Und dann stehst du da, vorne in der Schlange. Wie immer gibt es nur verkochte Nudeln mit Tomatensoße und lauwarme Frikadellen. Ach, mit ein bisschen Salz und Pfeffer geht das schon, denke ich und stelle mich an. Es liegt der Geruch von Vanillepudding in der Luft. Vanillepudding. Das ist alles, was ich trotz Würzflut schmecke. So ähnlich riecht auch dein Duschgel. Das weiß ich, weil wir dienstags nur zwei Plätze auseinandersitzen. Einmal hast du mich gefragt, ob du dir meinen Kuli leihen kannst. Das war unsere einzige Unterhaltung. Seitdem hab ich immer zwei dabei.
Mit vollem Tablett setzt du dich an den leeren Tisch ganz hinten. Abseits von schmatzenden Studenten und triefenden Fritteusen verschwindet eine Nudel nach der anderen in deinem kirschartigen Mund. Ein markantes Kinn mit zarten Lippen, irgendwie untypisch und doch ästhetisch. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich die Nudeln sogar für schmackhaft halten. Wahrscheinlich ganz viel Salz und Pfeffer, denke ich.
Es ist noch kalt draußen, doch in meinem Herzen längst schon Frühling. Wenn man genau hinhört, dann kann man sogar die Vögel zwitschern hören.
Mein Blick bleibt an dir haften und das Essen unberührt im Teller kleben. „Als wär ich unsichtbar“, flüstere ich und zerdrücke das Fleischklößchen lieblos mit der Gabel. Auch wenn uns drei Tische und ein halber trennen, strahlen deine dunkelblauen Augen durch den Raum. Glasklar und doch so tief.
Voller Rätsel und Abgründe. Und da draußen ein Himmel, in derselben Pracht. Es ist noch kalt draußen, doch in meinem Herzen längst schon Frühling. Wenn man genau hinhört, dann kann man sogar die Vögel zwitschern hören. Ob sie wohl dieselben stumpfsinnigen Unterhaltungen führen, wie diese Herde hungriger Banausen?
Ich schaufle mir den nächsten Löffel in den Mund. Doch nicht das Pfefferkorn lässt mich laut aufhusten – hinter mir ertönt derselbe Gesprächstrott wie immer: Klausurenphase, Hausarbeiten, Semesterpartys. Gerne säße ich jetzt auch am leeren Tisch ganz hinten. Neben dir und deinen blauen Augen. Und trotzdem bin ich lieber hier, in der Ferne. Den Kopf zu Boden gerichtet und die Blicke nicht erwidernd.
Und dann liegst du da, neben mir.
Mit dampfenden Mund und aufgerissenen Augen streichst du mir die Strähne aus dem Gesicht. Ich schau dich an, zum ersten Mal ganz nah. Und deine Augen sind gar nicht dunkelblau, sondern grün.
Die Lippen sind zwar schön wie Kirschen, doch schmecken nach Bedauern. Du greifst nach meiner Hand und flüsterst mir ins Ohr, ob wir‘s noch mal machen. Ich rieche nach Vanillepudding und Schweiß und wäre so gerne allein.
Zwischen eingerissenen Luftschlössern und strahlendem Himmel zwitschern die Vögel ihr Lied. Es ist noch kalt draußen.
Headerfoto: Khánh Hmoong via Creative Commons Lizenz! Danke dafür. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.)
