Die zweite Frau: Wenn du die Liebe deines Lebens findest – und er eine andere

Wir wussten es nicht, aber es war das letzte Mal, dass deine Finger meine Oberschenkel berührten. Das letzte Mal, dass meine Lippen deine Haut streiften. Das letzte Mal, dass unser beider Herzen in Einklang schlugen.

„Glaubst du an die große Liebe?“ – „Ja, ich habe sie bereits gefunden.“ Es dauerte den Bruchteil einer Millisekunde bis ich begriff, dass nicht ich gemeint war. Der Riss, der sich von meinem Herzen zu meinem Gehirn zog, tat kaum merklich weh. Es war ja sowieso immer klar gewesen. Oder nicht?

Phantasie und Wirklichkeit

Dünne Leinenvorhänge bewegten sich im Wind des alten Ventilators, der die heiße Luft lediglich umwälzte, aber keine Kühlung brachte. Von draußen hallte die Gegenwart in Form von Geräuschen und Gerüchen in unser Zimmer, doch wir nahmen sie nicht wahr. Verbunden in einem tiefen Blick, die Augen geschlossen, vollführten unsere Zungen einen unendlichen Tanz, die Finger vermaßen jeden Zentimeter Haut, sie kannten sich aus, jede Bewegung wurde genossen und erwidert.

Dein Atem lag heiß in meinem Nacken, meine Schenkel umfassten deinen Po. Wir waren so gierig aufeinander, waren es vom ersten Tag an. Als sich meine Lust zum dritten Mal in einen Orgasmus entladen hatte, ließt auch du dich fallen und wir sanken zitternd, glitschig und glücklich in die Laken. Szenen dieser Art waren uns vertraut, sie waren unserer Phantasie entsprungen und in die Wirklichkeit übergegangen.

Das zwischen uns

Dort am Fluss haben wir uns zum ersten Mal geküsst. Zuerst schüchtern und luftig, dann verlangend und feucht. Deine Hände haben mich schon lang gesucht, meine Augen haben dich beobachtet. Auch wenn wir uns schon länger kannten, baute sich dieses Magnetfeld zwischen uns ganz plötzlich auf. Wenn es die Chance gab, sich zu entziehen, habe ich sie gerne verpasst. Auch wenn ich wusste, dass du verheiratet warst. Und ich selbst eine monogame Beziehung führte.

Das Band zwischen uns empfand ich als so stark, so gegeben, dass es mir unmöglich war, zu begreifen, dass sich die Existenz dieser Verbundenheit für dich anders anfühlen könnte.

Es waren die langen Gespräche bei Wein und Zigaretten auf deinem Balkon, Diskussionen über Literatur, Kunst oder Musik. Ich hatte mich an deine Stimme, deine Hände und dein Lächeln gewöhnt. Das Band zwischen uns empfand ich als so stark, so gegeben, dass es mir unmöglich war, zu begreifen, dass sich die Existenz dieser Verbundenheit für dich anders anfühlen könnte.

Mit dir war ich aus der Welt gefallen, um mich dann wiederzufinden. Ich trennte mich also von meinem Freund. Diese Konsequenz erschien mir die einzig richtige, da wir uns nun gefunden hatten. Ich und die Liebe meines Lebens. Unsere Zukunft sah rosig aus – anregende Gespräche, aufregender Sex, Reisen in die Toskana und nach Island, vielleicht sogar Kinder. Auf jeden Fall gemeinsam.

Ich wäre gern Frau X

Du hast mich deinem neuen Arbeitgeber vorgestellt. „Ach, Sie sind die Frau X.“ – Peng. „Nein, nein, sie ist eine gute Freundin aus dem Studium.“ Peng. „Ach so, ja, wie geht es denn Ihrer Frau?“ Peng. Peng. Peng. Peng. Ich stand im Raum, alles verschwamm, ich wurde nicht von einer Kugel getroffen, niemand sah, dass ich blutete und mein Kopf schwirrte dennoch vom lauten Knall der Pistole, auch wenn sie ja gar nicht existierte.

