Nacktschnecken haben kein Gehäuse. Zumindest können sie sich im Erwachsenenstadium nicht mehr zum Schutz darin zurückziehen. Wikipedia sei Dank, denn sofort stellt sich da ein Zusammenhang her. Nacktschnecken, so nämlich der Titel des neuen Buches von Rebecca Martin, handelt von jenem Verlust der jugendlichen Leichtigkeit, welches als die Quarterlife-Crisis bezeichnet wird und von irgendwelchen smarten Menschen zur neuen Trendkrankheit auserkoren wurde. Es scheint, als habe sich die 25-jährige Autorin das zum Anlass genommen und erzählt mit voller Wucht die Geschichte der beiden Mittzwanziger Nora und Paul. So gut, dass man am liebsten gar nicht mehr aufhören möchte zu lesen. Und darum geht es genau: Hamburg im Hier und Jetzt. Zwei Menschen, die nicht unterschiedlicher sein könnten und gemeinsam in die herrlichen Abgründe ihrer Langzeitbeziehung rutschen. Nora ist eine Daily Soap-Schauspielerin, die gerne isst, gerne meckert und das am liebsten über Paul. Der wiederum kommt mit seiner Kunst nicht aus den Pötten, liebt seine Nora aber über alles. Jedenfalls bis die essgestörte Ex-Freundin wieder auf der Bildfläche erscheint und sich von da an ein What-da-Fuck-Moment an den nächsten reiht. Kommt da Sex drin vor? Aber sicher doch.
Eine zierliche Hand mit kurzen, pink lackierten Fingernägeln greift nach der Bierflasche. Der Flaschenrand ist kaum weg von den Lippen, da erklärt Martin gleich, warum es sich für sie lohnt, über Krisen zu schreiben. „Weil es mir Spaß macht. Ganz einfach.“ Sie setzt zum nächsten Schluck an, denkt ein paar Sekunden nach und ergänzt: „Ich versuche manchmal glückliche Geschichten zu schreiben, scheitere aber schon nach wenigen Seiten. Bei Nacktschnecken hatte ich das Gefühl, das noch irgendetwas im Bereich des Erwachsenwerdens erzählt werden muss. Es fehlte noch ein Übertritt ins Berufsleben und in eine ernsthafte Beziehung. Ich wollte mich damit auseinandersetzen, was Reifen als Mensch wirklich bedeutet.“ Ein zufriedenes Nicken über das Gesagte. Der nächste Schluck feinstes Astra durchspült ihren Mund.
Rebecca Martin kennen mittlerweile viele. Mit gerade einmal 18 Jahren verfasste sie ihr Debüt Frühling und so. Ein Roman über Sex. Das Buch wurde prompt zum Bestseller. Für ihre damaligen Mitschüler und Lehrer war sie fortan nur noch der „kleine Erotikstar“. Auch ihr zweites Werk Und alle so yeah fand nicht weniger Beachtung und gehört in die Coming-of-Age-Liga, welches die warmherzige Geschichte einer überpuschten Bestsellerautorin erzählt, die in Wirklichkeit ein ganz normales Mädchen geblieben ist. Danach ging es für die gebürtige Berlinerin erst mal ab nach Hamburg für eine Ausbildung zur Werbetexterin. Wirklich Leidenschaft konnte sie dafür nicht entwickeln, wirklich schlecht war sie darin aber auch nicht. Seit September 2013 studiert sie Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin. Das schlägt sich auch in Nacktschnecken nieder. Denn Martin hat ein unbestreitbares Talent für Dialoge entwickelt.
Nora grübelt fortwährend über ihr Leben, hadert mir ihrem Beruf, ihrem Sein. „Es ist schwer, den Punkt auszumachen, an dem die Dinge ihr Gleichgewicht verlieren. Mir fällt es schwer“, sagt sie an einer Stelle und meint damit ihre Beziehung zu Paul. Insofern hat Martin nicht schlecht gewählt, als sie ihre Hauptfigur mit einer Menge Selbstzweifel zu quälen beginnt. Schließlich geht das Scheitern der Beziehung einher mit der Krise, die in Nora selbst tobt. Auf die Frage, ob sich Martin damit selbst identifizieren könne, antwortet sie selbstbewusst: „Nee, nicht mehr so richtig. Mittlerweile bin ich recht glücklich mit dem, was ich so gefunden habe. Aber ich habe schon eine Weile dafür gebraucht. Besonders in puncto Liebe und Beziehung. Welche Form man da so finden kann eben, was gesellschaftlich vorgeschlagen wird und was man dann selbst daraus macht.“
Ein bisschen ist es ja so, dass man als Mittzwanziger dauernd von anderen erklärt bekommt, wie man zu leben hat. Und ebenso wie Nora und Paul es tun, fügt man sich diesem Katalog aus Vorstellungen, bis dass der Zweifel uns scheidet. Warum nur sind wir jungen Menschen so sensibel dafür, uns dauernd von dem Gesülze anderer verrückt machen zu lassen, anstatt einfach zu tun, was wir wollen? Martin sagt dazu: „Ich glaube, weil wir nicht wissen, was wir wollen. Es ist auch gar nicht so einfach, wenn man weiß, was man will, es auch umzusetzen. Nora wächst aus ihren Tiefs heraus. Mitunter wird ihr dadurch klarer, was das Ziel ist und manchmal geht eben der Weg darüber, was man nicht will. Bei mir war das zumindest so.“
Zwei Astra später. Die Abendsonne legt sich über Kreuzberg. Haare und Lippenstift sitzen immer noch perfekt. Wohin die Reise für Rebecca Martin als Nächstes geht, weiß sie noch nicht. Mit Nacktschnecken hat sie eine weitere Phase ihres Lebens abgeschlossen. Das Bedürfnis, noch etwas zu lernen und in ihrer eigenen Entwicklung weiter aufzugehen, hat in ihrem Leben oberste Priorität. Gerne möchte sie sich mehr dem Film widmen. Das Schreiben hilft ihr in jedem Fall dabei, die Dinge zu ordnen.
Nacktschnecken können verhältnismäßig lange Strecken zurücklegen und sich relativ flink an neue Lebensräume anpassen. Und so wie die Nacktschnecken auch, sind Rebecca Martin und ihre Protagonistin zwar schutzlos, aber dafür ungemein beweglich.
Achtung! Wir verlosen außerdem drei Exemplare des Buches. Kommentiere einfach unter den Facebook Post und verrate uns dort bis Sonntag, 23:59h, was dein Lieblingstier ist – gerne auch mit Foto.
Rebecca Martin „Nacktschnecken“, erschienen bei Dumont Buchverlag für 14,99 Euro (auch erhältlich als E-Book für 11,99 Euro).
Dieser Beitrag war für mich so sanft und weich. Nicht wehmütig, oder traurig eher an genehm und von brillanten Foto’s unterstützt.