Selbstständigkeit will gelernt sein – Vom Lernen, sich selbst genug zu werden

Ich sitze im Bus auf dem Weg nach Berlin. Bin mit einer komischen Stimmung eingestiegen, kurz nach der Abfahrt kommen mir die Tränen. Es ist mir irgendwie nicht leicht gefallen, mich für eine der vielen Reiseoptionen zu entscheiden. Weil ich mich dieses Mal mit niemandem abstimmen musste.

Ich bin für mich, es ist egal wann ich ankomme und ob ich überhaupt an meinem Ziel ankomme. Niemand interessiert sich dafür. Niemand fragt nach. Ich bin alleine. Das ist Teil meiner Aufgabe, die mir immer und immer wieder vom Leben gestellt wird. Mit der es gerade gilt umzugehen, sie zu Händeln,  es zu akzeptieren, anzunehmen, zu merken dass es sich vielleicht sogar auch gut anfühlen könnte… dieses Alleine sein.

Ich versuche mit aller Macht, das Gefühl zu bekommen, gebraucht zu werden.

Und anstatt zu akzeptieren, dass es im Moment keinen Menschen in meinem Leben gibt, der zu Hause auf mich wartet, flüchte ich mich in Verabredungen, hetze von einer Veranstaltung zur Nächsten und binde mir immer und immer wieder beziehungsähnliche Modelle auf. Versuche mit aller Macht, das Gefühl zu bekommen, wichtig für jemanden zu sein, nicht egal zu sein, eine Rolle für irgendwen zu spielen, gebraucht zu werden.

Einfach nur, um nicht alleine zu sein. „Wieder gescheitert am kläglichen Kompensationsversuch. Dieses Spiel treibe ich jedes Mal so lange, bis ich nicht mehr kann. Bis ich völlig fertig zusammenbreche, weil ich mal wieder gescheitert bin an dem kläglichen Versuch.

Ja, ich suchte regelrecht danach. Wie eine Droge, bei der man schon im Vorfeld weiß, dass der Downer kommen wird. Der Entzug, bei dem ich wiederholt feststelle, dass nichts dieses Gefühl der Einsamkeit mildern kann. Weder meine Freunde noch die Ablenkung durch meine Rastlosigkeit und auch kein temporärer Partner, den ich mit aller Macht für meine Bedürfnisse umformen, passend machen will, bei dem ich jedes Mal fast schon zwanghaft versuche irgendwelche Gefühle rein zu projizieren.

Der einzige Mensch, der dazu in der Lage ist, bin ich alleine. Allein ich. Das soll nicht heißen, dass meine Gefühle gegenüber Menschen unecht und nicht aufrichtig sind. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann schwingt in meinem Handeln ganz viel Selbstbefriedigung mit. Dann werden auf einmal auch toxische Beziehungen und Menschen in meinem Leben geduldet.

Warum kann ich mir dieses Gefühl nicht einfach selber schenken?

Ich möchte das Gefühl haben, jemandem wichtig zu sein. Warum kann ich mir dieses Gefühl nicht einfach selber schenken? Warum gehe ich so viele Kompromisse ein und gebe mich selber dabei auf? Nur um das Gefühl der Zuneigung zu erhaschen?! Ist es das wert? Wann kommt die Einsicht?

„Ich bin gut so!“

Und gleichzeitig geht es auch darum, meine Charaktereigenschaften und Wertvorstellungen zu akzeptieren. Mich zu akzeptieren. Mich nicht zu verurteilen und nicht zum Egomanen oder Narzissten zu mutieren, der vor lauter Selbstliebe überquillt. Dass ich ein geselliger Mensch bin, der ganz viel Liebe in sich trägt, die er gerne mit jemandem teilen möchte, das wird sich nicht ändern, das muss sich auch nicht ändern. Das ist gut so. Ich bin gut so.

Der Bus hält an, die Tränen sind getrocknet. Ich bin an meinem Reiseziel angekommen. Alleine.

Jill ist eine optimistische, lebensfrohe, Rotwein trinkende Anfang Dreißigerin. Die manchmal am Erwachsen werden scheitert. Mehr von Jill gibt es auf ihrem Instagramaccount.

Headerfoto:Stockfoto von KIRAYONAK YULIYA/Shutterstock. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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