Ich mag das Wort “normal” nicht. Denn das impliziert, dass etwas anderes als das damit umschriebene eben nicht normal ist. Und wer will schon unnormal sein? Lange Zeit wurden uns bestimmte Dinge als “normal” verkauft: Heterosexuelle Beziehungen, gerne auch nur eine:n Partner:in auf einmal, ein bestimmter Figurtyp gilt (leider immer noch) als normal, eine bestimmte Lebensweise – und Liebesweise – galten als normal.
Wenn man all diesen bisherigen “Standards” folgt, bin ich ziemlich “normal”: Ich bin – und identifiziere mich als – eine Frau. Ich stehe auf Männer (zumindest auf einen), mache “normalen” Kram und stehe auf “normalen” Sex. Bin also eine in allen Fällen der heteronormativen Definition entsprechende Cis-Frau.
Ich habe Freund:innen, die non-binary sind und welche, die lieben mehr als nur eine:n Partner:in und führen auch mehr als nur eine Beziehung mit mehr als nur einem Geschlecht. Und all das ist sowas von hardcore okay.
Jetzt ist es aber so, dass wir in einer Zeit und mit Berlin in einer Umgebung leben, in der das alles nicht mehr so selbstverständlich ist, wie man das vorher immer so glauben wollte. Ich habe Freund:innen, die non-binary sind und welche, die lieben mehr als nur eine:n Partner:in und führen auch mehr als nur eine Beziehung mit mehr als nur einem Gender und/oder Geschlecht.
Und all das ist sowas von hardcore okay. Mal ehrlich: Wir leben im Jahr 2022 – dass man jetzt noch irgendwem das Konzept von “leben und leben lassen” erklären muss, sollte eigentlich überflüssig sein.
Die Welt ändert sich und Gender ist ein Spektrum
Die Welt ändert sich (zwar langsam, aber immerhin) und die Menschen trauen sich, Dinge zu hinterfragen, die vorher nie hinterfragt wurden. Zumindest nicht öffentlich: Gibt es überhaupt sowas wie Mann* und Frau*? Ist das nicht alles einfach nur ausgedacht? Was ist denn überhaupt männlich und was ist weiblich? Und ist das so furchtbar wichtig?
Doch natürlich machen diese ganzen alternativ gestalteten Beziehungsmodelle und die Tatsache, dass Gender für viele meiner Mitmenschen keine eindeutige Sache mehr sein muss, auch was mit mir. Ich fühle mich mit meiner Art zu leben und zu lieben, hier in Berlin, wie eine Art Auslaufmodell. Wie ungefähr die langweiligste Person aller Zeiten.
Ich frage mich, ob ich – so wie ich bin – noch dem Zeitgeist entspreche. Verpasse ich etwas, verpasse ich mein wahres Ich? Wissen die anderen etwas über sich, was ich über mich noch nicht weiß?
Ich frage mich, ob ich – heterosexuelle Cis-Frau – noch dem Zeitgeist entspreche. Verpasse ich durch meine mit Sicherheit auch teils anerzogene Orientierung etwas, verpasse ich mein wahres Ich? Wissen die anderen etwas über sich, was ich über mich noch nicht weiß? Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt, Zweifel an der eigenen sexuellen und/oder Gender-Identität zu haben. Ich kann mir den Struggle, den sowas privat und gesellschaftlich (leider) immer noch bedeutet, gar nicht richtig vorstellen.
Ich will das auch nicht als Selbsterfahrungstrip hinstellen, den man eben mal eben so durchlebt, um seinen “Horizont” zu erweitern – HELL NO! Sich selbst im Hinblick auf heteronormative Vorgaben infrage zu stellen, ist bestimmt keine easy Sache.
Cis-Mann und Cis-Frau: ist das überhaupt noch zeitgemäß?
Lediglich stelle ich mir manchmal die Frage, ob das Cis-Gender-Modell nicht mehr und mehr ausgedient hat, weil es andere Dinge fernab vom Geschlecht- und Gender-Zugehörigkeit gibt, die bei Menschen gerade im Hinblick auf Beziehungen irgendwie wichtiger sind?
Ziel ist und bleibt ja für uns als Gesellschaft, dass alle so leben und lieben dürfen, wie sie es wollen und wie es zu ihnen passt: ohne Erklärungszwang, ohne Shaming, ohne Druck, in eine Schublade passen zu müssen.
So be it! Denn das Ziel ist und bleibt ja für uns als Gesellschaft, dass alle so leben und lieben dürfen, wie sie es wollen und wie es zu ihnen passt. Zumindest stell ich mir das so vor und finde die Idee ganz geil: ohne Erklärungszwang, ohne Shaming, ohne Druck, in eine Schublade passen zu müssen.
Ich persönlich habe mit meiner Cis-Frau Schublade kein Problem, weil ich es mir darin gemütlich gemacht habe und alles sich ziemlich komfortabel für mich anfühlt. Abgesehen davon, dass ich als Frau immer noch merkbare Nachteile gegenüber dem Heteronormativ-Männlichen in unserer Gesellschaft habe.
Aber für andere Leute sind Schubladen eben nichts. Manche brauchen eben zwei Ikea Pax-Schrank-Hälften, um sich komfortabel ausbreiten zu können oder offene Schubfächer, und mehrere davon. Weil eins nunmal nicht reicht, um alle Facetten des Selbst zu beherbergen. Mir persönlich reicht meine Schublade. Ganz langweilig, ganz altmodisch, aber trotzdem sehr glücklich. Und ich gönne jeder Person den Freiraum, den sie benötigt und freue mich, wenn sie den in unserer Gesellschaft bekommt.
Headerfoto: cottonbro (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!