Ich stand mitten im Supermarkt. Allein und verlassen. Ich bin einfach hinein, wollte einkaufen und plötzlich kam mir alles so sinnlos vor. Ich blieb also stehen, bewegte mich nicht mehr und dachte auch nichts mehr. Leerer Blick und leerer Mensch. Es war mir einfach alles egal. Denn ich war einfach so enttäuscht. Von ihm, von mir und dem Leben. Eine Träne kullerte meine Wange runter. Ich wischte sie energisch weg und stampfte weiter durch den Supermarkt.
Schon oft hatte ich von diesem ‚neuen‘ Phänomen gehört. Niemand im Datingbusiness würde davor Halt machen können. Prominente berichteten davon, Nachbar:innen, Freund:innen. Irgendwie schien jede:r schon einmal Erfahrungen damit gemacht zu haben. Doch mir war diese Form des plötzlichen Wegbleibens, Verschwindens, Sich-in-Luft-Auflösens noch nie passiert. Und ich dachte auch immer, dass ich genügend Empathie und Spürsinn aufbringen würde, dass mir das auch nie passieren könnte.
Und doch. Es war passiert, ich war solch einem Exemplar Mann begegnet und es hatte mich ganz unverhofft und mit voller Wucht erwischt.
Und doch. Es war passiert, ich war solch einem Exemplar Mann begegnet und es hatte mich ganz unverhofft und mit voller Wucht erwischt. Ich hatte nun schon seit drei Tagen nichts mehr von ihm gehört. Keine Nachrichten, keine Telefonate, keine Reaktion. Er war einfach verschwunden. Wir hatten uns das Wochenende davor noch getroffen. Hatten drei Tage gemeinsam verbracht, waren leidenschaftlich übereinander hergefallen. Er zeigte mir seine Stadt, meine alte Studentenstadt. Es hatte sich viel verändert. Und doch war so viel gleich geblieben.
Schmetterlinge im Bauch und große Hoffnungen
Am Ende dieses romantischen Wochenendes hatte er mich zum Bahnhof gebracht, wir lagen uns in den Armen, schauten uns tief in die Augen. Knutschen verbotenerweise auf dem Bahnsteig und lächelten uns hinter unseren Masken verschmitzt an. Er fragte mich sogar, ob wir uns am nächsten Wochenende wiedersehen würden. Ich sagte freudestrahlend zu und stapfte glücklich und beseelt in den Zug. Auch auf der Rückfahrt meinte ich schon Schmetterlinge im Bauch zu spüren. Und auch die kommende Woche über hatten wir immer wieder Kontakt.
Wir lernten uns über eine Datingplattform kennen. Erst schrieben wir und dann trafen wir uns. Alles nicht so einfach, denn er wohnte anderthalb Stunden von mir entfernt. Eigentlich viel zu weit weg und dann auch noch mitten in einer Pandemie. Doch ich musste schnell feststellen, dass wir gemeinsame Bekannte hatten. Es gab mir eine Sicherheit, denn wie könnte schon ein Mensch ein Arschloch sein, den meine Freunde kennen?
Nach dem mühseligen Verarbeiten meiner letzten Beziehung und einigen lockeren Affären schien er ein Mann zu sein, der Potenzial für mehr versprach.
Wir telefonierten nicht, sendeten uns aber unzählige Sprachnachrichten und tauschten witzige Fotos aus. Ein Corona-Buddy, der mein Singleleben sehr viel schöner machte. Und er hatte Humor, war erfolgreich und schien perfekt für mich zu sein. Nach dem mühseligen Verarbeiten meiner letzten Beziehung und einigen lockeren Affären schien er ein Mann zu sein, der Potenzial für mehr versprach.
Doch nun stand ich hier, allein im Supermarkt – mit gebrochenem Herzen. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand das Herz aus der Brust gerissen und den Boden unter den Füßen weggezogen. Dieses Gefühl kannte ich eigentlich nur von Trennungen, denen viele Jahre der Beziehungen vorangingen. Ich hatte mir geschworen, dass mich ein Mann nie wieder so verletzen würde.
