F*** you – eine Abrechnung mit meiner unterdrückten Wut 

Während die anderen in ihren Kleiderschränken wühlen, ungeliebte Klamotten aussortieren, die Vorratsschränke aufräumen oder gründlich Fenster putzen, Klarschiff machen und auch die hinterste Ecke vom Staub der letzten Jahre befreien, werfe ich meinen emotionalen Ballast ab.

Nicht falsch verstehen, been there done that! Die Phase des exzessiven Putzens habe ich bereits hinter mir. Kurz war’s geil, die Ordnung in meiner Wohnung verschaffte mir einen klaren Kopf und ein Gefühl von Leichtigkeit. Der Haken: Hat ganze zwei Tage gehalten bis ich von vorn beginnen musste.

Also beschloss ich, in meiner Vergangenheit zu graben und all die Gefühle und Verletzungen der letzten Jahre zu durchleben, die ich so gerne und lang verdrängt habe. Emotional catharsis Baby! Der Lockdown und seine unschönen Begleiterscheinungen – social distancing, Ohnmachtsgefühle und Angst und Verunsicherung – funktionieren gerade wie ein Katalysator für alles, was sich so lange aufgestaut hat. Vor allem ist da eine große Wut, meine weibliche Wut.

Wut ist eine Emotion, die ich als kleines Mädchen gelernt habe zu unterdrücken, einfach weil es sich nicht gehörte, nicht schicklich war.

Wut ist eine Emotion, die ich als kleines Mädchen gelernt habe zu unterdrücken, einfach weil es sich nicht gehörte, nicht schicklich war. Es wird nicht gerne gesehen, wenn Mädchen laut werden. Das war immer den Jungs vorbehalten. Die durften brüllen, schreien, sich kloppen, ihre Aggressionen rauslassen. Wir Mädchen durften weinen – klar. Weil wir verletzliche, zarte Wesen sind und auf diese Weise Mitleid erwecken, im besten Fall möchte man uns trösten und sich um uns kümmern (zum Glück verändert sich das so langsam).

Wenn ich dann doch mal schrie und laut wurde, hieß es nur „sei nicht so dramatisch“ oder „du bist zu emotional“. Also weinte ich. Oft. Still. Einfach so, weil ich Aufmerksamkeit wollte oder weil ich traurig war. Doch meistens war ich wütend, fand aber kein anderes Ventil für meine Wut.

Wütend auf die Eltern

Ich war wütend auf meine Eltern, die sich täglich stritten und mich und meine Schwester und in ihre Probleme reinzogen. Ich musste meine Mutter trösten, weil Papa „böse“ zu ihr war. Also lernte ich, auf Papa wütend zu sein, weil der ja meine Mutter verletzt hatte. „Männer sind scheiße“ war das Learning. Erst heute mit Ende zwanzig merke ich, dass ich auf beide wütend bin, weil sie mich diesem konstanten Stress ausgesetzt und mich in Rollen gedrängt haben, die ein Kind nicht erfüllen sollte.

Ich stand immer zwischen den Stühlen, dabei hatte ich nichts mit ihren Problemen zu tun. Statt mich aber klar abzugrenzen und Nein zu ihrem Drama zu sagen, war ich entweder die fürsorgliche Mutter für meine Mutter, die Diplomatin, die sich vermittelnd zwischen beide stellte, oder die Paartherapeutin, die meinem Vater regelmäßig eine Predigt hielt, dass er meine Mutter und uns Töchter verlieren würde, würde sich nichts an seinem Verhalten ändern.

Heute tut mir das wahnsinnig weh. Weil ich genau weiß, dass immer zwei zu einem Streit gehören. Weil meine Mutter auch nicht einfach und unschuldig ist. Weil ich meinen Vater liebe. Und meine Mutter. Beide gleichermaßen. Heute weiß ich das, weil ich die nötige (räumliche) Distanz habe und meine Kindheit aus der Perspektive der Erwachsenen betrachte.

