“ Dialog. Keine Emojis, kein 24/7 Screentime. Ich sitze auch nur deshalb gerade vor meinem Laptop, weil die Besuchszeit im Krankenhaus noch auf sich wartet. Sobald meine Engel zu Hause sind, wird das Smartphone weggelegt und für immer aus dem Schlafzimmer verbannt.

Mein Herz ist warm und ich bin glücklich. Wenn ich an all die schrägen Dinge denke, die da draußen passieren, habe ich dennoch Hoffnung. Hoffnung, dass meine Tochter eine schöne Welt erlebt, mitgestaltet und vielleicht einen positiven Beitrag dazu leistet. Und wenn ich schon jetzt sehe, wie viel Liebe sie bei Familie, Freund:innen und Kolleg:innen verbreitet, dann denke ich mir: „ALL WE NEED IS LOVE.“

Neulich meinte ein Freund, dass meine Familie ein Geschenk ist. Ich sagte zu ihm, dass ich mir das verdient habe. Denn Liebe ist nichts, was von Bäumen fällt oder via Click zu haben ist (auch wenn ich meine Alice via Tinder kennengelernt habe). Ich hatte eine harte Zeit, als ich nach Berlin kam. Raus aus dem bequemen Nest und dem Rampenlicht in der Heimat.

Etwas isoliert, ohne Job, kaum Auftritte als Musiker (die natürlich immer schön das Ego streichelten), eine Affäre (die prägend war, aber mir keine Sicherheit bieten konnte), kaum Besuch in meiner kleinen Wohnung und ganz viel Zeit allein … All dies machte mich klein und ich stand vor dem Abgrund, den ich nur besiegen konnte, indem ich ganz tief hinein sah. Indem ich in den Spiegel blickte und mich mit den Wunden meiner Kindheit auseinander gesetzt habe, so wie noch nie zuvor.

Ich glaube fest daran, dass dies die perfekte Grundlage ist, um eine:n Partner:in zu finden, der:die gut zu einem passt.

Das führte zu Erkenntnis, Reflexion und letztendlich der Selbstliebe und dem Urvertrauen. Ich glaube, wir alle haben unsere Päckchen zu tragen, aber so lange wir uns damit nicht auseinandersetzen und weiter prokrastinieren mit dem Streben nach Macht, Geld, Lust, Erfolg, Anerkennung, Likes, Konsum, Rausch versuchen wir ein Loch zu stopfen, was nie geschlossen werden kann. Und so laufen wir wie Hamster im Laufrad unserer eigenen Illusion vom Glück hinterher, bis wir uns wundern, warum wir so unglücklich sind.

Und irgendwann tragen wir unsere Unsicherheiten auf den Schultern der Partner:innen oder gar der Kinder aus, ohne es zu merken. Ich behaupte nicht, dass ich der erleuchtete Messias bin, aber meine Vergangenheit und meine Arbeit im ICH haben mich stärker gemacht. Und ich glaube fest daran, dass dies die perfekte Grundlage ist, um eine:n Partner:in zu finden, der:die gut zu einem passt.

Jemand, der einem das gibt, was man braucht (ohne Tauschhandel), und dem man auch ein starker Gegenpart sein kann (ohne je harte Bandagen anlegen zu müssen). Ein offener und ehrlicher Austausch, der bestenfalls die gleichen grundlegenden Ansichten teilt und sich dennoch stets gegenseitig inspiriert. So entwickelt sich eine Energie aus Liebe, die ganz selbstverständlich gegeben wird und zurück kommt. Zwischenmenschliche Beziehungen können mit Selbstliebe so einfach und unkompliziert sein.

Mehr Liebe, bitte. 

Und dann sehe ich wieder mein kleines Menschlein vor mir liegen. Wie sie schläft und ihre Schnute verzieht. Sich leicht streckt mit ihren kleinen Babyärmchen. Wie sie so unschuldig da liegt. Mir wird das Herz ganz weich. Und dann hoffe ich, dass mehr Liebe auf diese Welt geboren wird. Dass wir Menschen uns wieder in der U-Bahn in die Augen sehen. Selbst wenn wir eine Maske tragen müssen.

