Ich leide, jeden Tag – Was verbaler Missbrauch in Beziehungen anrichten kann

Eine Frau in einem braunen Sommerkleid liegt am Boden und verbirgt ihr Gesicht hinter ihren Händen. Sie wurde Opfer von verbalem Missbrauch.

Neben physischer und sexueller Misshandlung existiert auch verbaler Missbrauch in Beziehungen. Die Täter*innen nutzen Sprache, um ihre Partner*innen zu beleidigen, demütigen oder auszugrenzen. Verbale Gewalt findet unter anderem auch beim Mobbing statt. Oft wird verbaler Missbrauch von außen nicht erkannt und hat traumatische Folgen für die Opfer. Mehr zu diesem Thema erfahrt ihr unter anderem in den Büchern „The verbally abusive relationship“ und „Controlling people“ von Patricia Evans. Die Autorin des folgenden Artikels hat mit dem Abuser ein gemeinsames Kind. Ihre ganze Geschichte erfahrt ihr hier im Blog.

Der Gedanke daran, dass du eine Neue hast, tut weh. Ist das nicht verrückt? Ich habe so viele schreckliche Dinge mit dir erlebt, ich sollte nur froh und erleichtert sein, dass der Abuse mir gegenüber (wahrscheinlich) vorbei ist. Zumindest in der Intensität wie bisher. Aber so einfach ist es nicht, sonst wäre es ja einfach.

Ich habe Liebeskummer. Ich weiß, dass du gerade in der Eroberungsphase ein Traum von einem Mann sein kannst. Zumindest spielst. Du hörst zu, bist witzig und empathisch. Wild und verschmust. Aufregend und großzügig. Du bist eben all das, was es braucht, um auf dich reinzufallen. Eine Beziehung mit dir einzugehen. Mit dir zusammen zu ziehen oder in meinem Fall sogar: ein Kind von dir zu bekommen.

Es ist nicht echt

Aber es ist nicht echt. Es hält nie an, es wird immer kippen. Das ist dein Krankheitsbild. Als wir uns kennenlernten war ich am Boden. Hatte gerade eine Fehlgeburt hinter mir. In dieser Phase bist du aufgetaucht, ein Mann, der mir alles versprach: Ein zweite Chance auf ein Kind, auf eine richtige Familie. Der immer wiederholte, er wolle mir die Sicherheit und Stabilität schenken, die ich in meinem Leben nie hatte. Ein Mann, der sofort wollte, dass ich bei ihm einziehe und ein neues Leben mit ihm beginne. Der mich direkt seiner Familie vorstellte.

Als wir uns kennenlernten war ich am Boden. Hatte gerade eine Fehlgeburt hinter mir. In dieser Phase bist du aufgetaucht, ein Mann, der mir alles versprach.

Ich war hungrig und verzweifelt. Ein gefundenes Fressen, das perfekte Opfer für jemanden wie dich. Ich war sofort dazu bereit, für diese Aussicht auf eine Familie viel zu lange über zu vieles hinweg zu sehen.

Der Missbrauch fing harmlos an. Und nach jedem Streit hast du deinen Abuse wieder “repariert”. Dich schuldig und einsichtig gezeigt und um die Beziehung und meine Liebe gekämpft. Wolltest dir Hilfe suchen, dich ändern. Ich hab es dir nie schwer gemacht, mir reichten leider bereits wenige Worte aus, um dir wieder eine Chance zu geben. Dann fing der Abuse wieder schleichend an, einmal, zweimal, dreimal. Ich habe versucht mich zu wehren, einmal, zweimal. Bis ich explodiert bin, wieder gehen wollte. Und alles ging von vorne los.

Verbaler Missbrauch ist ein Kreislauf

Das ist der typische Cicle of Abuse. Abuse und Pause. Abuse und Pause. Nur das eine würde niemanden in der Beziehung halten. Es ist der ständige Wechsel zwischen Zuckerbrot und Peitsche, der einen in dieser emotionalen Folter gefangen hält. Jedes Mal hielt ich deine Reue für echt. Oder du hast mir erfolgreich eingeredet, dass ich mich mehr anstrengen muss, dass ich das Problem bin. Heute schäme ich mich sehr für meine Dummheit. Damals, gefangen in der Beziehungshölle, habe ich nur immer weiter den Boden unter den Füßen, die Klarheit und mich selbst verloren.

Jedes Mal hielt ich deine Reue für echt. Oder du hast mir erfolgreich eingeredet, dass ich mich mehr anstrengen muss, dass ich das Problem bin.

Aktuell bist du in der Klinik, wegen ADHS, Burnout, Sucht. Dass du dort bist, ist mein Verdienst, ich habe dich monatelang zu der Therapie überredet: für deinen Sohn. Jedenfalls hast du dort eine Neue gefunden. Ich weiß es, weil dein verbaler Missbrauch mir gegenüber abrupt zu 100% aufgehört hat. Du spielst nur noch das Opfer, das von mir belästigt wird. Was albern ist, aber ok. Solange ich noch Objekt deines Abuses war, musstest du die Nähe zu mir suchen. Zwanghaft. Die Provokation, der Streit, Eskalationen. Du konntest nicht einen Tag ohne auskommen. Ein Kontaktabbruch war für dich unmöglich und ich bin mies darin, konsequent zu sein. Daran arbeite ich in meiner Therapie.

