Der Gender Data Gap ist der formschöne, aber bisher wenig bekannte Begriff für den Umstand, dass die Welt damals fast ausschließlich und heute noch zum großen Teil von Männern an Männern erforscht worden ist. Die vielen gesammelten Daten nahmen den Mann als Durchschnittsmensch und vergaßen den Körper, Geist und Alltag der Frau. Viele der hier genannten Erkenntnisse stammen aus Invisible Women von Carolina Criado Perez, die unseren Blick für den Gender Bias schärfen will.
„Frauen und Technik?“, möge da noch manch Mario-Barth-Anhänger schmunzeln, doch ist es durchaus interessant, mal davon auszugehen, dass die vermeintlich geringere Technik-Affinität von Frauen nicht einem generellen Unvermögen zuzuschreiben ist, sondern vielmehr, dass technische Gadgets von Männern stammen und Frauen bei der Konzeption übersehen worden sind.
Die sicherste Route
Google Maps ist furchtbar praktisch. Man kann sich nicht nur die nächste Möglichkeit für einen Schokoriegel oder die Außenansicht seiner neuen Arbeitsstelle anzeigen lassen, sondern auch den schnellsten Weg von A nach B herausfinden. Doch wie viel praktischer wäre es, wenn Google Maps auch die sicherste Route anzeigen könnte? Für viele wäre das ein äußerst relevantes Tool auf dem nächtlichen Gang nach Hause.
Hier zeigt sich die erste Diskrepanz zwischen der Lebensrealität vieler Frauen (oder anderen Minderheiten) und der von Männern. Frauen müssen den sichersten Weg auf dem Schirm haben.
Hier zeigt sich die erste Diskrepanz zwischen der Lebensrealität vieler Frauen (oder anderen Minderheiten) und der von Männern. Frauen müssen den sichersten Weg auf dem Schirm haben und entwickeln in diesem Zuge eigene Strategien: welche Straßen sind nachts gut beleuchtet, wo sind noch zu später Stunde viele Menschen anzutreffen, wie kann ich es organisieren, dass ich nicht alleine nach Hause gehen muss, welchen Umweg nehme ich in Kauf, um mich sicher zu fühlen. Gedanken, die die Entwickler von Google Maps wohl nicht so oft haben.
Über Health-Apps ohne Perioden-Tracker und Siri ohne Plan
2014 stand Apple beim Launch ihrer neuen App Health in der Kritik: Sie konnte zwar den Alkoholgehalt im Blut anzeigen, die Schrittanzahl feststellen und den Blutdruck nachmessen, aber kein einziges Tool bereitstellen, um die Periode und die Fruchtbarkeit im Zyklus zu tracken. Eine Funktion, die für Menschen, die menstruieren, unendlich viel praktischer ist, als die tägliche Schrittanzahl vor Augen zu haben. Ups, das wurde wohl vergessen.
Auch Siri kam nicht gut weg: Die virtuelle Sprachassistentin eines jeden iPhones konnte zwar viele Jahre lang den Weg zu Bordellen und Viagra-Anbietern ermitteln, doch bei der Nachfrage nach einer Anlaufstelle für Opfer von Vergewaltigungen blieb sie stumm und sagte nur: „I don’t understand you“.
Siri konnte zwar viele Jahre lang den Weg zu Bordellen und Viagra-Anbietern ermitteln, doch bei der Nachfrage nach einer Anlaufstelle für Opfer von Vergewaltigungen blieb sie stumm und sagte nur: „I don’t understand you“.
Ein Satz, den wohl viele Frauen von ihren Spracherkennungsdiensten täglich zu hören bekommen. Studien testeten, wie gut die Systeme auf weibliche Stimmen (durchschnittlich mit einer höheren Frequenz und einem langsameren Rhythmus) und männliche Sprechweisen (tiefer und schneller) reagierten. Sie fanden heraus, dass die Spracherkennungssoftware von Google männliche Spracheingaben in 7 von 10 Fällen besser erkennt als die von Frauen. Der Grund? Die Erkennung wurde auf tiefe Stimmen konfiguriert.
