Von den kleinen und großen Erniedrigungen in Beziehungen

Ich saß mal an einem Tisch mit einem Pärchen, das sich gestritten hat. Eigentlich eher eine Diskussion der Sorte Harmlos. Auf einmal nahm die Frau aber ihren Becher in die Hand und schüttete ihrem Freund das Getränk ins Gesicht, weil er ihrem Argument einfach nicht zustimmen wollte. Der Freund war über die Aktion zwar genauso überrascht wie jeder andere auch, hatte aber eigentlich nicht groß reagiert darauf. Ich hingegen war entsetzt über die Erniedrigung und konnte überhaupt nicht verstehen, warum er in diesem Moment so ruhig bleiben konnte. Erst Jahre später sollte ich eine Ahnung davon bekommen.

Sommer, Sonne, London. Der Mann, in den ich mich verliebte hatte, war der absolute Hammer. Er kam richtig gut bei anderen Frauen an und ich konnte mein Glück kaum fassen, dass ausgerechnet er mir seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Einer von diesen Typen, die man gerne um sich hat. Ich übertreibe vielleicht ein bisschen, wenn ich schreibe, dass ihm, wenn er sprach, alle Leute im Raum zuhörten. Dass alle lachten, weil er etwas Witziges erzählt hatte. Auf jeden Fall vermittelte er den Eindruck vollkommener Perfektion. Ein bisschen verblendet war ich. Ihr kennt das sicher.

Sein Gemütszustand, mein Glücksspiel

Da war aber noch eine andere Seite, die nur sehr langsam zum Vorschein kam. Denn genauso wie er gute Laune haben konnte, schlug seine Stimmung sekundenschnell in schlechte Laune um. Ich habe das erst mal überhaupt nicht gerafft und versucht herauszufinden, was es denn sein könnte, das ihn so schnell wütend machte. In einem Moment der liebste Mensch und im nächsten schon am Brüllen. Wir haben gemeinsam in einem Haus gelebt und beinahe jeden Tag miteinander verbracht. Da kam was an Emotionen zusammen.

Irgenwann spät abends fing er am Handy einen Streit mit jemandem an. Er wurde immer wütender, bis er das Ding mit voller Wucht gegen die Wand schmetterte. Völlig aufgebracht drehte er sich zu mir um und schrie mich an, was ich so dumm schaue. Ich weiß noch, wie ich dachte, jetzt mal besser in den Gefriermodus schalten und bloß nichts Dummes sagen. Das war das erste Mal, dass ich auch tatsächlich Angst vor ihm verspürte. Dass ich nicht mehr einschätzen konnte, ob jemals ein Gegenstand gegen meinen Kopf fliegen würde. Es folgten weitere absurde Szenen bis zum Showdown eines Morgens.

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Ich wachte auf. Torkelte noch ein bisschen schlaftrunken in meinem blauen Nachthemdchen durchs Zimmer und blieb stehen, als er plötzlich mit einer richtig miesen Laune zur Tür eintrat. Offensichtlich kam er gerade erst nach Hause und was auch immer in der Nacht passiert war, ich sollte die Wut darüber zu spüren bekommen. Viele Sätze sind gar nicht gefallen, aber etwas, das er zu mir sagte, brannte sich in meine Seele: „Schau in den Spiegel hinter dir. Du bist widerlich.“

In seiner Stimme lag ein spöttischer Unterton, in seinem Blick Verachtung, beides mit einer unverhohlenen Feindseligkeit, die mich erstarren ließ. Der hatte ganz einfach gesessen. Das Wort böllerte in meinem Kopf umher wie ein Silvesterknaller: Widerlich. Widerlich. Wi-der-lich. Ich atmete abwechselnd schnell, in verkrampfter Haltung, streng darauf konzentriert, meine Tränen zurückzuhalten. Ich verharrte in meiner Position, dann schloss ich die Augen. Kurz darauf hörte ich seine Schritte, das Knallen der Tür. Als ich meine Augen öffnete, stand ich wieder allein in meinem Zimmer.

