Zehn Tage habe ich kürzlich während des Umbaus auf der Iuventa verbracht, einem Schiff, mit dem der Verein Jugend Rettet Menschen im zentralen Mittelmeer aus Seenot retten wird. Seit heute Morgen ist das Schiff unterwegs nach Malta, von wo aus es seine erste Mission starten wird. Was ich auf der Iuventa erlebt habe, warum mir dieses Projekt am Herzen liegt und wie auch du aktiv werden kannst.
Cash, Camel und Gewitter
Ich sitze mit Titus auf der Kommandobrücke, wir starren ins Gewitter. Blitze schlängeln sich durch das Panorama des gigantischen Trockendocks. Der Donner ist noch lauter als die Bauarbeiten, die die Umbaucrew des Wetters wegen gerade niederlegen musste. Wir hören Johnny Cash und rauchen Camel, die bei der Übernahme des Schiffes vor ein paar Wochen in einer Kajüte gefunden wurden. Jackpot! Titus, einer der zwei Umbauleiter, wischt sich frustriert mit dem Ärmel seines Blaumanns über die Stirn. Sein Gesicht ist so dreckig, dass man darauf mit dem Finger malen könnte. Seit drei Tagen entfernt er zusammen mit den anderen Jungs die Bitumen- und Stahlgitterschicht vom gesamten Deck – mit Brecheisen, Kreissägen, Presslufthämmern, Flaschenzug, einem Kran und roher Gewalt. Es ist eine Schweinearbeit, die wohl noch mindestens zwei Tage in Anspruch nehmen wird – wenn es denn aufhört zu regnen.
„Wir müssen aus dem Dock raus“, sagt Titus schließlich. Nicht, weil die Nerven auf der Baustelle immer dünner werden oder weil der Liegeplatz in der Emder Werft Geld kostet, sondern weil Titus endlich zum Mittelmeer will. Jeder Tag an Land ist ein Tag, an dem keine Menschen gerettet werden können. „Ach, das hört bestimmt gleich auf“, sage ich und setze mich wieder auf den Boden, um mit Lösungsmitteln und Stahlschwamm die Klebereste der vergangenen sechzig Jahre von der hölzernen Brückentür zu kratzen. Im Kampf Frau gegen Tür steht es momentan noch unentschieden.
Wir sind auf dem Schiff des Vereins Jugend Rettet in Emden an der Nordsee. Hier liegt die Iuventa in der Werft, um für den Einsatz vor der libyschen Küste von ehrenamtlichen Helfern und Helferinnen ausgebaut zu werden. Diese sind aus der ganzen Republik angereist. Manche, so wie zum Beispiel Frank, haben ihren Jahresurlaub genommen, um auf dem Schiff zu arbeiten. Zwischen 14 und 60 sind hier alle Altersklassen vertreten. Was die Helfer eint sind die wunderschönen grünen Bauhelme und der unbändige Glaube an dieses Projekt, das vor gut einem Jahr von jungen Leuten ins Leben gerufen wurde, die angesichts der politischen Ignoranz Europas nicht länger weggucken wollten. Menschen sterben auf dem Meer, also musste eben ein Schiff her. Logisch. Dass den Gründern jegliche Seeerfahrung und das nötige Geld fehlten, um ein solch umfangreiches Projekt zu wuppen, wurde mit genügend Idealismus und einer immer größer werdenden Entourage aus Fachfrauen und -männern ausgeglichen.
Die Geschichte ist längst nicht auserzählt
Das Gewitter ist vorüber. Ich sitze mit Pauline auf dem feuchten Achterdeck und schabe Rettungsringe ab, um sie neu zu beschriften. Pauline kümmert sich neben ihrem normalen Job seit einem Jahr um die Presse bei Jugend Rettet. Sie beendet gerade ein Telefonat. „Weißt du was der Journalist gerade zu mir gesagt hat?“, fragt sie mich. „Er berichtet doch nicht über das Schiff, weil – Achtung! – die Geschichte sei auserzählt.“ Sie zuckt mit den Schultern, ich weiß aber, dass sie es persönlich nimmt. Sogar ich nehme es persönlich.