Jetzt hatte ich mich das erste Mal wieder geöffnet, ich hatte Kontrolle abgegeben und Vertrauen eingesetzt. Und das wurde sofort und radikal bestraft.
Ich hatte Mauern aufgebaut, ich hatte Herzen gebrochen und ich hatte immer wieder Entscheidungen getroffen. Jetzt hatte ich mich das erste Mal wieder geöffnet, ich hatte Kontrolle abgegeben und Vertrauen eingesetzt. Und das wurde sofort und radikal bestraft. Mir wurde die Macht entrissen, keine Kommunikation, kein Warum. Ich konnte ihn nicht erreichen, ich wurde ausgeschlossen und zurückgelassen. Und das, ohne dass ich eine Erklärung für diesen jähen Kontaktabbruch erhielt.
Der Wendepunkt
Zwei Tage weinte ich, wütete ich und sprach mit Freundinnen. Ich wusste, dass ich nichts falsch gemacht hatte. Ich wusste, dass ich hier nicht das Arschloch war. Ich wusste, dass ich ein Geschenk erhalten hatte. Denn dieser Mann hatte mir frühzeitig gezeigt, wie er kommunizierte, wie er mit seinen Mitmenschen umgeht und wie wichtig ich ihm war. Ich war nur eine seiner Liebeleien, er wollte Ablenkung aus dem Corona-Alltag, er wollte Sex, er wollte Spaß. Vielleicht wollte er auch mehr und ich machte etwas falsch. Doch das würde ich niemals erfahren.
Jetzt wusste ich also, wie Ghosting sich anfühlte. Wie erniedrigend und schmerzhaft, wie lehrreich aber auch zugleich.
Ich hatte sogar noch Klamotten von ihm. Erst wollte ich sie ihm hinterherschicken, dann verbrennen und irgendwann schmiss ich sie dann einfach weg. Ich wollte mich nicht mehr schlecht fühlen und ich wollte von diesem einen Menschen auch nicht meinen Wert abhängig machen. Denn diese Aktion sagte mehr über ihn aus als über mich. Jetzt wusste ich also, wie Ghosting sich anfühlte. Wie erniedrigend und schmerzhaft, wie lehrreich aber auch zugleich.
Danke, dass du mich geghostet hast!
Das Herz hat natürlich wieder einen kleinen Riss bekommen. Es hat gelitten und im ersten Moment war dies eine Bestätigung: Zeige dich nie wirklich. Verschließe dich, denn du wirst wieder und wieder enttäuscht und verletzt.
Doch irgendetwas war anders als bei den letzten Malen. Der Schmerz war intensiv, wild und tief. Aber im gleichen Moment wusste ich, dass ich mich nicht von einem Mann abhängig gemacht hatte. Ich hatte zwar mein Herz geöffnet, ich hatte aber nicht mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt, meine Stadt verlassen, mich selbst verlassen. Denn das hatte ich vorher so oft getan. Das Leben zeigte mir also, dass ich in den letzten Jahren gewachsen war. Ich war heiler als je zuvor und ich heilte immer mehr.
Ich wusste, dass das Leben manchmal und immer wieder wehtun würde, aber auch das würde ich irgendwie überstehen, denn ich war genug.
Ich wusste, dass das Leben manchmal und immer wieder wehtun würde, aber auch das würde ich irgendwie überstehen, denn ich war genug. Ich bin genug. Und ich wusste, dass es doch darum und nur darum geht: Zu fühlen, sich einzulassen, sich fallen zu lassen. Eben einfach zu lieben. Denn nur das macht doch das Leben lebenswert, oder?
Headerfoto: mikoto.raw Photographer (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!
ich fühl das so.
ghosting ist etwas ganz schlimmes. es ist so richtig….hässlich und wie du sagst erniedrigend und schmerzhaft.
danke für den tollen text.
Ein wunderbarer ehrlicher Text, der geradezu absurd gut zu aktuellen Geschehnissen in meinem Leben passt. Die Worte hier machen Mut und bestärken die eigenen, leisen Gedanken vom genug sein.