Meine Liebe wohnte in Paris – ein letztes Treffen mit Theo

Ich habe ihn ab und zu herbeigesehnt, diesen Moment, und doch hätte ich nie geglaubt, dass wir uns wirklich jemals wiedersehen. Nun sitze ich hier, warte auf Dich, innerlich unruhig, unsicher, ob wir uns überhaupt noch was zu sagen haben, heilende Worte finden für all die Grausamkeiten, die wir uns vor sechs Jahren gegenseitig zufügten. Dein falsches Spiel und mein eisiges Schweigen danach.

Heute ist Dein Haar so lang, dass es Dir sanft um die Wangen weht. Ich bin mir sicher, es fühlt sich jetzt weniger strubbelig an. Ein silberner Ring blitzt an Deinem linken Ohr hervor, wirft mir Sonnenstrahlen entgegen und ich muss blinzeln. Sie umspielen sanft Dein schiefes Lächeln, setzen es in Szene, als müssten sie es mir erst wieder schmackhaft machen. Dabei liebe ich es immer noch – irgendwie.

Wir gehen ein paar Schritte, Dein schickes Rennrad schnurrt leise neben uns, bevor wir uns niederlassen, hier an der Seine, meinem Lieblingsort, eine kleine Oase im städtischen Chaos. Witze perlen über unsere Lippen, als hätten sie all die Jahre nur darauf gewartet, erzählt zu werden. Sie machen sie bunter, die Geschichten unserer beider Leben, die ohne Berührungspunkte und doch augenscheinlich so parallel verliefen. Du sprichst von Deinem gekündigten Job, dem Neuseeland-Plan und dem Haus ihrer Eltern in der Provence, wo sie malen will.

Deine Augen leuchten abenteuerhungrig und versinken tief in meinem Blick.

Deine Augen leuchten abenteuerhungrig und versinken tief in meinem Blick. Braun und grün strahlen sie mich an, zwei paar Seelen-Tore, die es kaum erwarten können, in die große, weite Welt zu ziehen. Es ist verrückt, stellen wir fest, wie die Zeit verfliegt, und dass wir beide nun hier sitzen. Mit dem gleichen Plan im Kopf und so vielen Gemeinsamkeiten, von denen wir vor sechs Jahren nicht im Geringsten etwas ahnten.

„…Sie vermisse dich, angeblich, doch du bliebst kalt.“

Der Himmel schiebt riesige Wolkenberge von Ost nach West, hinter denen die Sonne verstecken spielt, als die ersten Regentropfen uns platschend überraschen. Du kramst in Deinem Rucksack nach dem Regenschirm, den Du in weiser Voraussicht für mich eingepackt hast. Dabei bräuchte ich ihn gar nicht, denn es macht Spaß, mit Dir im Regen spazieren zu gehen.
Sie hat Dich angerufen, erzählst du mir, und wenig später weinend vor dir gesessen. Sie vermisse dich, angeblich, doch du bliebst kalt. Das kannst Du gut, denke ich und erinnere mich an die kalten Nächte neben Dir, in denen Dein Rücken einer Eiswand glich.

Es sei zu spät, sagst Du. Acht Jahre lang hast Du dich nach ihr verzehrt. Ich weiß, murmele ich – das tatest Du auch schon, als ich bereits in Dich verliebt war. Aber das sei jetzt anders, vielleicht. Ganz sicher scheinst Du dir nicht zu sein. Jedenfalls bist Du ja nun vergeben und schon lange mit deiner Freundin zusammen. Und glücklich? frage ich.

Beziehungen, die von Leidenschaft bestimmt werden, sind zum Scheitern verurteilt, davon bist Du überzeugt.

So glücklich wie man eben nach 5 Jahren sein kann, meinst Du. Klingt ganz solide, eigentlich. Und Leidenschaft? Die geht irgendwann verloren, sagst Du. Beziehungen, die von Leidenschaft bestimmt werden, sind zum Scheitern verurteilt, davon bist Du überzeugt. Ich nicke, zünde mir die Zigarette an und beobachte dich dabei, wie Du die Tabakkrümel feinsäuberlich mit Deinem Finger wegtupfst.

Das hast du schon immer gemacht, stellt mein Kopf fest und freut sich über dieses kleine Detail.

„…Der Scheiß von damals eben.“

Es täte Dir leid, sagst Du nach dem ersten Bier. „Was denn?“, will ich neugierig wissen und ahne schon, wovon Du sprichst. Der Scheiß von damals eben. Deine Lügen, Dein Alkoholkonsum und Deine ständige Feierei. Ich war doch selbst nicht besser, denke ich. Nur gelogen habe ich nie.

