„Willst Du noch eine Runde, oder bist Du ausgepowert genug?“
Mein Schweiß beginnt mit verstärktem Fluss zu rinnen. Erst zwischen meinen Brüsten, nun auch meine Schläfe hinab. Mein Kopf ist errötet, wie immer, wenn mein Blutdruck durch körperliche Aktivität ansteigt. Ich bin mir meiner Antwort unsicher, kann ich mich derzeit nur darauf konzentrieren, mein lautes Atmen in Schach zu halten und dabei möglichst cool, beglückt und hübsch auszusehen.
Mein Gefühl ist eindeutig: Ich möchte, dass das hier aufhört. Ehrlich währt am längsten – also bitte: „Für mich ist es genug.“ Sein Stichwort und Startschuss für das grand final. Jetzt nochmal alles geben und durchhalten. An das Gefühl danach denken – nach dem Sprint.
Zweites Tinderdate. Ein Kennenlernen für unkomplizierten, längerfristigen Sex ohne Verpflichtungen – so die Verheißung. In der Realität jogge ich derweil im Windschatten eines gutaussehenden Typs durch Kölns Grünanlagen und bin ganz nebenbei darauf bedacht, eine spritzige Unterhaltung zu führen. Natürlich bin ich geschminkt. Natürlich lege ich auch sonst vor jedem sportlichen Workout nochmal eine extra Schicht Make-Up auf.
Offensichtlich gilt nun auch schon beim Daten: Raus aus der Comfort-Zone.
Offensichtlich gilt nun auch schon beim Daten: Raus aus der Comfort-Zone. Dating-Tipps wie „Trage etwas, in dem Du dich wohlfühlst“; „Unternehmt Dinge, die Du gerne machst“ sind somit Schnee von gestern. Ich jogge gerne. Punktuell. Zu meinen Bedingungen. Ohne Zuschauer:innen. Er scheint das ein wenig anders verstanden zu haben und sieht es nun als seine Aufgabe, mich „zu pushen“.
Gerne würde ich ihm sagen, dass ich aufgrund seiner ersten Tindernachricht eine gänzlich andere Form des „Gepusht-Werdens“ im Sinn hatte. Großer, motorradfahrender Typ, der als Gitarrist in einer Band sein Geld verdient und etwas Unverbindliches sucht, da er aus einer langen Beziehung kommt. Oh yes, ein echter Rockstar: Swipe nach links! Dafür nehme ich die Hürde des gemeinsamen Joggens in Kauf – auch wenn der Date-Wohlfühlfaktor sich hierbei definitiv im unteren Skalenbereich bewegt.
Gerne würde ich ihm sagen, dass ich aufgrund seiner ersten Tindernachricht eine gänzlich andere Form des „Gepusht-Werdens“ im Sinn hatte.
Die Aussicht auf Bier nach dem Sport lässt mich optimistisch bleiben. Wir besorgen uns zwei Kioskbier und landen auf meinem Balkon: Mit freigesetzten Endorphinen, verschwitzen Leibern und Alkohol. Eine leere WG inkl. Duschwanne steht uns zur Verfügung. Der Beginn eines verheißungsvollen Abends.
Die Kluft zwischen prickelnder Erwartung und öder Realität
Zwanzig Minuten später stehe ich noch immer auf meinem Balkon und trinke mein Bier mit großer werdenden Schlücken. Ich ertappe mich dabei, wie ich stetig abschweife und an die Weißweinflasche in meinem Kühlschrank denke, weil der Typ vor mir nicht zu referieren aufhört. Um dem Ganzen ein Ende zu setzten, lade ich ihn ein, mein Quarantäne-Bananenbrot zu probieren.
Auch in der Küche gelingt es ihm ausgesprochen gut, den geforderten Sicherheitsabstand von einer Armlänge einzuhalten. Körperlich, wie verbal.
Auch in der Küche gelingt es ihm ausgesprochen gut, den geforderten Sicherheitsabstand von einer Armlänge einzuhalten. Körperlich, wie verbal. Ich gebe ihm eine letzte Vorlage zum Einstieg ins Flirten – und erhalte großes Lob für mein Backkünste.
Wir – noch ungeduscht – verabschieden uns mit einer Umarmung, die sich ebenfalls nicht gewaschen hat. Ich schließe die Tür und bin erleichtert, verwirrt, entnervt, und belustigt. Er um ein Bananenbrot-Rezept reicher.
Dann kommen die Selbstzweifel
Als Frau kommen spätestens jetzt die ersten Selbstzweifel in mir auf: Bin ich nicht attraktiv genug? Was gefiel ihm nicht an mir? Auf der anderen Seite klopft die leise Gewissheit an, dass dieser Typ keinerlei Erfahrungen im derzeitige Dating-Wahnsinn besitzt. Frisch aus einer langen Beziehung ist ein Tinderprofil schnell angelegt. Die aufrichtige Message mit der Anfrage nach unverbindlichem Sex zügig abgesendet. Vermeintliche Ablenkung per Swipe innerhalb von wenigen Tagen.
Frisch aus einer langen Beziehung ist ein Tinderprofil schnell angelegt. Die aufrichtige Message mit der Anfrage nach unverbindlichem Sex zügig abgesendet.
In der Realität bedeutet dies für den frisch Getrennten jedoch, auf Tuchfühlung mit Fremden zu gehen. Eine andere Art des Comfort-Zone-Verlassens. Dies gelang heute jedoch nur mir. Denn während ich für ein zweites Date meine Joggingschuhe schnürte, verblieb der (Kuschel-)Rocker in seinem sicheren Gewässer der Langzeitbeziehungs-Unterhaltungen.
Neben einigen verbrannten Kalorien nehme ich aus dieser Dating Erfahrung die erschreckende Erkenntnis mit, dass gemeinsames Joggen für mich eine beinahe größere Form der Intimität darstellt, als miteinander zu schlafen.
Und die Moral der Geschichte: Renne niemals hinter einem Typen her – wortwörtlich.
Delia hat sich, mit Einflüssen vom Ruhrpott und dem Sauerland, in ihrer Herzenstadt Köln beheimatet. Irgendwo zwischen Intro- und Extrovertiertheit befasst sie sich mit allen Themen, die sie im Verlauf ihrer 20er bewegt und geprägt haben: Familie, Freundschaft Liebe und Krisen. Dating, Karriere, Frausein und dem Weg des so richtig Erwachsen-Werdens. Tod und Trauer. Ist häufig im Kopf unterwegs, entscheidet letztendlich aber aus dem Bauch heraus – ganz nach dem Motto: Wird schon irgendwie.