Tschüss Berlin – Die Suche nach mir selbst funktioniert nicht, wenn ich bei dir bin

Ich will ehrlich zu dir sein – wir haben uns auseinander gelebt. Woher ich das weiß? Nun, ich vermisse dich nicht mehr. Zum ersten Mal. Vor dir gab es andere. Ich habe mich ausprobiert, aber erst als ich bei dir ankam, hatte ich das Gefühl, auch wirklich ankommen zu können.

Du hast mich aufgenommen mit allen meinen Macken, du hattest ja selbst genug davon. Aber ich konnte dich lieben, genau so, wie du warst und habe mich bei dir das erste Mal zuhause gefühlt.

Ja, Berlin, du warst für jeden Teil von mir ein Zuhause. In dir habe ich gelitten, gelacht, Scheiße gebaut, bin vor mir selbst weggerannt und hab mich doch meistens irgendwie wieder eingeholt. Und du warst bei allem dabei und für mich da, hast keine Fragen gestellt, hattest aber immer ein offenes Ohr für mich. Wenn andere Städte schliefen, hast du dich mit mir durch die Nacht gekämpft.

Du wolltest nie zuerst ins Bett und hast mich machen lassen, bis ich vor Erschöpfung umgefallen bin. Dann hast du ohne mich weiter gemacht und hast mich trotzdem am nächsten Tag in alter Frische begrüßt.

Berlin – mehr als mein Zuhause

Zu oft hast du mich an mich selbst erinnert und vielleicht hat mich das so zu dir hingezogen. Beide kaputt, beide exzessiv, immer auf der Suche. Und immer, wenn ich von dir getrennt war, hast du mir gefehlt. Du hast mir gefehlt, auch wenn woanders der Himmel und die Häuser weniger grau waren. Auch wenn die Menschen woanders besser aufeinander aufgepasst haben, es weniger Einsamkeit und Scheitern gab und auch wenn es mich woanders seltener zerrissen hat – es war doch immer ein erleichterndes Gefühl, wenn ich wieder bei dir sein konnte.

Aber ich konnte dich lieben, genau so, wie du warst und habe mich bei dir das erste Mal Zuhause gefühlt.

Doch dann spürte ich die Müdigkeit, die du in mir hinterlassen hast und auf einmal warst du mir zu laut, zu präsent, irgendwie immer da. Plötzlich fühlte ich mich von dir bedrängt und erwischte mich immer öfter dabei, wie ich dachte: „Lass mich doch heute mal in Ruhe!“

Dabei hatte ich ein schlechtes Gewissen, denn ich verdanke dir doch so viel. Wir gehören zusammen und trotzdem beschleicht mich das Gefühl, dass du mir vor allem geholfen hast, mich von mir selbst abzulenken. Immer wenn ich drohte, den Halt zu verlieren und tief zu fallen, warst du da, hast mich mit offenen Armen und unendlichen Möglichkeiten empfangen, meinem Kopf und den Ängsten zu entfliehen.

Aber vielleicht hätte ich fallen müssen. Vielleicht hätte ich es gebraucht, dass du mir Grenzen setzt, meinen Scheiß nicht länger mitmachst – aber so bist du nicht und so wollte ich dich auch nicht haben.

Plötzlich fühlte ich mich von dir bedrängt und erwischte mich immer öfter dabei, wie ich dachte ‚Lass mich doch heute mal in Ruhe!‘

Dann bin ich ins Stolpern geraten und du bist einfach weiter gerast, hast gar nicht gemerkt, dass ich langsamer wurde. Ich sah dir hinterher, wollte dich rufen – und habe mich dann entschieden, dir einmal nicht hinterherzurennen, sondern einen anderen Weg einzuschlagen. Alleine.

Verdammt, hatte ich Angst ohne dich und deine Gabe, meinen Kopf so schön taub werden zu lassen. Ich hätte diese Taubheit so gut gebrauchen können, denn der neue Weg war dunkel und unglaublich steinig. Aber ich ahnte, dass es kein Zurück mehr gab, dass ich dich nicht mehr einholen wollte. Also kämpfte ich mich voran, Schritt für Schritt, ohne zu wissen, was mich erwarten würde. Ob mich etwas erwarten würde.

Ja, Berlin, manchmal war ich kurz davor aufzugeben, dich zu rufen und zu bitten, mich zurück zu nehmen. Aber immer, wenn ich mich dann nach dir umsah, lagen schon gefühlte Ozeane zwischen uns. Anfangs brach es mir das Herz. Aber so einsam ich mich auch ohne dein wärmendes Gemurmel fühlte, fand ich doch ohne deinen peitschenden Antrieb endlich mein eigenes Tempo.

Heimat entdecken, in sich selbst 

Mein Herz hörte auf zu rasen, mit der Zeit wurde der Weg leichter. Und dann eines Tages war vor mir in der Ferne nicht mehr nur Dunkelheit. Dann war ich plötzlich nicht mehr allein. Während mein Blick sich noch an den Schimmer in der Ferne gewöhnen musste, nahm unerwartet jemand meine Hand. Es fühlte sich vertraut an und doch ganz neu. Ich sah neben mich und erkannte mich selbst.

Und nun vermisse ich dich nicht mehr. Auf einmal bist du einfach nur noch eine Stadt. Denn ich habe einen neuen Begleiter gefunden, jemanden, der auf mich aufpasst und wartet, wenn ich einmal länger brauche. Ich vermisse dich nicht mehr. Dich, deinen Wahnsinn und den ständigen Hunger nach mehr. Denn jetzt habe ich alles, was ich brauche – ich habe mich.

Jemand nahm unerwartet meine Hand. Ich sah neben mich und erkannte mich selbst.

Berlin, ich will ehrlich zu dir sein: Unsere Zeit ist gekommen, so wie jede Zeit kommt. Aber mach dir keine Vorwürfe, denn auch wenn du mich fast zerstört hättest, denke ich mit einem warmen Gefühl an dich zurück und bin dir dankbar. Du konntest ja nichts für meine Schwäche.

Ich weiß, dass dir mein Verlust nicht wehtun wird. Wahrscheinlich bemerkst du ihn nicht einmal. Denn während ich dir noch einmal zum Abschied winke, machst du dich schon mit einer anderen suchenden Seele auf in die Nacht.

AWKWA schreibt, um Gedanken, Ideen und Gefühle aus dem Kopf heraus und Freiheit hinein zu lassen.

Headerfoto: JC Gellidon via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür! 

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