Ich lächelte sanft und nickte, während mein Körper eine offene Wunde war, während tausend Neuronen in meinem Hirn feuerten und sich der Situation entziehen wollten, sich der Magen verkrampfte, der Schweiß aus den Poren floh und das Herz raste. Ich wollte so gerne Frau X sein, aber ich bin nicht Frau X.

Es ging mir nicht in den Kopf und während ich also dort vor mich hin blutete, lächeltest du mich an. Auch du hast den Knall nicht gehört, sahst nicht, wie ich getroffen wurde, dass mich die Schmerzen in die Knie zwangen. Ich lächelte zurück, aber hinter meinen Augen formte sich ein ohrenbetäubender Schrei.

Die Vergänglichkeit des Wir

Ich habe deine Lust mit Liebe verwechselt wie eine hormonverwirrte Teenagerin. Ist es nicht in jeglicher zwischenmenschlicher Beziehung auch schön, gemocht und bewundert zu werden? Du hast mir eine Zeit lang das schönste Gefühl der Welt vermittelt – dieses „die Welt um uns herum existiert nicht“-Gefühl, diese Überhöhung all deiner Eigenschaften, das gemeinsame Herzklopfen.

Da wusste ich es ja noch nicht. Dass ich ja tatsächlich unglücklich verliebt war, da von deiner Seite emotional gar nicht so viel da war, wie deine Worte, Nachrichten, Bilder und Sehnsuchtsgedanken mich vermuten ließen. Ich widmete dir in dieser Zeit meine (fast) ungeteilte Aufmerksamkeit. War nicht eigentlich klar, dass eine bloße Affäre diesen logistischen und emotionalen Aufwand nicht rechtfertigte? Aber ich war verliebt. Und ich nahm an, du wärst es auch.

Vielleicht bin es nur ich, aber ich möchte ‚schöne Zeiten‘ immer ganz gern ins Unendliche hinauszögern.

Lange Telefonate bestätigten in meinen Augen, wie gut wir uns verstehen und zusammenpassen. Doch als ich dich fragte, was du darüber denkst, wie du „das mit uns“ siehst, meintest du nur, du hättest dir darüber keine Gedanken gemacht. Wir hätten eben eine schöne Zeit. Vielleicht bin es nur ich, aber ich möchte „schöne Zeiten“ immer ganz gern ins Unendliche hinauszögern, was in dieser Konstellation ja nicht zu machen ist. Klar, ich war naiv. Und nun?

Vermisste ich es, deine weiche Haut zu berühren? In deine Augen zu sehen, deinen Kuss in meinem Nacken zu spüren, deine Finger verschlungen in meinen? Ja. Aber ich wusste, dass es vorbeigehen würde. Ich musste es vorbeigehen lassen. Wir haben dann eben doch nur in der Phantasie gut funktioniert und die Phantasie reichte mir nicht.

Ich bin mir sicher, dass wir in einem Paralleluniversum zusammen glücklich sind. Muss mich nur noch entscheiden, ob ich daran glaube, oder nicht.

Rebecca hat das Kaffeetrinken in Schweden gelernt und springt auch schon mal im Winter nackt in einen See. Als kleine Globetrotterin ist sie offen und kritisch, seziert Erlebnisse, Momente und Sätze – nur um zu merken, dass es am Ende doch auf das Gefühlte ankommt. Sie kanalisiert tiefe und verschlungene Emotionen durch Worte und filtert ihre Gedankenspiralen auf Papier. Der Wasserfall, der immer in Bewegung ist und alles durcheinander wirbelt, spiegelt nicht nur ihren Gedankenfluss, sondern auch ihr Wesen wider – immer auf der Reise, immer auf der Suche und immer mehr oder weniger Durcheinander. Worte sind ihr Flussbett, das Schreiben der regelmäßige Strom. Manchmal verharrt sie in einem Moment und betrachtet die Wolken – luftgewordenes Wasser, das fliegt.

Headerfoto: Levin Anton via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, Bild beschnitten.) Danke dafür!

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.