Wenn ich Dir auf kleinen Zetteln, die ich aus meinem Notizbuch herausriss, schrieb, wie wichtig Du mir warst, bevor ich klackend Deine Wohnungstür ins Schloss zog und in den Aufzug stieg, dann kamen sie tief aus meiner Brust – meine ehrlichen Herzensworte.

Aufgehoben hast Du sie, sagst Du. Allesamt, in einer kleinen Kiste, meine ganzen Mini-Briefe, weil sie Dir viel bedeutet haben. Du seist Dir nicht sicher, ob Deine Freundin davon weiß – sie vielleicht irgendwann mal gefunden hat. Mein Facebookprofil wollte sie jedenfalls sehen, vor unserem heutigen Treffen.

Auf Deinem Handy zeigst Du mir diese App, die ihr immer genau zeigt, wo Du gerade bist. Kontrollwahn, denke ich. Wahrscheinlich berechtigt, werfe ich gedanklich ein, Du hast sie betrogen. Zwei Jahre lang, immer mal wieder. Irgendwann flog alles auf. Du kannst mir nicht mal mehr genau sagen, ob Du schon mit ihr zusammen warst, als ich noch jeden Abend in Deinem Bett einschlief. Kein Wunder also, dass sie Dir misstraut. Sie hätte Dir verziehen, aber nun läge eben eine Vertrauensleiche im Keller.

Du kannst mir nicht mal mehr genau sagen, ob Du schon mit ihr zusammen warst, als ich noch jeden Abend in Deinem Bett einschlief.

Ich rätsele, rechne und stelle fest, dass Du damals behauptetest, Du seist frisch getrennt. Kann also gar nicht sein, dass Du schon mit ihr zusammen warst, am Abend, an dem Du mich nach Feuer fragtest. Du zuckst mit den Achseln und lächelst schief. Uns ist beiden bewusst, dass man Dir früher nicht alles glauben konnte.

Dafür wirkst Du heute umso ehrlicher, liebevoller, weicher. Wahrscheinlich vergeben Dir deshalb alle, weil Du eigentlich tief drinnen ein herzensgutes Arschloch bist. Auch ich habe Dir Dein Spiel mit meinen naiven Gefühlen längst verziehen. Apropos Gefühle, Du sprichst von Sehnsucht und davon, dass Du sie noch nie vermisst hast. Ungläubig versuche ich meinen grünen Blick durch Dein tiefes Braun in Dein Herz zu bohren, auf der Suche nach der Wahrheit.

Ob Du deshalb ein Psychopath seist, fragst du grinsend. Definitiv! Ich lache und setze meine Hobbypsychologenbrille auf. Ob Du sie wirklich liebst, aus tiefstem Herzen, will ich wissen. Zögern. Du weißt es nicht, bist Dir nicht sicher.

„…Hast du denn jemals wirklich geliebt?“

„Hast Du denn jemals jemanden wirklich geliebt?“, hobbypsychologisiere ich weiter. „Ja.“ Deine erste Freundin, die Dich von einem Tag auf den anderen sitzen ließ. Wochenlang geheult hat Dein 20jähriges Ich, wahnsinnig abgenommen und die Prüfungen verkackt. Liebeskummer, das volle Programm eben.

Als sie Dich dann ein Jahr später mitten in der Nacht anrief und vom größten Fehler ihres Lebens sprach, bist Du natürlich drauf reingefallen und hast Dich drei Wochen später wieder von ihr abschießen lassen. Danach machtest Du wahrscheinlich dicht, vermute ich. Hast keine Gefühle mehr zugelassen, deshalb weißt Du auch nicht, ob Du Deine Freundin liebst, weil Deine Gefühle nie wieder so tiefe Wurzeln schlagen konnten.

Innerlich scheinst Du mir zuzustimmen und Dir bewusst zu werden, was für ein armer, emotionaler Krüppel Du bist.

Dein Blick ist durchzogen von Verblüfftheit und Selbsterkenntnis. Innerlich scheinst Du mir zuzustimmen und Dir bewusst zu werden, was für ein armer, emotionaler Krüppel Du bist. Ein Psychopath eben, grinse ich, doch Du schaust mich ernstvoll an.
Ich sei nicht so, wirfst Du messerscharf in den Raum und sie trifft mich mitten ins Herz, diese Aussage.

