Vor drei Monaten und 24 Tagen starb unsere Mutter. Viel zu früh, viel zu plötzlich – ihr Verlust: viel zu unbegreiflich. Zwei Tage nach ihrem Tod traf ich mich mit meiner Schwester in ihrer Wohnung, in der sie seit Jahren gemeinsam mit ihrem Lebenspartner wohnte, um die nötigen Unterlagen für die Beisetzung und alles weitere zusammen zu suchen.
Dreißig verschiedene Aktenberge, Tränen, wieder fokussieren, zwischendurch chinesisches Essen, Chaos fabrizieren, Chaos sortieren, Fassungslosigkeit. Und bevor wir uns zum Abschied umarmten, noch ein Anliegen vom Partner meiner Mutter: „Sophie, zwei Dinge bitte – wie funktionieren Waschmaschine und Geschirrspüler hier?“
Dass ich aus Mutters Nest flog, ist etwa zehn Jahre her. Kurz bevor er einzog, da hatte ich die Geräte das letzte Mal benutzt. Ich erinnerte mich im Halbtaumel meiner Trauer und erklärte es ihm. Erst später, als ich es mir erlaubte, meine vorherrschenden Gedanken voller Sorge und Mitgefühl, wie es nun weiter ginge mit ihm ganz allein, einen Moment beiseite zu schieben, machte sich eine andere Frage leise bemerkbar: Wie konnte es dazu kommen?
Ich hatte meine Mutter als taffe Frau in Erinnerung. „Emanzipiert“ würde man sagen. Wie konnte es sein, dass sie mit einem Mann lebte, der weder Spül- noch Waschmaschine bedienen konnte?
Ich hatte meine Mutter weitestgehend als taffe Frau in Erinnerung. Selten weinerlich oder betont hilfsbedürftig, couragiert, Typ Klassensprecherin. „Emanzipiert“ würde manch einer sagen. Wie konnte es sein, dass diese Frau mehr als eine Dekade mit einem Mann zusammenlebte, in der er weder Spül- noch Waschmaschine zu bedienen lernte? Waren das Ausnahmen?
Irgendwie wirkte er in diesem Moment so gar nicht white male privileged, schon gar nicht in dem Sinne, dass er anderen etwas wegnahm, um die eigenen Privilegien nicht aufgeben zu müssen. Im Gegenteil, er war es doch, dem das Wichtigste genommen wurde. Es war einfach passiert. Und er ging ja dafür auch immer einkaufen, was meine Mutter seit einiger Zeit überhaupt nicht mehr tat. Und vielleicht war es ihr auch gar nicht wichtig, dass er wusste wie der Geschirrspüler funktioniert. Oder die Waschmaschine.
Frau und/oder Feministin?
Und doch war hier in meinen Augen irgendwas ganz falsch… und jetzt wirklich der schlechteste Zeitpunkt, um das mal anzusprechen.
Irgendwie sehe ich genau darin die größte Zwickmühle für mich als Frau und Feministin, in ihren Dreißigern, hier und jetzt im 21. Jahrhundert. Das Private ist politisch – das ist ein alter Hut. Trotzdem fällt in der Praxis auf, dass es besonders im Privaten deutlich an der Umsetzung des Politisierens scheitert.
Wir können über Dinge sprechen, die weit weg sind oder die in Nachbars Wohnung passieren, im Bundestag oder in den Klassenzimmern unserer Kinder. Aber unsere eigenen Ehen, Beziehungen und Freundschaften als politisches Debattengut zu betrachten, fällt uns schwer. Wer zu viel fordert, ist nicht gefragt. Wir alle wollen gefallen, doch die Konfliktscheu mancher, zum Zweck die eigenen persönlichen Beziehungen nicht zu belasten, führt zur Vertiefung strukturell bedingter Probleme.
Wer verlernt, etwas zu sagen, vergisst, dass er etwas zu sagen hat. Wer denkt, nichts zu sagen zu haben, wird den öffentlichen Diskurs nicht mitgestalten.
Wer verlernt, etwas zu sagen, vergisst, dass er etwas zu sagen hat. Wer denkt, nichts zu sagen zu haben, wird den öffentlichen Diskurs nicht mitgestalten.
Das Ungleichgewicht hinsichtlich der Geschlechterverteilung im öffentlichen Diskurs ist zum Beispiel in deutschen Redaktionen abzulesen. Laut einer Studie des Vereins ProQuote, der sich für eine höhere Frauenquote in Presse- und Medienberufen einsetzt, sind Frauen dort deutlich unterrepräsentiert. Bei den Regionalzeitungen sind lediglich 7,4 Prozent der Chefredaktions-Posten von Frauen besetzt.
Am besten – aber nicht gut – steht es laut ProQuote um die Presseagenturen: beim RedaktionsNetzwerk Deutschland oder der Deutschen Presse-Agentur beispielsweise arbeiten immerhin 44,4 % bzw. 41,7 % in führenden Positionen. Das ist ein durchaus diskutabler Zustand, sollen in diesen Berufen doch Informationen für Einwohner*innen eines Landes recherchiert, verarbeitet und weitergegeben werden, von denen mehr als 50 Prozent weiblichen Geschlechts sind.
Daraus wird ersichtlich, dass der rechtmäßige Platz im Diskurs meist niemandem freundlich angeboten wird. Er muss – wenn gewünscht – hart erarbeitet, erobert werden. Und dazu bedarf es Zeit und Energie und somit wiederum einer gerechten Verteilung dieser Ressourcen.
Unbezahlte Care-Arbeit, für Frauen oft der Alltag
Laut einer Erhebung des Bundesministerium für Soziales, Familie und Jugend (BMFSFJ) wenden Frauen im Schnitt 52,4 % mehr Zeit für unbezahlte Care-Arbeit auf. Dazu zählen beispielsweise Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, Hausarbeiten oder Ehrenämter. Daraus resultiert die sogenannte gender care gap, die eine wenig ausbalancierte Verteilung besagter Ressourcen offenbart.
Das Private ist also definitiv politisch. Aber oft ist dieses Politische eben auch verdammt privat und ständige Kritik, Aufforderungen zum Putzen oder Klagen über das Überschreiten des eigenen Belastungslimits – wenn auch argumentativ belegt – auf Dauer ganz schön unsexy.
Müssen Frauen die Entscheidung zwischen Feminismus und Fuckability treffen?
Müssen Frauen die Entscheidung zwischen Feminismus und Fuckability treffen?
Mit Care-Arbeit ist es wie beim Energieerhaltungssatz: Nur weil du die Arbeit nicht verrichtest, löst sie sich nicht in Luft auf. Ihre Verrichtung verlagert sich lediglich auf jemand anderen. In der Praxis bedeutet das: Wenn du deine Oma nicht pflegst, besuchst oder anrufst, wird sie nicht weniger die Notwendigkeit oder das Bedürfnis danach verspüren.
Welche Aufgaben anstehen, muss also geplant, verhandelt und aufgeteilt werden. Es ist Zeit zu lernen, im Privatleben politische Aspekte zu erkennen, als solche zu benennen und entsprechend damit umzugehen. Sachlich, argumentativ – und das muss viel selbstverständlicher werden.
Denn umgekehrt: Wird Zeit und Energie für eine Aufgabe wie Care-Arbeit aufgebraucht, kann man nicht mehr davon herbeizaubern, um sie im weiteren Sinne in sich selbst zu investieren. Und dies ist unabdingbar, wenn Frauen stärker in die Mitgestaltung unserer Gesellschaft integriert werden sollen, als ihr ständig hinterher zu räumen.
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