Gleich einmal vorab, um erhitzte Gemüter zu beruhigen: Ich respektiere und wertschätze alle Beziehungsformen, solange es allen, an einer Beziehung beteiligten, Menschen damit gut geht. Wenn also Monogamie das Beziehungskonzept deiner Wahl ist, ist das wunderbar! Und doch ist es wichtig, Monogamie einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen, denn wir leben in Zeiten, in denen die Frage, wie, wen und wie viele wir lieben wollen, so politisch ist wie noch nie.
Die Frage, wie, wen und wie viele wir lieben wollen, ist so politisch wie noch nie.
Zunehmend mehr Menschen verorten sich außerhalb von romantischen Zweierbeziehungen („RZB“) und kritisieren problematische Muster innerhalb dieser als konservativ, sexistisch, überholt, und auch immer wieder als toxisch. Von einer toxischen (monogamen) Beziehung spricht man dann, wenn ein starkes Ungleichgewicht zwischen Unabhängigkeit und Bindung, sowie ein Mangel an Gleichberechtigung vorherrschen. Dadurch kann im Extremfall bei einer:m oder beiden Partner:innen psychisches und/oder körperliches Leid entstehen.
Wir halten fest: Monogamie für sich ist erst einmal überhaupt nicht toxisch, aber die Art und Weise, wie einige von uns sie leben, kann dazu führen. Es gibt einige toxische Ideen und Vorstellungen, die sich in monogamen Beziehungen finden lassen und die wir verinnerlicht haben – aber es gibt oft auch Wege, diese zu durchbrechen oder da rauszukommen.
1. The One and Only: Die Idee, dass dein:e Partner:in all deine Bedürfnisse erfüllen kann
Kein Mensch kann alle Bedürfnisse eines anderen erfüllen.
Unsere Vorstellung dieses einen Menschen, der einfach perfekt zu uns passt und alles für uns tut, ist natürlich schrecklich romantisch. Aber auch ganz schön anstrengend und verbunden mit einer Menge Druck: Denn kein Mensch hat dauerhafte Kapazitäten, alle emotionalen, sozialen, intellektuellen und körperlichen Bedürfnisse eines anderen Menschen zu erfüllen. Außerdem können ziemlich schnell emotionale Abhängigkeiten entstehen, wenn wir all unsere Hoffnung in einen Menschen setzen. Ist es nicht viel schöner, neben Partner:in auch Freund:innen und andere Menschen zu haben, die für uns da sind und mit denen wir das teilen können, was uns wichtig ist und was wir brauchen?
2. Romantisieren von Eifersucht und Drama als Zeichen von Liebe
Übermäßige Eifersucht in Liebesbeziehungen wird immer noch sehr oft romantisiert und als echter Liebesbeweis ausgelegt, dabei steckt dahinter ein richtig ungesunder Besitzanspruch. Um das einmal klarzustellen: Wir können Menschen nicht besitzen und einschränken, das sollten wir auch gar nicht wollen.
Wir können Menschen nicht besitzen und einschränken.
Ich möchte einmal kurz an die wirklichen Extreme erinnern, zu denen Besitzdenken und Eifersucht führen können: Femizide, Morde an FINTA* aus Eifersucht oder Rache, die immer noch viel zu oft als „Liebesmorde“ betitelt werden. Dabei hat das mit Liebe nichts zu tun – Man(n) tötet nicht aus Liebe, niemals.
Für einen besseren Umgang mit Eifersucht können wir lernen, unsere Sorgen, Zweifel und Bedürfnisse ehrlich zu kommunizieren und anerkennen, dass Eifersucht, Drama und „Leiden für die Liebe“ keine Zeichen gesunder Beziehungen sind.
3. Exklusive Anziehung: Die Vorstellung, dass andere Menschen plötzlich uninteressant für dich sind, sobald du in einer Beziehung bist
Diese heiße Schauspielerin, der Typ in der Bar oder vielleicht sogar diese eine Freundin – es wird immer Menschen geben, die du attraktiv findest, auch, wenn du gerade in einer Beziehung bist. Das laut auszusprechen, ist oft immer noch ein richtiges Tabu, dabei ist Anziehung etwas völlig normales (und ja auch alles irgendwie biologisch zu erklären).