Die Klinik ist voll mit neuen „Opfern“

Die Klinik jedenfalls ist ein Ort gefüllt mit kompatiblen Menschen für dich. Mit labilen Frauen, die Abuse gewöhnt sind, sich schnell auf Beziehungen einlassen und sich nicht gesund abgrenzen können. Die sich abhängig machen, ihre Instinkte ignorieren und wenig Selbstwertgefühl haben. Von Frauen, die sich ganz einfach von jemandem wie dir blenden lassen. Von Frauen wie mir.

Dein verbaler Missbrauch hat nicht aufgehört, weil du in Therapie bist. So schnell heilt man niemanden, erst recht nicht jemanden, der noch nicht mal eingesehen hat, dass er ein Problem hat. Also bleibt nur die andere, sehr typische Abfolge für Menschen wie dich, als Erklärung: Du hast eine neue gefunden. Ich hatte es vorher gesehen, ich hatte es dir sogar vorher gesagt.

Du bist das Opfer?

Ihr erzählst du nun, dass du das Opfer bist. Von mir ausgenutzt wurdest und jetzt nicht in Ruhe gelassen wirst. Was albern ist, aber ok. Du erzählst ihr, dass ich die gesamte Verantwortung trage und du keine. All das eben, was du mir über deine Exfreundin erzählt hast. Und über jede davor. Sie glaubt dir natürlich, auch wenn das, was sie denkt, keine Rolle für mich spielt.

Das Problem ist: Mich quält trotzdem die Vorstellung, wie wundervoll, wie traumhaft, wie außergewöhnlich toll du zu ihr bist. So wie du es zu mir warst. Mich verletzt der Gedanke, dass ihr beide im Moment so unendlich glücklich seid. Diese erste Phase, sie ist die pure Droge, jeder Herzschlag ein Pumpstoß voller Endorphine und Dopamin.

Und wie bei jeder Droge ist ihre Wirkung nicht echt, nicht authentisch. Nicht gesund, nicht natürlich. Und vor allen Dingen nicht langfristig. Denn irgendwann kommt das bittere Erwachen, der Absturz und die Depression danach. Ich weiß das alles. Dass auch sie irgendwann Ich sein wird und sie tut mir sehr leid, denn ich kenne den Schmerz ihres bevorstehenden Aufpralls. Es ist nur eine Frage der Zeit.

Euer Glück macht mich eifersüchtig

Aber jetzt – in diesem Moment – für den Augenblick – seid ihr so wahnsinnig glücklich. Lebt den Rihanna Song schlechthin: We found love in a hopeless place. Diese Eroberungsseite von dir, sie fehlt mir. Sie wird mir immer fehlen. Sie ist unbeschreiblich schön, intensiv und verführerisch. Sie ist zwar nicht echt, nur ein Köder an deinem Beziehungshaken, der einem früher oder später das Herz zerfleischen wird. Trotzdem fehlt sie mir. Es ist verrückt, ich weiß das, aber es ist die Wahrheit. Gefühle folgen ihrer eigenen Logik.

Es ist verrückt, ich weiß das, aber es ist die Wahrheit. Gefühle folgen ihrer eigenen Logik.

Also leide ich. Während ich hier, nüchtern, ohne neuen Partner, ohne Droge also, jeden Tag einfach nur Mama bin. Das echte Leben führe, ein schöner aber auch harter Alltag. Jeden Moment funktionieren, da sein, keine Pause und keine Flucht in Sicht. Kein Verdrängen bringt Erleichterung, die Wahrheit ist ein ungnädiges Gefühl und mir bleibt nichts, außer zulassen, anerkennen, aushalten. Ja, vielleicht sogar zu akzeptieren, was ich empfinde: Liebeskummer, Einsamkeit, Schmerz, auch mal Wut … und Eifersucht. Leider kann ich nicht davor wegrennen, dafür bleibt mir als Mama keine Zeit.

Ich werde glücklicher sein als du

Irgendwann aber – down the road sozusagen – werde ich deshalb gesünder, vollständiger, glücklicher und stärker sein. Das weiß ich. Amen. Und das muss ich auch sein, denn wenigstens einer von uns sollte intakt sein – für unseren Sohn. Einer von uns sollte grade stehen, klar sehen, ihn schützen und durch das echte Leben navigieren können. Einer von uns wird für ihn da sein und der andere … ist gerade mit seiner neuen zusammen und vögelt sich glücklich auf der Klinikwolke 7.

Die Autorin möchte gerne anonym bleiben.

Headerfoto: Priscilla Du Preez via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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