Langsam drehte ich mich zum Spiegel um, die Haare noch völlig durcheinander vom Schlaf. Ich streifte mir das Nachthemd von der Haut und suchte mit meinen Blicken nach der Widerlichkeit, die er an mir sah. In diesem Augenblick wünschte ich mir, ich wäre makelloser gewesen, ein bisschen anmutiger. Eine schmalere Silhouette vielleicht, weniger plump. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Ich schämte mich. Und es sollte das letzte Mal für eine sehr lange Zeit sein, dass ich meinen Körper nackt betrachten konnte.

Wenn aus Schmetterlingen Motten werden

Tja, warum tut man sich so jemanden an? Vermutlich gibt es keine genaue Antwort darauf. Heute kann ich auch nur noch schwer nachvollziehen, warum ich damals nicht zurückgefeuert habe. Ich dachte, ich kann den schon zähmen. Ich dachte, ich kann irgendwie die Mauern des Zorns mit meinem von Liebe vollgepumpten Herz durchbrechen. Ich kann das und damit basta. Aber der Zeitpunkt kommt, wenn aus dem anfänglichen Bauchkribbeln Krämpfe werden, wenn sich die Schmetterlinge in fiese kleine Motten verwandeln, der Zeitpunkt, wenn du realisiert, du kannst es nicht.

Bestimmt geht das alles auch ein bisschen schlimmer. Aber ich persönlich halte es für sehr wichtig, auch mal diese kleinen Dinge anzustoßen, die eine sehr große Wirkung auf einen Menschen haben können. Denn auch Demütigungen, egal ob verbal oder durch das Verschütten eines Getränks, können einschlagen wie Fäuste. Nicht zuletzt, wenn sie von jemandem ausgeteilt werden, den wir eigentlich lieben.

Streit empfinde ich in einer Beziehung als eine sehr gute Sache, um Probleme zu lösen, allerdings muss er auf Augenhöhe stattfinden, mit Respekt und Verstand. Es ist interessant, wie oft uns ein „Sag mal, bist du bescheuert?“ über die Lippen geht, ohne dass wir darüber nachdenken, wie sich der andere dabei fühlen könnte. Die Linien des Ertragbaren sind für jeden unterschiedlich gezogen. So ist von den kleinen und großen Erniedrigungen in Beziehungen die Rede, aber es gibt kein dazwischen, beides ist schrecklich.

Obwohl das nun alles ein paar Jahre zurückliegt, kann ich mich immer noch in dem Zimmer stehen sehen. Nichts am Rest des Tages schien mir leicht, schon gar nicht der Versuch, meine Verzweiflung wegzuschlafen. Immer und immer wieder musste ich mir dieselbe Frage stellen, die sich jeder andere in so einer Beziehung auch stellen sollte: Ich weiß, wie ich lieben kann, aber wie möchte ich eigentlich geliebt werden?

Ich bin daraufhin in ein Hostel gezogen direkt neben einem Pub, in dem ich zu der Zeit arbeitete. Vielleicht nicht die glanzvollsten Wochen meines Lebens, aber immerhin hatten die dort einen Fernseher und ich konnte endlich einschlafen. Ich war frei.

Hast du dich auch schon mal gefragt, wie du eigentlich geliebt werden möchtest? Wo ziehst du die Grenze bei einem Streit? Können Worte wirklich wie Fäuste schlagen?

Headerfoto: Leanne Surfleet via Creative Commons Lizenz! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!!

JUDITH malt gerne Mandalas, will sich demnächst einen Plattenspieler kaufen und ist eine waschechte Buchhändlerin. Sie studierte in Berlin Literaturwissenschaften und Publizistik und ist als Autorin und Texterin tätig. Den Kleinen Prinzen findet sie scheiße und auf ihrem Grabstein möchte sie mal „Books were her Mission“ zu stehen haben. Hier werkelt sie unter anderem an Bock auf Lesen und Wenn du mich fragst.

1 Comment

  • Krass. Und ich hab Anmutigkeit in dem gefunden, wie du mit der Situation umgegangen bist und umgehst. Du stellst dir die richtigen Fragen, intim, selbstentdeckend und trotzdem voller zuversicht.
    Ich habe Streitereien oft reflektiert sber noch nie so betrachtet und selbst gesagtes hinterfragt. Danke, für deinen Denkanstoß!

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