Es wird immer andere Menschen geben, die du attraktiv findest.
Wir können unsere Fantasien und Träume schließlich nicht kontrollieren – und die unserer Partner:innen schon gar nicht. Wie wäre es also, stattdessen offene und ehrliche Gespräche über unsere Gedanken und Fantasien zu führen und so das Vertrauen ineinander wachsen zu lassen?
4. Romantische Hierarchie: Die Idee, dass Beziehungen über Freund:innenschaften stehen
„Wir sind mehr als nur befreundet, wir sind alles füreinander“ ist eine weitere, wahnsinnig romantische Idee, die aber schnell dazu führen kann, dass wir unsere romantische Beziehung über andere Beziehungen, die wir führen, stellen. Wir vernachlässigen unsere Freund:innen und Familie und verlieren so wichtige Bezugspersonen, die ein Gleichgewicht zu unserer monogamen Beziehung herstellen können.
Es kann ein großer Fehler sein, emotional alles auf einen Menschen zu setzen.
Es kann tatsächlich ein großer Fehler sein, emotional alles auf einen Menschen zu setzen. Bauen wir uns doch stattdessen Sicherheitsnetze aus ganz unterschiedlichen Menschen, die uns wichtig sind und uns unterstützen. Und erkennen wir doch mal an, wie wunderschön und romantisch auch Freund:innenschaften sein dürfen.
5. Und last but not least: Das Ausblenden struktureller Diskriminierung
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Menschen aufgrund von strukturellen Diskriminierungen mit unterschiedlich vielen Privilegien ausgestattet sind. Es wäre naiv zu glauben, dass diskriminierende Mechanismen vor romantischen Beziehungen Halt machen, nur weil Liebe im Spiel ist.
Diskriminierung macht nicht vor Beziehungen Halt, nur weil Liebe im Spiel ist.
Besonders heteronormative Beziehungen, also Beziehungen zwischen Mann und Frau, können zum Schauplatz toxischer Männlichkeit und Diskriminierungsformen wie Sexismus und Rassismus werden. Unsere eigenen Privilegien, auch in Bezug auf den Menschen, mit dem wir in einer Beziehung sind, zu reflektieren, ist für eine gesunde und gleichberechtigte Beziehung also unbedingt wichtig. Nur so können wir Verbündete unserer Partner:innen werden.
Beziehungen erfordern Arbeit
Letztendlich können Beziehungen aller Art toxische Elemente aufweisen. Aber wo es ungesunde Arten, Beziehungen zu führen, gibt, gibt es auch gesunde, „ethische“ Arten. Die erfordern Arbeit, eh klar, aber vielleicht ist es auch an der Zeit, anzuerkennen, dass jegliche Art von Beziehung Arbeit erfordert: Arbeit an internalisierten Rollenbildern und Mustern, Arbeit an gesunder Kommunikation auf Augenhöhe und ganz besonders Arbeit an uns selbst.
Jegliche Art von Beziehung erfordert Arbeit.
Ganz wichtig: Sollte sich deine Beziehung so auswirken, dass du psychisch und/oder körperlich darunter leidest, möchten wir dir dringend ans Herz legen, dir Unterstützung zu suchen. Das können Familie und Freund:innen sein, Therapeut:innen, besonders aber auch anonyme Beratungsstellen. Niemand muss in einer toxischen Beziehung bleiben – es kann nur leider wahnsinnig schwer sein, da aus eigener Kraft rauszukommen. Zögere bitte nicht, dir Hilfe zu holen, wenn du betroffen bist. Wir denken an dich und senden dir ganz viel Kraft!
Wichtige Ressourcen zu Monogamie und anderen Beziehungskonzepten:
Radikale Zärtlichkeit, Şeyda Kurt
Auf Instagram:
@saskiamichalski
@bygabriellesmith
@julesvogel
@yourdiagnonsense