Eingehüllt in Bewunderung und Zuneigung sind Deine Worte und sie berühren mich, weil Du mich siehst, wahrnimmst, schätzt – so, wie ich bin. Ich bejahe und erzähle Dir von meinen zahllosen Kopfsprüngen ins eiskalte Piranha-Becken der Liebe, den Verletzungen und dem Gefühl, lebendig zu sein. Dass ich es niemals missen möchte und es gut ist, zu fühlen, egal, ob es weh tut.

Ein Passant mit Rad fragt Dich nach Flickzeug für seinen platten Reifen. Rennräder sind jetzt auch in Paris en Vogue, denke ich und höre Deinen fachmännischen französischen Stimmmelodien zu – etwas betrübt so unsanft aus den Tiefen unseres Gesprächs gerissen worden zu sein.

Eine halbe Stunde später entschuldigst Du dich für Deinen Landsmann, weil er uns beim Schlauchflicken ein Gespräch aufdrängte, nicht ahnend, dass in unserem Köpfen die Uhr laut tickend, countdown-artig, dem Ende unserer gemeinsamen Zeit entgegen zählte. Mir tut der Hintern weh vom Sitzen. Ob wir noch eine Runde laufen wollen, frage ich.

Ganz aufgekratzt bist Du auf einmal, als würde es Dich freuen, mich vorzustellen.

Am Quai des Celestines spazieren wir Deinen ehemaligen Arbeitskollegen in die Arme, die dort Weißwein aus edlen Gläsern trinken. Ganz aufgekratzt bist Du auf einmal, als würde es Dich freuen, mich vorzustellen. Wir sind beide ratlos, was die richtige Antwort auf die Frage nach unserer Bekanntschaft, ist. Ich sei mal Deine Freundin gewesen, erklärst Du ihnen.

Aha, denke ich und wundere mich über meine Erleichterung, dass Du das rückblickend so siehst. Ich also mehr für Dich war, als nur ein dreimonatiges Deutsches Abenteuer. Die klügste und tiefgründigste Deiner damaligen Erasmus-Studentinnen-Errungenschaften sei ich gewesen, sagst Du. Irgendwie lässt mich diese Aussage erneut Frieden mit Deinem inneren Arschloch und den alten Wunden schließen.

Deine Kollegen versuchen im Gespräch den Namen Deiner Freundin zu meiden und ich amüsiere mich köstlich darüber, weil sie glauben, sie müssten mal wieder für Dich lügen, so wie früher, als Du noch betrogen hast. Aber am wichtigsten ist, ich glaube Dir heute, nehme sie Dir ab – all Deine Worte – und bin endlich sicher, dass auch Dir unsere gemeinsame Zeit am Herzen liegt.

„…Wir sehen uns wieder!“

Du begleitest mich zur Metrostation. Plauderst meine Stille weg, die ich so oft in mir trage, wenn schwere Abschiede bevorstehen. Ich weiß nicht, wann und ob wir uns wiedersehen werden. Das spürst Du, als ich Dir etwas zu schmatzend die berühmten Bises auf die Wangen gebe.

Ich weiß nicht, wann und ob wir uns wiedersehen werden. Wir sehen uns auf jeden Fall wieder, versicherst Du.

Wir sehen uns auf jeden Fall wieder, versicherst Du. Wir sehen uns wieder! Sagst Du noch einmal, diesmal auch mit dem liebevollen Bick aus Deinen warmen braunen Augen. Spätestens in Neuseeland – oder das nächste Mal in Paris, beteuere ich und hoffe aus tiefstem Herzen, dass ich Dir ab heute wirklich alles glauben kann.

Maybegenerationmaybe sind, Nici & Hanna, zwei kreative Köpfe, voller Geschichten, die manchmal Fluch und Segen zugleich sein können. Beine baumelnd im Karussell des Lebens sitzend, genießen sie mit jedem Atemzug ihr Mittzwanziger-Dasein meist nach dem Motto „was kostet die Welt“. Alle gemeinsamen Begegnungen, Wirrungen, Erinnerungen und Irrungen  versuchen sie wie kleine Puzzle-Teile in ihren Texten zusammenzufügen, um diese dann anschließend in ihrer digitalen Schatztruhe, ihrem Blog, mit einer bisweilen kleinen Öffentlichkeit zu teilen, der es ähnlich geht. Sie wollen sich nicht festlegen, haben Angst zu verpassen, können sich nicht entscheiden – Maybe Generation Maybe, eben. Mehr von den beiden lest Ihr hier.

Headerfoto: John Schnobrich via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!

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