Der Gender Data Gap ist der formschöne, aber bisher wenig bekannte Begriff für den Umstand, dass die Welt damals fast ausschließlich und heute noch zum großen Teil von Männern an Männern erforscht worden ist. Die vielen gesammelten Daten nahmen den Mann als Durchschnittsmensch und vergaßen den Körper, Geist und Alltag der Frau. Viele der hier genannten Erkenntnisse stammen aus Invisible Women von Carolina Criado Perez, die unseren Blick für den Gender Bias schärfen will.
„Ihr Frauen braucht halt einfach länger.“
Wer jemals auf eine Frauentoilette bei einer öffentlichen Veranstaltung gegangen ist, kennt das Szenario nur allzu gut: Eine lange Schlange bildet sich, Frauen stehen sich die Beine in den Bauch, während die Männer entspannt rein und raus spazieren können. Ein Zufall? Eine biologische Notwendigkeit? Nein, lediglich ein Gedankenfehler. Die Konstruktion der geschlechtergetrennten Toilette basiert nämlich auf dem simplen Prinzip: 50 Prozent Platz für Männertoiletten, 50 Prozent für die Frauen.
Der Denkfehler: Die Kabinen für Frauen nehmen deutlich mehr Platz ein als Urinale. Das heißt, mehr Möglichkeiten für Männer, sich gleichzeitig zu erleichtern als für Frauen. Dazu kommt, dass Frauen laut Studien 2,3 Mal länger auf der Toilette brauchen. Die Gründe sind vielfältig und es liegt nicht an der vermeintlich kleineren Blase.
Der Denkfehler: Kabinen nehmen mehr Platz ein als Urinale. Das heißt, mehr Möglichkeiten für Männer, sich gleichzeitig zu erleichtern als für Frauen. Dazu kommt, dass Frauen laut Studien 2,3 Mal länger auf der Toilette brauchen.
Nimmt es nicht nur deutlich mehr Zeit in Anspruch, in eine Kabine zu gehen, diese zu verschließen, Tasche und Mantel zu verstauen und sich auszuziehen? Viele Frauen zusätzlich noch von Kindern oder älteren Menschen begleitet, denen sie assistieren. Dazu kommt, dass Frauen ihre Periode haben können, sich dementsprechend länger auf der Toilette versorgen müssen, und acht Mal häufiger von einer Blasenentzündung betroffen sind.
Selbst schuld an der langen Wartezeit? Eher ein Grund, die Toiletten den Bedürfnissen anzupassen und mehr Kabinen in die Planung mit einzubeziehen. Wie weniger belastend es doch sein muss, bei einer öffentlichen Veranstaltung nicht minuten- geschweige denn stundenlang vor der Toilette anstehen zu müssen. Wie viel Zeit man dann tatsächlich das Konzert hören, dem Kinofilm nachfühlen oder weitertanzen könnte.
Frauen reisen anders
Eine ebenso mühselige und nervige Angelegenheit findet man auch auf dem täglichen Weg zur Arbeit oder nach Hause. Die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist auch als Einzelperson kein Zuckerschlecken, doch mit Kinderwagen wird es noch anstrengender.
In Bussen finden meist nicht mehr als zwei Kinderwagen Platz, in U-Bahnen gibt es kaum günstige Stellplätze, oft sind U- und S-Bahn-Stationen mit keinem Aufzug ausgestattet, Fahrstühle und Rolltreppen fallen oft aufgrund einer Störung aus. In Stoßzeiten wird es noch schwieriger. Gleiches gilt für Menschen, die auf einen Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind.
Warum muss der Weg über öffentliche Verkehrsmittel so anstrengend gestaltet werden? Kann es vielleicht daran liegen, dass sich Bedürfnisse und Erwartungen an Mobilität zwischen den Geschlechter unterscheiden?
Die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist auch als Einzelperson kein Zuckerschlecken, doch mit Kinderwagen wird es noch anstrengender.
Es scheint fast so. Untersuchungen fanden heraus, dass Frauen öfter zu Fuß unterwegs sind als Männer. Gebe es ein Auto im Haushalt, dann sei das meist für den Mann vorbehalten. Die Wege, die Frauen und Männer in ihrem Alltag zurücklegen, unterschieden sich deutlich nach zwei verschiedenen Mustern: Männer tendieren dazu, einen linearen Weg zwischen Arbeit und Zuhause zurückzulegen, wohingegen Frauen „Trip-Chaining“ betreiben. Das heißt, dass ihr Weg zur und von der Arbeit oft unterbrochen wird durch verschiedene Zwischenstationen.
Ein typischer Weg beinhalte entweder vor der Arbeit das Kind im Kindergarten oder in der Schule abzuliefern (drei Mal öfter als Männer, so fanden die Wissenschaftler:innen heraus) und auch wieder abzuholen, einkaufen zu gehen, Wäsche zur Reinigung bringen, Verwandte oder Kindern zu Ärzt:innenterminen begleiten und so weiter.
Städtebau sollte davon ausgehen, dass Männer UND Frauen einer Lohn-Arbeit nachgehen und Kinder und Haushalt zeitlich und räumlich miteinander vereinbaren müssen. Mehr Kiez-Life für jede:n!
Dieses Reisemuster wurde bei Frauen weltweit festgestellt. Nachteilig wird „Trip-Chaining“ dadurch, dass oft Kindergarten, Ärztin/Arzt-Praxis, Wäscherei, Einkaufsmöglichkeiten und Arbeit nicht in unmittelbarer Nähe, sondern zum Teil in verschiedenen Stadtteilen oder Ortschaften liegen, Frauen viele kleinere Strecken zurücklegen und verschiedene Verkehrsmittel nehmen müssen. Auch das weit verbreitete System der Fahrscheine, die nur für eine angetretene Fahrt gelten, spricht dafür, dass nur für lineare Fahrwege mitgedacht wurde.
Mobilität ist also männlich gedacht: Lineare Fahrwege sind eh viel bequemer mit dem Auto als mit Bus und Bahn. Feministische Raum- und Stadtplanung hat diesen Ansatz schon lange auf dem Schirm: Städtebau sollte davon ausgehen, dass Männer UND Frauen einer Lohn-Arbeit nachgehen und Kinder und Haushalt zeitlich und räumlich miteinander vereinbaren müssen. Mehr Kiez-Life für jede:n!
Die Aufhebung des Gender Data Gaps kann Leben retten? Mehr dazu nächste Woche. Warum es so wichtig ist, darüber zu sprechen und was der Data Gap mit Technik zu tun hat, erfahrt ihr, wenn ihr den Links folgt.
Headerfoto: Hanson Lu via Unsplash. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!