Aber hat der Journalist recht? Ist die Mehrheit derer, die angesichts eines kleinen toten Jungen an der türkischen Küste, der vor gut einem Jahr zum Symbol für das Leid der Flüchtenden wurde, inzwischen schon wieder so desinteressiert, so überfordert, dass sie die Bilder nicht mehr sehen möchte, dass zumindest der Wunsch, daran etwas zu ändern, schon wieder abgeebbt ist? Ruft die mediale Dauerbeschallung mit überfüllten griechischen Lagern, mit an Grenzzäunen gepressten Menschen, mit ertrinkenden Familien inzwischen nur noch die Reaktion des beschämten Wegguckens hervor? Ist der Kampf gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt ein endloser, unsinniger?
Nee. Also nee. Meine Eltern haben mich als Baby nicht über Mauern geschummelt, damit ich zugucke, wie neue aufgebaut werden – wenn auch nur an den Grenzen meines Kontinents. Und die Geschichte ist solange nicht auserzählt, wie Menschen leise und fernab der Kameras im Mittelmeer sterben. Laut UNHCR haben allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres über 2.500 Menschen die Fahrt über das Mittelmeer nicht überlebt. Und wenn sterbende Menschen keine mediale Relevanz haben, dann weiß ich echt auch nicht. Und ob diese Menschen gerettet werden oder nicht, liegt ganz bei uns, da bin ich mir ganz sicher.
„Ich bin wahnsinnig stolz auf alle, die geholfen haben, aber auch traurig“, sagt Jakob, 1. Vorsitzender des Vereins, bei der Schiffstaufe im Emder Hafen letzten Freitag. Traurig, weil die Politik des Wegguckens es überhaupt erforderlich mache, dass junge Menschen ohne jegliche Seeerfahrung und ohne Kohle ein solches Projekt auf die Beine stellen – und zeitgleich beweisen, dass es hier nicht um eine Frage des Könnens, sondern lediglich des Wollens geht.
Schwarmintelligenz und Klassenfahrtstimmung
Inzwischen nieselt es wieder. Zwei Medizinerinnen sortieren die großzügigen Medikamentenspenden in das Hospital ein, ein Maschinist werkelt an der Maschine, Lena, Gründungsmitglied des Vereins, steht drunter und fängt das heruntertropfende Öl auf, auf der Brücke – dem einzigen Raum, in dem man gerade etwas Ruhe hat – wird telefoniert, Computerarbeit verrichtet, gedruckt, geplant. Sicherheitsbeauftragte checken Feuermelder, Rettungsausrüstungen und Kennzeichnungen, zwischendurch wuseln Reporter über das Schiff, der Ankerkasten befindet sich in der Entrostung, an der Außenhaut des Schiffes werden Dinge gepinselt. Eine Reederei aus der Nähe hat ihre Auszubildenden teilweise von der Arbeit freigestellt, damit sie Jugend Rettet beim Umbau unterstützen können. Das Seemannsheim in Emden hat ein großzügiges Zimmerkontingent für die gesamte Umbauphase geblockt, die Helfer verpflegt und an der Bar des Hauses immer ein offenes Ohr. Der Support von allen Seiten ist rührend.
Wir entfernen alle Schriftzüge, die den alten Namen des Schiffes tragen: ALK Explorer. „Hihi! Ihr jungen Leute wieder, immer nur Saufen im Kopf!“, sage ich. Mit Humor und Klassenfahrtstimmung lassen sich die langen Tage auf dem Schiff besser aushalten. Das Team funktioniert – niemand streitet, niemand verletzt sich, niemand ist genervt. Arne, erster Offizier und unser allwissender Go-To-Guy, erklärt alles furchtbar geduldig und dankbar – dabei ist er derjenige, der hier seit Wochen sitzt, Dinge einfädelt, später auf dem Schiff arbeiten wird. Man behandelt sich mit Respekt. Ich bin ehrlich gesagt überrascht. Irgendwo muss doch mal wer kurz ausrasten? Nee. Is nicht.
„Hast du eine Schere gesehen? Ich brauche außerdem Holzspachtelmasse. Und wo waren noch mal die Lappen?“ Man fragt sich so durch – und wird kreativ. Was es nicht gibt, wird gebastelt. Bei so vielen Gehirnen an Bord siegt die Schwarmintelligenz über das Chaos der Baustelle. Der Lärm nervt mich, es ist entweder zu heiß oder es schifft dramatisch. Ich bin es gewohnt, am Computer zu sitzen, körperliche Arbeit ist mir weitestgehend fremd. Alles schmerzt. Aber wenn die Presslufthämmer kurz mal pausieren, nehme ich meinen Gehörschutz von den Ohren und atme durch und gucke vom Oberdeck über das Schiff und die Werft und weiß, dass ich gerade nirgendwo lieber wäre als genau hier – mit den Händen im Geröll, mit aufgequollenen Fingerspitzen, dreckigem Gesicht und knurrendem Magen.
