Michael Nast
„Ist das Liebe oder kann das weg?“
Ein Zimmer. Ein Bett. Zwei Menschen, deren Hände sich erst zaghaft berühren, bevor sie ineinander verschmelzen wie es Videoabende so an sich haben sollten. Der Kurzfilm Me & You zeigt in 7 Minuten aus der Sicht von oben, wie sich Liebe anbahnt, sich entfaltet und was sie schließlich auseinander reißt.
Als ich Michael Nast das Video vorspiele, zeigt sich dieser sichtlich beeindruckt, gesteht, dass es ziemlich realistisch gemacht sei. „Schau mal, wie der Typ in der Anfangssequenz sein Zimmer aufräumt. Zu Beginn möchtest du dich darstellen, aber irgendwann kommt dann mehr der Mensch heraus, der du eigentlich bist.“ Die These, dass man die potenzielle Ehefrau ohnehin nicht im Berghain um 9 Uhr morgens trifft, sondern eher noch im Supermarkt an der Kasse, verteidigt er seit jeher.
In den vergangenen Jahren ist Nast vom MySpace-Blogger zum Berliner Kultautor avanciert. Das brachte ihm einiges an Selbstvertrauen, kostete ihn aber mit Sicherheit auch die eine oder andere Frau. Denn das ist Nasts Spezialgebiet. Wer sich auf ihn einlässt, muss automatisch damit rechnen, Teil seiner nächsten Kolumne zu werden. Und wenn einer, zumindest scheint es so, gut rumgekommen ist, dann wohl Michael Nast. Doch wäre es vielleicht zu einfach, ihn als jemanden abzustempeln, der immer nur nach den Frauen sucht, um die Geschichte zu finden.
Die Leiden eines jungen Singles
„Ist das Liebe oder kann das weg“, sein mittlerweile zweites Buch, erschien letztes Jahr im Ullstein Verlag. Eine Kompression aus den Leiden eines jungen Singles und einem Standardwerk für die Berliner Befindlichkeit im Datingsumpf zwischen schnellem Sex und dem Glauben an die wahre Liebe. Man muss schon mal eine Woche auf Joghurt gewesen sein, um den Single-Wahnsinn zu verstehen, von dem Nast da schreibt. Darf man eine Frau daten, die Sandy heißt? Wie reagieren, wenn sich herausstellt, dass die Frau, mit der du geschlafen hast, eigentlich die neue Freundin deines besten Freundes ist? Wie jetzt, Frauen können auch scheiße sein? Liebe, Sex, solche Sachen.
Als wir bei Nast an der Tür klingeln, erwarte ich vor allem ein riesiges Schlafzimmer mit einer kleinen Bar neben dem Bett und jeder Menge Schlüppies der letzten paar Nächte. Als Nast uns dann öffnet, strahlt er uns freudig an. Entschuldigt sich, dass es nicht ganz so sauber sei wie sonst und bietet uns erst mal etwas zu trinken an. Manieren hat er. Wo sind die Schlüppies? Etwas irritiert von den 200 Jahre alten Schiller-Ausgaben und den frischen Farben, erkundige ich mich nach seinem derzeitigen Lesestand. Den neuen Alexander Osang hat er gerade erst zu Ende gelesen, auf dem Tisch liegt offen aufgeschlagen ein Buch des englischen Erzählers W. Somerset Maugham. Überhaupt hat sein ganzer Einrichtungsstil nur wenig von einem Chauvi-Affen. Eher noch befinde ich mich in der Wohnung eines spießigen Intellektuellen aus den 60er Jahren. Eingerahmte Fotos gibt es keine. Nur die Hanteln lassen auf ein eitles Wesen schließen. Das passt irgendwie nicht zusammen. Das beruhigt. Ich komme zu der einzig logischen Schlussfolgerung, dass die Frauen, die hier her kommen, vielleicht gar keine Unterwäsche an haben. Wir verlassen die Wohnung und gehen auf sein Dach. Oben angekommen halten wir kurz inne, genießen die späte Nachmittagssonne und blicken auf eine Stadt, die mit ihren rund 600.000 Singles zu den aufregendsten ihrer Zeit gehört.
Wenn man Nast fragt, ob er denn noch an Beziehung glaube, dann sagt er: „Beziehungen sind Kompromisse. Kommt eben drauf an, ob man sie gerne eingeht. Die Beziehung gibt einem ja die Chance, ein besserer Mensch zu werden.“ Dass er erst seit Kurzem wieder Single ist, merkt man ihm an, dass der Glaube an seine eigenen Worte ein wenig schwer fällt, noch mehr. Genau darin liegt auch der anfängliche Trugschluss bei den meisten Menschen. Denn machen wir uns nichts vor. Der eigentliche Verdienst ist nicht, in eine Beziehung zu kommen, sondern eine zu führen. Als Single hat Nast einen Großteil seines Lebens im Berliner Nachtleben verbracht. Viele Dates. Das kann man nun nachlesen. Ganz so eng sieht er das Ganze dann aber doch nicht. Immerhin befinden sich in dem Buch Geschichten, gesammelt aus den letzten zehn Jahren. Er pausiert kurz, zieht an seiner Zigarette und kommt zu dem Schluss: „So viel Sex kommt darin eigentlich gar nicht vor. Sex Sells ist irgendwie Quatsch.“ Und in der Tat, da hat er recht.
