Alltagsrassismus ist ein Problem, das gerade mit den jüngsten Ereignissen in Chemnitz und einer erstarkenden AfD im Land mehr Aufmerksamkeit erfahren sollte. Tarik Tesfu hat leider viel Erfahrung mit diesem Thema machen müssen und macht das, was er gut kann: Er nutzt seine Reichweite, klärt über Missstände auf und unterstützt mit seiner Aktion Rassismus den Stinkefinger zeigen Vereine, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen.
Ich bin Deutsche – der klassischen Definition nach. Ich sage »klassisch«, weil ich in Deutschland geboren worden bin, genauer: im Rheinland, wo ich auch aufwachsen durfte. Meine Eltern sind auch Deutsche, meine Großeltern – keine Ahnung, vielleicht schon, vielleicht auch nicht. In der Zeit zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg dürfte viel von hier nach dort und von dort nach hier geflohen worden sein.
Meine eigene Herkunft ist mir nicht unbedingt egal, denn die eigenen Wurzeln verraten einem ja auch immer wieder neue Dinge über sich selbst, doch befinde ich mich, wenn ich darüber nachdenke, in einer recht privilegierten Situation: Ich bin hellhäutig und meine Vorfahren dürften allesamt irgendwie vom europäischen Kontinent kommen. Wenngleich ich auch nicht sagen kann, aus welcher Gegend genau.
Ich werde so gut wie nie nach meinen Wurzeln gefragt, denn ich habe keine Merkmale, die mich als Einwanderin in der soundso vielten Generation kennzeichnen würden, und wenn doch, beeinflussen sie nicht mein tägliches Leben. Ganz, ganz selten werde ich aufgrund meiner dunklen Haarfarbe, die übrigens nicht einmal echt ist, gefragt, ob ich aus der Türkei, aus Spanien oder Italien käme. Ich verneine dann mit einem freundlichen Kopfschütteln und gehe weiter.
Aber ist das wirklich so egal, woher man kommt? Oder anders gefragt: Ist wo man herkommt, wirklich so egal, wie es sein sollte?
Ist wo man herkommt wirklich so egal, wie es sein sollte?
Für Tarik Tesfu fühlt sich die Frage nach seiner Herkunft und Nationalität jedes einzelne Mal komisch an – und er wird damit immer wieder konfrontiert. Auch er ist Deutscher, ist hier geboren, aufgewachsen und Deutsch ist seine Muttersprache. Wir sind beide Kinder der späten 80er-Jahre. Ihn und mich unterscheidet, gesellschaftlich betrachtet, absolut gar nichts. Bis auf die Hautfarbe.
Und nur wegen dieser gibt man ihm nicht selten das Gefühl, dass er kein Recht auf seine deutsche Identität habe. Als Person of Colour scheint er leider immer noch für viele nicht wirklich zur Gesellschaft dazu zu gehören.
Als ich darüber nachdenke und mein eigenes Verhalten reflektiere, komme ich ins Grübeln. Ja, auch ich habe schon aus reiner Neugier nach der Herkunft verschiedener meiner Mitmenschen gefragt, die ihrem Aussehen nach nicht dem Typus »Mitteleuropäer« entsprachen. Aber dadurch, dass ich das für mich selbst – wenn es denn mal vorgekommen ist – nicht als Problem wahrgenommen habe, wäre ich auch nicht auf die Idee gekommen, wie verletzend diese Frage sein kann.
Ist das schon ein Fall dieses Alltagsrassismus? Einfach anzunehmen, dass jemand mit schlicht einer anderen Hautfarbe als der meinen nicht aus Deutschland kommt? Vermutlich schon – und ich habe ihn einfach nicht bemerkt. Hab meine Neugier nie kritisch hinterfragt und immer als freundliches Interesse verbucht, als das es auch intendiert war.
»Das ist genau das Problem.«, sagt Tarik, »Nämlich, dass Rassismus, Sexismus, Feindlichkeit gegenüber Homosexuellen und all die anderen unschönen Dinge, die ein demokratisches Miteinander stören, ziemlich manifestiert in unserer Gesellschaft sind. Sie sind so stark Teil unseres Alltags, dass wir sie gar nicht bemerken.«
Rassismus, Sexismus, Feindlichkeit gegenüber Homosexuellen sind sind so stark Teil unseres Alltags, dass wir sie gar nicht bemerken.
Und da kann selbst eine scheinbar harmlose Frage wie die nach der Herkunft das Gegenüber massiv verunsichern. Selbst wenn sie nur nett gemeint ist – aber gut gemeint ist eben doch noch oft nicht gut gemacht.
Tariks Eltern sind Ende der 80er nach Deutschland gekommen und mussten sich mit noch viel mehr Anfeindung und Skepsis abfinden. Aus dem Wunsch heraus, ihren Kindern die Zukunft nicht zu verbauen, und in der Hoffnung, es würde einmal besser werden, arrangierten sie sich stillschweigend mit den Verhältnissen, die während und nach der Wende ohnehin aus Deutschland eine gesellschaftliche Großbaustelle machten.
