Wenn ich erzähle, dass ich in einer offenen Beziehung lebe, lautet die erste Frage immer: Gibt es denn sowas wie Eifersucht bei euch gar nicht?
Oh doch! Auch in polyamoren und offenen Beziehungen gibt es Eifersucht. Die Frage sollte demnach lauten: Wie geht man damit um? In alternativen Beziehungskonzepten steht nicht das „Was“, sondern das „Wie“ im Fokus der Diskussion. Es geht also nicht darum, dass man mit jemand anderem geschlafen hat/intim wurde, sondern wie das Ganze von statten ging. Wie habe ich das (vorher) kommuniziert? Wie habe ich meine*n Partner*in vor unangenehmen Gefühlen geschützt und ihm/ihr (Verlust-)Ängste genommen?
Es ist leicht zu behaupten, dass Menschen, die sich für ein nicht-monogames Beziehungsmodell entscheiden, kein Problem mit Eifersucht haben.
Meiner Meinung nach ist es leicht zu behaupten, dass Menschen, die sich für ein nicht-monogames Beziehungsmodell entscheiden, schlichtweg kein Problem mit Eifersucht haben. Durch die monogame Brille betrachtet, scheint das eine logische Erklärung zu sein. Ist es aber nicht. Man ist lediglich bereit, sich seinen Ängsten zu stellen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Wir leben schließlich alle in dem gleichen kapitalistischen Gesellschaftssystem, welches vom Besitzdenken geprägt ist. Der perfekte Nährboden für Eifersucht und unschöne Gefühle, die einen glauben lassen, man würde ohne „Exklusivrecht“ letztlich den Kürzeren ziehen.
Esther Perel hat in ihrem TEDTalk „Rethinking infidelity… a talk for anyone who has ever loved.“ weitere Motive aufgeführt, die gerade in unserer heutigen Zeit als Katalysator für Seitensprünge und daraus resultierende Unsicherheit für den Betrogenen bedeutend sind. Auch Simone de Beauvoir, überzeugte Feministin und Geliebte Jean-Paul Sartres, soll rückblickend von eifersüchtigen Episoden und qualvollen Momenten in ihrer polyamoren Verbindung zu dem französischen Philosophen gesprochen haben.
„Als wäre es nicht ein menschliches Bedürfnis, für einen Einzigen einzigartig und bedeutsam zu sein. Und diese Liebe durch Eifersucht zu schützen.“ (Simone de Beauvoir)
Die Antwortet lautet also definitiv: JA, es gibt Eifersucht! Aber da Eifersucht kein schönes Gefühl ist und lähmend wirken kann, ist es eine bewusste Entscheidung, sich mit ihr zu befassen. Gefühle ändern sich: Sie bringen einen um den Verstand; sie flachen ab; sie kommen wieder; sie verschwinden schließlich oder verwandeln sich im Laufe der Zeit in ein kaum merkliches Zwicken, welches einen lediglich noch an die anfänglichen Qualen erinnert.
Eine weitere Frage könnte also lauten: Warum hast du beschlossen, dich mit Eifersucht auseinanderzusetzen und den beschwerlichen Weg, der viel Selbstreflexion erfordert, zu gehen?
Wer (fremd)vögeln will, der muss auch (fremd)vögeln lassen.
Ich denke, das persönliche Freiheitsempfinden ist individuell verschieden und ein ausschlaggebendes Motiv, wenn nicht sogar das Motiv. Schließlich steht am Ende des Kampfes auch die eigene (sexuelle) Autonomie. Aber eine Medaille hat immer zwei Seiten und wer (fremd)vögeln will, der muss auch (fremd)vögeln lassen. Womit wir auch schon beim Knackpunkt angekommen wären. Tückisch.
Man möchte nicht wehleidig erscheinen, jedoch versetzt einem der Gedanke, der Partner könnte sich gerade mit wem anders feucht und fröhlich vergnügen, ein Stechen in der Magengrube. Mir hilft es in solchen Momenten immer sehr, die Situation zu „spiegeln“. Denn in dem Moment, in dem ich mir klarmache, wie viel diese sporadischen Fremdvögeleien mir persönlich bedeuten und inwiefern sie meine Beziehung gefährden (nämlich gar nicht!), ist alles nur noch halb so wild.
Aber was ist, wenn er/sie sich verliebt oder der Sex mit ihr/ihm besser ist?