Auch die Produktion schien bei der Hardware vieler moderner Technikprodukte den Mann als Durchschnitt zu nehmen: Es wurden schon Smart-Watches von Apple oder VR-Headsets auf den Markt gebracht, die viel zu groß waren, um um ein Frauenhandgelenk oder einen durchschnittlichen Frauenkopf zu passen.
Kleinere und schmalere Hände sind auch beim Trend des zu großen Handy-Displays nicht von Vorteil. Viele Smartphone-Funktionen können bei großen Handys (und der Großteil der Modelle der führenden Hersteller sind bei ca. 5-6 Zoll) nämlich mit einer durchschnittlichen Frauenhand nicht einhändig benutzt werden. Weil zu groß. Ziemlich ärgerlich, wenn man unterwegs ist, ein Foto aufnehmen will oder eine Nachricht tippen möchte.
Studien fanden heraus, dass die Spracherkennungssoftware von Google männliche Spracheingaben in 7 von 10 Fällen besser erkennt als die von Frauen. Der Grund? Die Erkennung wurde auf tiefe Stimmen konfiguriert.
Hierzu befragte Perez den Tech-Reporter des Guardians, warum dies der derzeitige Trend unter den Handybildschirmen sei. Er antwortete, dass viele das Handy gar nicht mehr am Körper, sondern in der Handtasche trügen. Wohingegen Perez einwendete, dass das Tragen einer Handtasche unter anderem darauf basiert, dass die meisten Frauenklamotten nur kleine Hosentaschen aufweisen würden und man deswegen externe Hilfsmittel zum Transport nehmen müsse.
Und es ist wahr: Studien haben gezeigt, dass Hosentaschen an Hosen, die für Frauen designt wurden, 46 Prozent kleiner sind als die für Männer, es passe kaum eine ganze Frauenhand hinein.
Auf diese Ungerechtigkeit hinzuweisen mag wie eine Kleinigkeit wirken, doch die Vorstellung, beispielsweise bei Google Maps die sicherste Route nehmen, das Handy in der U-Bahn mit einer Hand bedienen und in der Hosentasche verstauen zu können oder Spracheingaben nicht dauernd zwei oder dreimal wiederholen zu müssen – wirkt so erleichternd und befreiend. Warum eigentlich nicht ändern?
Wir brauchen weibliche Dummies
Ernster wird es jedoch beim Thema Auto. Denn auch Autos sind auf Männerkörper zugeschnitten. Das schließt die Sitzgurte mit ein, die von vielen Frauen aufgrund ihrer Oberweite nicht korrekt quer über die Brust getragen werden können und sie somit einem größeren Verletzungsrisiko aussetzen.
Auch Airbags und Autositze stellen eine größere Gefahr für Frauen dar. Untersuchungen haben festgestellt, dass Frauen durch ihr durchschnittlich geringeres Gewicht bei einem Aufprall schneller und weiter nach vorne geworfen werden und dadurch einem bis zu drei Mal höherem Risiko eines Schleudertraumas ausgesetzt sind.
Sitzgurte, die von vielen Frauen aufgrund ihrer Oberweite nicht korrekt quer über die Brust getragen werden können und sie somit einem größeren Verletzungsrisiko aussetzen.
Die Sitze müssten laut den Expert:innen weicher sein und besser gepolstert werden. In ihrem jetzigen Zustand würden sie meist nur die durchschnittlich schwereren Körper von Männern schützen, denn Autositze wurden meist an Dummies getestet, die Männerkörpern nachempfunden wurden. Automobiles Fahren sollte jedoch für beide Geschlechter sicher sein. Her mit weiblichen Dummies!
Der Gender Data Gap beeinflusst nicht nur die Technik, die uns umgibt. Auch unsere Infrastruktur ist betroffen: Habt ihr euch schon mal gefragt, warum Frauen immer so lange warten müssen vor der Frauentoilette oder warum viele öffentliche Verkehrsmittel nur One-Way-Tickets anbieten? Nächste Woche gibt’s mehr dazu.
Headerfoto: Stockfoto von Jacob Lund/Shutterstock. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!