Erste Male gibt es viele im Leben: Wie auch kleine Momente des Alltags den Horizont erweitern

Es ist März und ich stehe barfuß auf dem Rasen. Der Tag fühlt sich nach mindestens 18°C an. So geht es schon die ganze Woche über. Das Wetter ist sanft mit uns. Ein Zitronenfalter schwirrt über die Beete. Die Sonne reicht bis zu den Rosenstämmen.

Der restliche Garten liegt fast ganzjährig im Schatten. Das sind Bedingungen, unter denen Moos sich besonders wohlfühlt. Die kleinen Pflänzchen drängen sich neben die Grashalme. Sie verdrängen Omas Rasen.

Ich wackle mit den Zehen. Mir gefällt das Moos. Ginge es nach mir, dürfte es bleiben.

Das ist nicht gut, erklärt sie mir. Der Rasen könne so nicht atmen. Ich werfe ihr einen Blick zu. Sie sitzt auf einer roten Holzbank unter dem Kirschbaum, trägt Gummistiefel und eine Arbeitshose. Neben ihr ein Paar alter Gartenhandschuhe. Bereit einzugreifen, wenn die Situation es verlangt. Ich wackle mit den Zehen. Mir gefällt das Moos. Ginge es nach mir, dürfte es bleiben.

Seufzend greife ich mir den Vertikutierer und beginne mit der ersten Bahn. Es geht leichter als gedacht. Während ich das Gerät vor mir herschiebe, taucht im Innern eine kleine, scharfe Walze unter die Grasnarbe. Entwurzelte Mooshäufchen säumen die zurückgelegte Spur. Wieder ein erstes Mal.

Ich sammle sie, diese Momente. Und wenn es auch nur das Vertikutieren eines Grundstücks ist. Ich kann beinahe spüren, wie sich der Horizont in mir um einen winzigen Punkt streckt. Ich glaube, dass es darum geht. Dass es darum geht, den Speicher mit neuen Erfahrungen zu füllen.

Ich sammle sie, diese Momente. Und wenn es auch nur das Vertikutieren eines Grundstücks ist. Ich kann beinahe spüren, wie sich der Horizont in mir um einen winzigen Punkt streckt. Ich glaube, dass es darum geht. Dass es darum geht, den Speicher mit neuen Erfahrungen zu füllen.

Und die müssen nicht immer, nicht unbedingt, auf einer langen Reise in einem anderen Land gesammelt werden. Sie finden sich auch bei der Gartenarbeit. Sie finden sich in dem Moment, in dem man einen anderen Weg zur Arbeit fährt als an allen anderen Tagen. Oder genau dann, wenn man eine neue Sorte Eis probiert. Wenn ich irgendwann mit über 90 Jahren auf einer roten Holzbank sitze, dann hoffentlich mit vielen, vielen ersten Malen in der Erinnerung.

Ich blicke zurück. Verwüstung ist kein Wort für den Zustand der Rasenfläche nach dem Vertikutieren. Doch meine Oma winkt ab: „Ein bisschen Dünger und neue Saat. Der erholt sich schneller, als wir gucken können.‘‘ Ein Trost. Wie auch der Zitronenfalter, der noch immer durch das Licht kreist.

Pia ist 28 Jahre alt und aus dem Ruhrgebiet. Nach einigen Jahren der Abstinenz entdeckte sie das Schreiben wieder für sich. Gut tuts. Ansonsten ist sie eigentlich Erzieherin und studiert derzeit Soziale Arbeit in den letzten Zügen. Pia ist ein Draußenkind. Nirgends gefällt es ihr so sehr wie in der Natur. Und es dauert oft nur wenige Waldminuten, bis ihre Batterien aufgeladen sind.

Headerfoto: Ivan Samkov (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

 

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