Erst das Gespräch, dann kommt der Sex
Trotzdem frage ich nach, da mir das Kapitel um „die Liste“ in seinem Buch natürlich nicht entgangen ist und die wilden Zeiten wohl auf eine etwas längere Aufzählung schließen lassen könnten. Gemeint ist die Auflistung aller Frauen, mit denen er oder auch seine Freunde im Laufe der Jahre Sex hatten. Im Buch kann ab einer gewissen Größenordnung von Namen allerdings keine Rede mehr sein. Da heißt es dann nur noch: „die fette Freundin von der Magersüchtigen“, „die Lockige mit den großen weichen Brüsten“ oder Anhaltspunkte wie Straßennamen und Restaurants. „Sandra + 5“ meint die damals aktuelle Freundin, addiert mit der Summe der Frauen, mit denen Sandra betrogen wurde. Auf die Frage, ob man denn seinem Partner wirklich sagen sollte, mit wie vielen anderen man geschlafen hat, weiß Nast eine klare Antwort zu geben: „Auf jeden Fall runter rechnen!“ Nast sagt aber auch: „Es gab Zeiten, da hatte ich einmal in der Woche Sex. Immer mit irgendeiner anderen. Völlig wahllos. Mit den Jahren habe aber auch ich festgestellt, dass es die Leere in einem selbst nicht füllen kann. Heute habe ich lieber Sex mit jemandem, der mir wertvoll erscheint.“ Der Wunsch nach Kindern schlummere auch in ihm, immerhin ist er schon 40. Das gibt zu denken. Auch einem Mann wie Michael Nast. Was er vor allem an einer Frau heute schätze, sei ihre Natürlichkeit. „Man hat ein Grundinteresse, das sich über die Attraktivität angesprochen fühlt, aber gute Gespräche sind extrem wichtig.“ Und Frauen, die in den Boxershorts ihres Freundes schlafen seien ihm sympathischer, als die mit den Tangas.
An Nast ist nichts Lautes, nichts Unsympathisches. Mal abgesehen von dem handelsüblichen Narzissmus eines Autors, ist er ein Typ, auf den man sich gerne einlässt, der einen zum Lachen bringt und der während unserer gemeinsamen Zeit nicht einmal auf sein Handy sieht. Behütet und geliebt wuchs Nast im Berliner Stadtteil Köpenick auf, begann nach der Schule eine Lehre zum Buchhändler, die er zwar nie beendet hat, aber seiner Liebe zu Büchern keinen Abbruch tat. Früh gründete er zwei Plattenlabels und arbeitete sich durch verschiedene Werbeagenturen, bis er schließlich seine eigene gründete, deren Art Director er bis heute noch ist. Das Schreiben ist seine Leidenschaft, sein ganzes Können. Im Mai wird er zusammen mit anderen Autoren wie Clara Ott für im gegenteil eine Lesung geben. Im Herbst geht er sogar auf Tour mit der Berliner Band Bonaparte. An seinem neuen Roman sitzt er seit Januar beinahe jeden Tag. Es ist anstrengend, dieses Leben als Alleskönner. Die Linie zwischen dem Aufreißer und dem Verwundbaren ist dünn. Wie viel Kalkül dahinter steckt, weiß Nast nur ganz allein. Oben auf dem Dach, irgendwann bei der vierten Zigarette, sagt er dann: „Ich muss mich immer gegen meine eigenen Texte durchsetzen.“ Er sagt: „Da ist noch ein ganz anderer Mensch.“
Michael Nast „Ist das Liebe oder kann das weg. Vom sonderbaren Verhalten geschlechtsreifer Großstädter“, erschienen im Ullstein Verlag für 8,99 Euro.
Mehr von Michael Nast gibt es auf seiner Webseite, Facebook Page und bei im gegenteil.
Wahrlich ein super Typ und ein Wunder meiner Meinung nach, dass er noch single ist.
Ich hatte die Freude ihn kennen zu lernen und mit auf Zwei seiner Lesungen zu sprechen. Wirklich angenehm und authentisch, mit einem großen Talent zu schreiben und somit seine Gedanken und Gefühle widerzuspiegeln.
Eine schöne Art von einem Interview, so dass man mal auch deine künstlerische Ader erkennen kann. Man mach bloß weiter so. Auch wenn Herr Nast von der Wahrheit ein wenig abweicht, ist es künstlerische Freiheit und zu gleich soooo interessant. Weiter so.
Er hat mal jeder Woche mit einer anderen geschlafen. Aber es ist anstrengend, das Leben dieses Alleskönner. Oh, Gott! Das ist ein Blogger, der aufschreibt, was für kleine Mädchen er die letzte Nacht im Club getroffen hat, und dass sich gerade die Freundin von einem Freund getrennt hat.
Nast kennt kein Arsch, außer doofe Facebook Kiddies und Leute, die sonst keine Bücher anfassen. Das ist noch nicht mal „Petra“ oder „Cosmopolitan“ Niveau, was der zusammenschreibt. Fragt doch mal irgendeinen richtigen Autor oder Journalisten von der SZ, Zeit, FAS, FAZ, usw., ob sie den Namen Nast schon mal gehört haben?
„Es gab Zeiten, da hatte ich einmal in der Woche Sex. Immer mit irgendeiner anderen. Völlig wahllos.“
Bei sowas frage ich mich immer ob das nur Gerede ist oder ob das wirklich passiert. Ich mein, die meisten Menschen wären doch froh 1x im Jahr Sex zu haben. Seltsame Welt.
Nast hatte sie alle!
Schönes Interview.
Kannte den Autor bis zu dem Artikel noch gar nicht und freue mich über die Entdeckung. Sprache und Momentaufnahmen sind ja immer so ein Ding. Schön, dass besondere Augenblicke der Begegnung mit dem Autor hier auch so schön aufgegriffen wurden.
Ich würde mich freuen, noch mehr solcher Berichte bei euch zu lesen.
Viele Grüße
Tanja