Okay, erst einmal: Auch in einer monogamen Beziehung ist man nicht davor geschützt, dass der/die Partner*in sich eventuell irgendwann zu jemand anderem hingezogen fühlt und einen – im schlimmsten Fall – sitzen lässt. Man muss ihm/ihr vertrauen. Vertrauen ist gut – Kontrolle ist abfuck. Solange eine Beziehung nicht auf Vertrauen beruht, ist sie zum Scheitern verurteilt.
„Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.“ (Franz Grillparzer)
Offenheit und Kommunikation sind daher klare Bedingungen für eine offene oder polyamore Beziehung.
Offenheit und Kommunikation sind daher klare Bedingungen für eine offene oder polyamore Beziehung. Allerdings fällt es nicht jedem leicht, offen und frei über seine Gefühle/Gedanken/Ängste zu reden. In nicht-monogamen Beziehungen ist die Hemmschwelle vielleicht etwas niedriger, da es hierbei um Dinge geht, die auch in der Realität passieren könnten und sich nicht bloß in der Fantasie abspielen.
Außerdem läuft man hier nicht Gefahr, für sein sexuelles Begehren verurteilt zu werden, denn man hat sich bereits zu Beginn (oder im Verlauf der Beziehung) darauf geeinigt, dieses nicht unterdrücken zu müssen. Im besten Fall ist beiden Partnern klar, dass es hierbei lediglich um einen Trieb und (oftmals) Steigerung des eigenen Selbstwerts geht. Abwechslung macht Freude. Keiner mag Routine.
Natürlich ist es wichtig, dem Partner im Gegenzug immer wieder zu zeigen, dass er trotz des temporären Vergnügens mit Dritten weiterhin die Nummer 1 ist. Ob man das jetzt in Form von Gesten/Gesagtem oder Geschenken vermittelt, sei dabei jedem Pärchen selbst überlassen. Hauptsache, es hagelt Anerkennung, woraus wiederum ein Gefühl von Sicherheit entstehen/wachsen kann.
Wachsen. Noch so ein Begriff. Eine nicht-monogame Beziehung befindet sich ständig im Wandel. Natürlich stagniert auch eine monogame Beziehung nicht, aber meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass eine offene Bindung auch eine turbulentere Dynamik mit sich bringt. Der regelmäßige Input von „außen“ hinterlässt schließlich seine Spuren und sorgt für wenig Ruhe. Gerade in der ersten Zeit.
Willst du dich einfach nur nicht festlegen und warten, bis jemand Besseres kommt oder liebst du ihn einfach nur nicht so richtig?
Hmm. Mit dieser Frage habe ich einige Probleme. Zugegeben, sie erzeugt im ersten Moment ein klein wenig Wut, die letztlich in einem müden Grinsen erlischt.
Wie liebt man denn richtig? Steht das irgendwo geschrieben? Gibt es da ein allgemein gültiges Gesetz – von Eros selbst erlassen?
Wie liebt man denn richtig? Steht das irgendwo geschrieben? Gibt es da ein allgemein gültiges Gesetz – von Eros selbst erlassen? Nein. Jeder Mensch liebt auf seine Art und Weise. Wenn sich zwei Menschen finden, die auf die gleiche Weise lieben, ist das ein wunderschönes Geschenk. Jemand, der bereits zu Beginn die Kategorien „richtig“ und „falsch“ im Kontext der Liebe anführt, hat jedoch noch niemals geliebt und ebenso wenig weiß er, was Liebe wirklich ist.
Liebe ist wandelbar, unerschöpflich und allgegenwärtig. Man kann sie nicht in ein Raster pressen, denn dann würde man sie ihrer Fülle berauben.
Die Antwort auf die obige Frage lautet also: Oh doch. Ich liebe ihn so sehr, dass ich ihn weder zurückhalten noch über seine Bedürfnisse entscheiden möchte. Ich will ihm zeigen, dass meine Liebe bedingungslos ist und nicht an irgendwelche „Exklusivrechte“ geknüpft. Außerdem: Natürlich möchte ich mich nicht festlegen. Wer will das schon? Dann müsste ich mich ja jedes Mal rechtfertigen, wenn ich einmal gegen meine vorher getroffene Entscheidung agiere. Wie anstrengend.
Meine Beziehung möchte ich lebendig leben, wie das Leben. Es kommt schließlich immer anders, als man denkt. Außerdem finde ich es naiv zu glauben, dass ein Mensch allein für die Gesamtheit der eigenen Bedürfnisse „aufkommen“ muss. Ist das nicht ganz schön viel Druck, den man seinem Partner so bereits zu Beginn auferlegt? Sind das nicht eine Menge Erwartungen, die erfüllt werden müssen – und vielleicht nicht erfüllt werden können? Im Alltag sehnen wir uns doch auch schließlich ständig nach mehr Freiheit; Selbstverwirklichung … Warum dann nicht auch in der Liebe?