Pauline hat heute für die Crew gekocht und das Besteck im Seemannsheim vergessen. Für drei Minuten starren wir auf der Suche nach einer Alternative in der Kombüse umher, dann sieht Lena eine Tüte Möhren und beginnt Spachtel zu schnitzen. Walther, seit 42 Jahren auf See, scherzt, er habe fünf Messer und fünf Gabeln an seinen Händen. Besteck ist eindeutig überbewertet. Ich bin nach ein paar Tagen Arbeit schon so kaputt, von Eindrücken überwältigt und geerdet, dass mir das Glas Cola Light zum Essen eh wie der absolute Luxus vorkommt.
Das Schiff ist quasi fertig
In weniger als einer Woche wird die Iuventa in See stechen. Nach müde kommt bekanntlich doof und wir alle haben beide Stadien längst überschritten. Ich sitze um 23 Uhr in der Kombüse und nähe Styroporpuffer, die die Beiboote an Deck schützen sollen, in leuchtenden Stoff ein. Es ist keine wichtige Aufgabe, aber irgendwer muss es halt machen. Es läuft Rap, wir rauchen wieder Camel. Nachdem ich die Kissen draußen im Regen (natürlich!) an den Stahlträgern befestigt habe, streiche ich über das große Beiboot. Dieses Boot wird schon bald den Erstkontakt zu den Schiffbrüchigen aufnehmen, während ein zweites Rettungswesten an die Unglücksstelle transportiert. Bei aller Fröhlichkeit an Bord ist der Gedanke an die anstehenden Rettungsaktionen auf der Iuventa allgegenwärtig. Ich rücke meinen Helm zurecht und gehe wieder nach drinnen, um eine neue Packung Camel zu öffnen. Jojo singt gerade inbrünstig. Alles wird gut, da bin ich mir sicher!
Wie du genau jetzt konkret helfen kannst
Vor ein paar Stunden hat sich die Iuventa mit einer zehnköpfigen, professionellen Crew auf den Weg nach Malta gemacht. Die Überfahrt einmal um Europa rum wird etwa drei Wochen in Anspruch nehmen. Danach werden die Vorräte aufgestockt und dann kann es losgehen. Was noch gebraucht wird:
– Cash! – (Wie immer.) Neben dem Treibstoff für das Schiff fallen Kosten für die Rettungsmittel, die Verpflegung der Crew und der Geretteten, Kleidung und Decken, die Schiffsversicherung u.a. an. Der laufende Monat auf See wird durchschnittlich 40.000 Euro kosten und ich bin gewillt, dich genau jetzt anzupumpen! Bei Betterplace nehme ich Spenden dankend entgegen, um sie an den Verein weiterzuleiten. Zusammen können wir das wuppen!
– Crewmitglieder! – Vor allem Fachleute wie Ärzte und Maschinisten werden gesucht, aber auch Leute mit genereller Seeerfahrung, die Zeit haben, drei Wochen zwischen Malta und Libyen zu verbringen. Über dieses Formular könnt ihr euch informieren und bewerben, hab ich übrigens auch gemacht. Sehen wir uns an Bord?
– Bo(o)tschafter! – In wahnsinnig vielen Städten gibt es schon Botschafter, die zusammen mit anderen Leuten in ihrer Stadt tolle Aktionen planen. Mach doch auch mit!
– Sachspenden! – Du hast zufällig 500 Rettungswesten unter dem Bett? Dann schick sie gerne rüber. Eine Übersicht aller benötigten Dinge findest du hier.
– Spread the Word! – Erzähle deiner Family von diesem Projekt. Deinen Freunden, Nachbarn, Kollegen und Internetmenschen auch. Like, teile und verfolge Jugend Rettet auf ihrer Webseite, bei Facebook, Twitter und Instagram. Drucke diesen Artikel aus und häng ihn dir übers Bett!
Danke für deine Hilfe. Von Herzen. Ich werde dich auf dem Laufenden halten.
Jule
Hey,
toller Artikel. Kann es sein, das die Mission zu der die iuventa dann aufgebrochen ist die ist die vor ein paar Tagen im ZDF lief?
Wenn ja, hast du Kontakt zu ein paar Leuten? Ich würde wirklich gern den Kapitän Jakob kennenlernen, der auf der Mission war. Toller Einsatz von allen.
Ich freu mich auf eine Rückmeldung.
Liebe Grüße