Wenn wir aufeinander Acht geben. Und selbst wenn wir komische Weltanschauungen haben, miteinander darüber reden und nicht in unseren Smartphones nach Schulterklopfern und Likes suchen. Wir ohne Neid auf irgendwelche Illusionen aus der digitalen Welt leben. Uns selbst schätzen und von diesem ganzen Affenzirkus nicht verrückt machen lassen. Wir gelassen und mit Rücksicht die schwere Zeit der Pandemie überstehen, ohne uns die Köpfe einzuschlagen und irgendwann wieder die Masken abnehmen und uns anlächeln. Es liegt an uns. Jedem:jeder Einzelnen.

Es liegt an uns. Jedem:jeder Einzelnen.

Es ist keine leichte Zeit. Es fordert viel Demut und Einbuße. Auch für mich, ich wäre gerne jetzt bei meinen zwei Mädels, ich durfte die ersten Bilder der Kleinen beim Frauenarzt nicht sehen, meine Liebste hat ihre Familie seit Februar nicht gesehen und ein gemeinsames Weihnachten steht in den Sternen. Doch bald kommen die beiden aus dem Krankenhaus zu mir und dann bauen wir uns einen Elfenbeinturm gegen all den Egoismus da draußen.

Und wir geben in unserer klitzekleinen Welt Liebe weiter. Und auch, wenn das ziemlich Hippie-mäßig klingt, so hoffe ich, dass dies ansteckend ist und es mehr Menschen gibt, welche sich daran erinnern, dass wir doch alle ähnliche Sehnsüchte und Ängste haben. Wir sollten zusammenhalten, finde ich. Zusammenrücken geht auch mental.

Danke, dass du mich daran erinnert hast, meine kleine Valentina. Seid lieb! FÜR VALENTINA.

FÜR VALENTINA.

Headerfoto: Kelly Sikkema via Unsplash (Gesellschaftsspiel Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür! 

LINUS Traumjäger, Herzmensch und Kreativling.

1 Comment

  • Valentina ist ein sehr hübscher Name und herzlichen Glückwunsch zum frischen Vaterglück.

    2022 ist für mich auch ein Jahr der großen Umstöße. Erst das verweigern sämtlicher sozialen Medien und Smartphone Spiele bis hin zum Einrichten eines neuen Privatsphäre-Smartphones. Erst als Selbstversuch gedacht, wird das Projekt jetzt sogar auf den Computer ausgeweitet.

    Zudem bin auch ich erst vor Kurzem Vater einer zuckersüßen Tochter geworden. Und ich muss sagen: sie bereichert unseren Tag wirklich sehr. Erst gestern haben wir das aller erste Mal Stehen geübt. Ich war völlig von ihrer Mitarbeit begeistert. Und auch die Mutter lehnte irgendwann am Bett und verfolgte mit interessiertem Blick unser Treiben. So viel gejubelt und angefeuert habe ich schon sehr lange nicht mehr 😉

    Zum Ablauf im Krankenhaus und der Geburt.

    Mir hat sich das alles mit nicht so viel Glücksgefühlen erschlossen. Ich war vielmehr um die Mutter besorgt, da ich in meinem Leben noch nie so viel Blut auf einmal gesehen habe. Mit der Kleinen auf dem Arm, wurden wir Teil eines Kreislaufzusammenbruchs und Ohnmacht, die ich in jeder Sekunde, der Mutter in die Augen blickend, mitbekommen habe und auch nie vergessen werde.

    Letztendlich durften wir dann aber noch im Nachbarkreissaal für ein Paar Stunden zu Dritt verbleiben und konnten vor lauter Erschöpfung und dennoch total aufgewühlt nur Ruhen. War aber ein wunderschöner Moment.

    Und ja! Es braucht mehr Liebe auf dieser Welt. Mehr als jemals zuvor.

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