Brauchst du so viel Sex bzw. ist dir Sex so wichtig? Kommt es oft vor, dass ihr Andere trefft?
Witzigerweise gar nicht mal so oft. Manchmal reicht schon das Wissen, tun und lassen zu können, was man will, und der Reiz ist verschwunden. Verbotenes ist schließlich auch nur solange interessant, wie es verboten ist. Schaut euch Kleinkinder an. Oder erinnert euch an eure Kindertage, als ihr Grenzen getestet habt und einfach nicht aufhören konntet, Verbotenes zu tun, in der Hoffnung, nicht erwischt zu werden. Was ein Nervenkitzel.
Die Realität sieht anders aus.
Nur weil etwas erlaubt ist, heißt es nicht, dass es ständig passiert oder besonders gut ist. Noch so ein Punkt: Die Fantasien, die man sich (manchmal) in einer langjährigen monogamen Beziehung aufbaut (Sex mit einem Fremden; One-Night-Stands), bleiben meistens geile Fantasien. Denn die Realität sieht anders aus.
Gerade ONSs halten in den wenigsten Fällen, was sie versprechen. Zumindest aus weiblicher Sicht, in diesem Fall meine Sicht. Der Sex mit einem Fremden ist wenig eingespielt und meistens schnell vorbei oder durch Alkohol und/oder andere Substanzen getrübt. Wirklich fallen lassen kann man sich in der „fremden“ Bude, die am nächsten Morgen auch nicht mehr so einladend aussieht, auch nur in den seltensten Fällen.
Diese Faktoren vergisst man schnell, wenn man sich in seiner Fantasie die wildesten Abenteuer ausmalt. Na ja, manchmal reicht es schon, in den richtigen Momenten nicht „Nein“ sagen zu müssen. Es gibt sie, diese Momente. Wo sich die Gelegenheit bietet, der eigenen Lust nachzugehen … im besten Fall ohne Rücksicht (nehmen zu müssen) auf Verluste.
Fazit: Eine offene Beziehung ist nicht bloß auf Sex zentriert, denn der Sex stellt keine zerstörerische bzw. gefährdende Kraft dar. Im Mittelpunkt dieser alternativen Beziehungskonzepte steht die emotionale Verbindung der Partner zueinander. Die Liebe eben.
Und was ist, wenn ihr mal Familie wollt?
Gute Frage. Darauf habe ich keine Antwort. Außer: Auch hier wird sich bestimmt eine Lösung finden, denn darin sind wir im Laufe der Zeit verdammt gut geworden: Lösungen zu finden. Lösungen, mit denen beide Parteien auch längerfristig mit gutem Gewissen leben können. Wenn die Zeit (und gegebenenfalls das erste Kind) gekommen ist, werde ich bestimmt auch auf diese Frage eine Antwort geben können.
Die Eltern verkehren nicht mehr miteinander, sondern mit Anderen. Was wäre so schlimm daran, wenn sie es zur gleichen Zeit täten?
Aktuell kann ich lediglich auf Patchwork-Familien und „Zweitfamilien“ hinweisen, die ebenfalls ein Gegenmodell zu der herkömmlichen Verbindung „Mutter-Vater-Kind“ darstellen. Hier haben zumindest in manchen Fällen auch mehrere Erwachsene Einfluss auf die Erziehung des Kindes. Der einzige Unterschied: die Eltern verkehren nicht mehr miteinander, sondern neuerdings mit Anderen. Was wäre so schlimm daran, wenn sie es zur gleichen Zeit täten?
Natürlich ist ein harmonisches Miteinander aller Parteien hierbei Grundvoraussetzung. Grundvoraussetzung, aber leider auch bei (serieller) Monogamie nicht selbstverständlich. Oder leben Trennungskinder in ständiger Harmonie?
Headerfoto: @itsmiki5 via Unsplash(„Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Nun ja, was tätest du denn, wenn er eine oder zwei Frauen hat, die jedoch den gleichen Platz wie du in seinem Leben und Herzen haben? Ich denke schon, dass du ein Problem damit hättest. Ihr vög… nur fremd, aber ansonsten habt ihr beide euch doch exklusiv.
Wäre wirklich gespannt auf eine Antwort.
LG
Wow, super Text! Und vor allem hast du perfekt erfasst worum es geht – nämlich darum, dass es keine allgemeingültige Definition gibt, wie Liebe auszusehen hat. Gefällt mir richtig gut!
LG