»Ich glaube, dass die Generation meiner Eltern Rassismus aus Angst einfach hingenommen und eben nicht aufgemuckt hat. […] Es hätte zu diesem Zeitpunkt ohnehin keiner zugehört oder das Problem ernst genommen. Aber meine Eltern wussten immer, dass wir in Deutschland aufgrund unserer Hautfarbe anders behandelt würden.«
Grundsätzlich könne das in jedem anderen Land Europas genau dasselbe Problem sein, das sei kein spezifisch Deutsches Phänomen, setzt Tarik hinzu. Aber gerade die jüngsten Ereignisse in Chemnitz und die wachsende Wählerschaft der AfD zeigen, dass Deutschland in manchen Gegenden noch nicht das weltoffene Land ist, das es eigentlich sein könnte – oder sollte.
Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz zeigen, dass Deutschland in manchen Gegenden noch nicht das weltoffene Land ist, das es eigentlich sein könnte – oder sollte.
Tarik sieht sich – trotz der regelmäßigen Angriffe auf seine Person (zumal er in der Öffentlichkeit steht) – als glücklich darüber, in Berlin leben zu dürfen. »Ich habe mir schon bewusst einen Wohnort ausgesucht, in dem ich potenziell weniger Rassismus-Erfahrungen machen muss. Aber das ist ein großes Privileg. Und es kann auch nicht das Ziel sein, dass wir kleinere Städte oder Dörfer den Leuten überlassen, die das Prinzip von Demokratie und Menschenrechten nicht verstanden haben.«
Denn selbst in der Großstadt-Toleranz-Blase Berlin gibt es Menschen, die jegliche Form von »Andersartigkeit« noch immer zum Anlass für die Demütigung und Diskriminierung von Menschen nehmen. Oft sind die Sichtweisen dieser Menschen von uralten und teilweise schlichtweg falschen Vorurteilen beeinflusst, die sich in unserer Gesellschaft so hartnäckig halten, weil sie ständig reproduziert und geschürt werden. Ohne dass die Wirklichkeit noch etwas mit ihnen zu tun hätte.
»Sei es die Polizei, die schwarze Männer nicht selten grundsätzlich als Drogendealer wahrnimmt oder die Grundschullehrer*innen, die Kinder mit Migrationshintergrund weniger oft für ein Gymnasium empfehlen oder ein Herr Seehofer, für den Migration sowieso das Urproblem zu sein scheint.«
Leute aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft zu stigmatisieren, ist nichts anderes, als zu behaupten, Deutsche wären grundsätzlich alle Neo-Nazis.
Leute aufgrund ihrer Hautfarbe oder ethnischen Herkunft zu stigmatisieren ist demnach nichts anderes als zu behaupten, Deutsche wären grundsätzlich alle (Neo-)Nazis. Das sind zwei Seiten von ein und derselben Medaille und diese haben vor Allem eins gemeinsam: Sie sind schlichtweg Unrecht und falsch.
Aus diesem Grund hat Tarik die GoFundMe-Aktion Rassismus den Stinkefinger zeigen ins Leben gerufen, bei der fünf Gesellschaften, die sich gegen Rassismus und Diskriminierung engagieren, von Euch als Mithelfer*innen unterstützt werden können. Und hier geht Euer Geld hin: Pro Asyl, GLADT, ISD (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland) und AGIUA aus Chemnitz. Diese vier Vereine und Organisationen hat Tarik ausgesucht, den fünften Verein hat Tesfus Community auf Facebook und Instagram selbst gewählt. Und zwar: Women in Exile and Friends.
»Es ist wichtig, dass man denen Gehör verschafft, die tagtäglich Opfer von Rassismus werden. Denn nur so kann man sensibilisiert werden und das eigene – hoffentlich nicht beabsichtigte – rassistische Verhalten hinterfragen. Denn rassistische Tendenzen schlummern in uns allen. Rassismus ist ein Kotzbrocken, der sich leider überall versteckt.«Mach einen Anfang mit Deiner Spende für Tariks Kampagne – wann anfangen, wenn nicht jetzt?
Jetzt – inmitten der Aufstände im Chemnitz – ist also die Zeit, sich zu bekennen und aktiv gegen diesen »Kotzbrocken« namens Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit (und welche Namen er noch haben mag) vorzugehen! Ob Du nun bei Demos gegen Rechts mitläufst, Dich ehrenamtlich engagierst oder vielleicht auch Deinen Anfang mit einer Spende für Tariks Kampagne machst – wann anfangen, wenn nicht jetzt?
Sorg mit dafür, dass wir alle hier irgendwann (und hoffentlich früher als später) sicher und friedlich miteinander leben können. Jeder Schritt in diese Richtung zählt.
Denn auch ein kleiner Anfang und ein kleines Statement gegen Rechts können, in der Summe mit anderen, aus Deutschland ein weltoffeneres Land machen, das in Zukunft hoffentlich ein friedliches Miteinander und gleiche Chancen für alle zu bieten hat. Wir sind alle Menschen und somit schonmal grundsätzlich alle gleich, also sollten auch alle mit gleichem Maße an Respekt und Wertschätzung behandelt werden.
Headerfoto: Kristina Kast. („Heal the Wolrd“-Button hinzugefügt) Danke dafür!