Wütend auf die Männer

Und dann bin ich wütend auf all die Männer, die mich nur vögeln wollten oder gevögelt haben, weil sie „emotional schwer erreichbar“, überfordert mit sich selbst, auf der Suche, auf der Durchreise sind. Oder weil sie mit ihrem Kind schon genug Verantwortung haben, lieber ihre Freiheit genießen wollen, gerade erst aus einer Beziehung kommen oder auch von einem anderen Planeten, aus einer anderen Welt.

Weil sie eigentlich nur wütend auf ihre manipulative Mutter sind, sich aber aufgrund ihrer persönlichen Schwäche nie abgrenzen und wehren konnten. Oder weil sie – ganz basic – rumvögeln wollen. Ich habe immer schön Ja gesagt, weil ich gefallen wollte. Weil ich gelernt habe, dass wütend und aggressiv zu sein kein akzeptiertes Verhalten für eine Frau ist – im Gegenteil.

Ich habe meine Grenzen so oft ignoriert und mich ausnutzen lassen. Ich war viel zu lieb, zu verständnisvoll, zu angepasst, zu nachlässig, naiv und leise. Diese Einsicht macht mich wütend und kommt wie so oft zu spät. Ich hätte Nein schreien müssen, die Kerle zur Rede stellen oder ihnen einfach ein fettes FUCK YOU schreiben und sie anschließend blockieren sollen.

Ich war viel zu lieb, zu verständnisvoll, zu angepasst, zu nachlässig, naiv und leise. Diese Einsicht macht mich wütend und kommt wie so oft zu spät.

Stattdessen trage ich diesen Kampf im Bauch aus, spüre die Hitze in meiner Brust und den Knoten im Hals, sobald ich an all diese Männer denke, die ich bereit war zu lieben oder geliebt habe. So oft wollte ich schreien und außer mir sein vor Wut. So oft habe ich lieber still und heimlich geweint.

Ich bin wütend, weil ich an mir gezweifelt und meinen Wert in Frage gestellt habe. Statt meine Wut und Aggression rauszulassen und gegen die jeweilige Person zu richten, habe ich sie immer tiefer in mich hineingefressen und sie gegen mich kämpfen lassen. Ich habe ein Eigentor nach dem nächsten geschossen, habe Wut gesammelt, wie andere Menschen Pfandflaschen. Doch jetzt ist endlich Zeit, diesen Berg an Leergut zurückzubringen und ihn einzulösen.

Dank Corona steht alles still, wir werden langsamer, ziehen uns zurück und sind gezwungen, uns mit uns selbst zu beschäftigen (insofern man in der luxuriösen Situation ist, Single zu sein). Doch das ist nur die Ruhe vor dem großen Sturm. Ich werde nicht mehr still und heimlich weinen, oder so tun, als wäre alles cool.

Vorbei die Zeiten unterdrückter Wut

Ich werde in mein Kissen schreien, mit den Füßen stampfen, gegen Möbel treten, in die Luft boxen. Statt vorschnell zu vergeben, Fake-Frieden zu schließen und demjenigen ein geheucheltes schönes Leben zu wünschen (am besten noch in Form eines rührseligen Abschiedsbriefs), werde ich meine Wut verbal zum Ausdruck bringen.

Dann werde ich Florence and the Machine so laut aufdrehen, dass ich meinen eigenen Gesang nicht mehr hören kann … „What kind of man loves like this!?“ Tausendmal geiler und nachhaltiger als Fensterputzen, Ausmisten und co., versprochen! Better be ready!

Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.

Die Autorin dieses Textes möchte anonym bleiben.

Headerfoto: Jacqueline Day via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

1 Comment

  • Was für ein geiler Beitrag – ich danke dir aus tiefstem Herzen.

    Ich schlucke meine Wut schon viel zu lange runter und bin schon am planen der Route in den Wald, weiter weg, abgeschieden, wo ich mir endlich alles vom Leib schreien kann.

    Ich hasse es wenn ich vor Wut weinen muss, am liebsten würd ich losschreien – aber das klappt nicht. Aber ich werde es lernen.

    DANKE!

    Nie mehr Wut schlucken!

    Machs gut u LG
    Angilina

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