Planschbecken neben dem Ozean

Wenn du mich ansiehst mit diesen großen braunen unendlich traurigen Augen, dann fühle ich mich wie der schrecklichste Mensch auf Erden. Ich habe dein Herz gebrochen. Ohne es zu wollen. Ohne dich verletzen zu wollen. Aber dennoch ist es geschehen. Du sagst, ich habe dir den Glauben an die Liebe genommen, denn ich war deine erste. Deine erste Liebe und deine erste Frau. Nie wolltest du dich so fallen lassen, nie so verletzt werden und doch hast du beides zugelassen. Weil du mich mehr liebst als dich selbst, mehr als alles, was sonst auf dieser Welt existiert.

Ich hätte niemals gedacht, dass mich jemand so lieben kann, mich perfekt finden kann, wo ich doch selbst nichts Perfektes an mir sehe. Viele Makel, viele Fehler, aber perfekt? Das bin doch nicht ich. Niemand kann so in mich hineinsehen wie du. Du kennst mich besser, als ich mich je kennen werde, und das macht mir schreckliche Angst. Soviel Angst, dass ich weglaufen will. So sehr, dass ich mich hinter Traditionen verstecke und dir sage, ich kann mir ein Leben mit einer Frau nicht vorstellen. Was sollen meine Großeltern sagen, die ja die Hoffnung hegen, dass ihre hochintelligente und hübsche, aber etwas schwierige Enkeltochter doch noch „schafft“ einen Mann zu finden? So wie ich alles in meinem Leben geschafft habe – meine Ausbildung, meine Jobs, meine Reisen, meine eigene Firma zu gründen. Nur einen Mann zu finden schaffe ich nicht.

Ja, sie lieben dich und du bist ein Teil meiner Familie, aber was werden sie sagen, wenn ich ihnen erzähle, welche Rolle du eigentlich wirklich in meinem Leben spielst? Dass du der Mensch bist, der alles über mich weiß, mit dem ich körperliche Nähe ohne Einschränkungen genießen kann, der mir mehr Energie gibt als alles sonst und nicht nur meine beste Freundin ist? Wie werden sie dich (an)sehen und wie mich? Werde ich immer noch ihr ganzer Stolz sein oder die Schande der Familie, die es nicht geschafft hat, einen Mann zu finden, und sich jetzt einbildet lesbisch zu sein? Das könnte ich nicht ertragen.

Aber noch weniger kann ich es ertragen ohne dich zu sein. Deinen Blick, deine Küsse, deine Nähe zu vermissen und die Gespräche mit dir, meiner besten Freundin und Geliebten. Ich kann mir nicht vorstellen, so etwas noch einmal in meinem Leben zu finden. Diese bedingungslose Vertrautheit und Zuneigung. Ich habe nie das Gefühl mich verstellen zu müssen und falls ich es doch tue, erwischst du mich sofort, mein kleiner Spion. Einem Skorpion kann man einfach nichts vormachen und dir schon gar nicht.

Die Liebe, die ich für dich empfinde, ändert aber leider nichts an der Tatsache, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche, als auch dieses Ziel, das einem von der Gesellschaft vorgegeben wird, zu erreichen. Einen Mann zu finden, der mich heiraten und mit mir Kinder haben will. So schwer ist das gar nicht, aber ich liebe diese Männer nicht. Es ist ein lauwarmes Gefühl zwischen etwas Sympathie und einer Prise sexueller Anziehung, aber im Vergleich mit meinen Gefühlen für dich ist es wie ein Planschbecken neben dem Ozean. Einerseits ist das irgendwie beruhigend, denn in einem Planschbecken kann man nicht ertrinken oder von den Wellen fortgerissen werden, aber es ist auch langweilig und in jeder Hinsicht einschränkend. Seit vielen Monaten schon sitze ich in diesem Planschbecken und sehe mir das Meer nur aus der Ferne an, gelähmt vor Angst, was seine unendlichen Tiefen und Weiten mit mir anstellen könnten. Ich will loslaufen, mich in die Wellen werfen und schwimmen ohne eine Sekunde an die Konsequenzen zu denken, aber ich kann nicht.

Etwas hält mich zurück und ich weiß nicht, was es ist. Sind es die Vorstellungen der Gesellschaft und meiner Familie, die ich einfach nicht abschütteln kann, auch wenn ich mich für eine Rebellin und einen toleranten Freigeist halte, oder fühle ich mich sexuell einfach zu Männern hingezogen und selbst unsere große Liebe kann daran nichts ändern? Jedes Mal wenn du bei mir bist, vergesse ich alles um mich herum und nur du bist wichtig, aber wenn du gehst, kommen die Zweifel wieder und meine Vernunft versucht mein Herz zu besiegen. Kopfmensch, der ich bin, siegt mein Verstand meist über meine Gefühle und schert sich nicht darum, ob ich glücklich bin oder in Depressionen versinke. Ich habe Angst, dass mein Verstand und die Konditionierung durch meine Umwelt mich in eine unglückliche Ehe treiben werden und ich diesen Entschluss mein ganzes Leben lang bereuen werde. Ich habe dich schon so oft verloren und jedes Mal hast du mir noch eine Chance gegeben und deine Arme wieder für mich geöffnet, aber das wird auch nicht für immer so bleiben und ich kann diese Rolle als schreckliche Herzensbrecherin nicht länger spielen. Ich muss mich entscheiden und ich hoffe seit Monaten, dass die Zeit mir diese Entscheidung irgendwie abnehmen wird, denn ich selbst habe nicht die Kraft dazu.

Arisha fühlte sich schon immer fehl am Platz in Österreich und bereiste die Welt in jungen Jahren mit hart Erspartem. Sie liebt Mexiko, Türkis, marokkanischen Minztee und seit einigen Jahren auch eine Frau. Mit Labels wir homo, hetero, bi etc. kann sie nicht viel anfangen, die Sexualität und Gefühle eines Menschen können doch nicht so banalisiert werden. Sie träumt von einer Welt, in der alle Menschen so bunt gemischt sind, dass es keinen Rassismus und keinerlei Ausgrenzung mehr gibt, ertappt sich allerdings öfter mal selbst bei spießigen Gedanken und verspricht sich dann, daran zu arbeiten und sich stets selbst zu hinterfragen.

Headerfoto: Thomas Kelley via Unsplash.com. („Gedankenspiel-Button“ hinzugefügt.) Danke dafür.

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5 Comments

  • Kleines Update: nach einem schrecklichen Jahr voller Verwirrungen und Hoffnungslosigkeit sind die Frau mit den großen braunen Augen und ich wieder ein glückliches Paar 🙂 Entgegen aller Klischees, dass „nur ein Gulasch aufgewärmt gut schmeckt“ sind wir überglücklich und wollen nie wieder ohne einander sein 🙂

  • Ein wunderschöner Text! Und ich möchte der Autorin mut machen. Folge deinem Herzen. Du wirst sonst dein Leben lang unglücklich sein. Ich bin den Weg gegangen und meine Familie hat mich verstoßen. Sie werden es irgendwann akzeptieren das weiß ich… Du hast nur ein Leben und das ist kurz. Viel Glück und Liebe!

  • Ich kann diesen Text zu ziemlich nachempfinden, denn ich befinde mich derzeit zu 98% in der selben Situation allerdings… aus Sicht der mit den großen braunen Augen… Schön geschrieben und ich wünsche euch nur das Beste!
    LG

  • Ich kann zwar nicht wirklich nachempfinden, was die Autorin empfindet. Doch der Text macht mich glauben, ich könnte es, so schön ist er geschrieben. Das musste gesagt werden.

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