Auf ihrem Instagram-Account verkündete die Produzentin ethischer und feministischer Pornos Erika Lust vor kurzem, dass sie ihren Mitarbeiter:innen nun täglich eine halbe Stunde für Masturbation freistelle. Mit ihrem Reel zum Thema brachte sie mich nicht nur zum Schmunzeln, sondern auch zum Nachdenken.
Ja, irgendwie spielt Masturbation in meinem Leben natürlich eine Rolle, aber bisher eine doch sehr kleine und die bloß in meinem Bett oder allerhöchstens mal in Gesprächen mit guten Freundinnen. Ich fragte mich: Hat das Thema mehr Platz in meinem Leben verdient, weil es eben doch nicht nur mit meiner Sexualität zu tun hat, sondern vielleicht sogar gesellschaftlich eine größere Bedeutung?
Irgendwie spielt Masturbation in meinem Leben natürlich eine Rolle, aber bisher eine doch sehr kleine und die bloß in meinem Bett. Hat das Thema mehr Platz in meinem Leben verdient?
Grundsätzlich gehe ich im Umfeld mit mir vertrauten Menschen recht offen mit dem Thema Sexualität um. Glaube ich zumindest. Mit meinen Freundinnen spreche ich über meine sexuellen Erfahrungen und Vorlieben genauso wie über Fragen und Unsicherheiten. Es ist ein kleiner Kreis von Menschen, aber es gibt ihn immerhin.
Als ich mich jedoch auf der Webseite von Erika Lust umschaute, bemerkte ich, wie wenig ich mich bisher aktiv mit Masturbation und deren Bedeutung für mein Wohlbefinden beschäftige – abgesehen von meinen Streifzügen durch Onlineshops, um mir ein neues Toy zu bestellen. Und spätestens beim Begriff „Mindful Masturbation“ wurde ich neugierig.
Was ist „Mindful Masturbation“?
Es geht darum, sich achtsam mit dem eigenen Körper zu verbinden, sich zu entspannen und auf eine Entdeckungsreise zu begeben, auf der man lernt, was man braucht und was einem guttut. Und das, indem man ganz präsent ist und wahrnimmt, ohne etwas zu bewerten. Man aktiviert alle Sinne und findet in eine langsame und achtsame Art der Berührung. Erst einmal muss es gar nicht um sexuelle Stimulation gehen, sondern bloß darum, angenehme Berührungen und Stellen herauszufinden. Wo fühlt es sich gut an? Welche Art der Berührung ist besonders angenehm?
Achtsamkeit und Selbstliebe – zwei erstrebenswerte Komponenten, die ich bisher über verschiedene Routinen und Rituale in mein Leben bringe, aber noch nie direkt mit Masturbation in Verbindung gebracht habe. Dabei ergibt es natürlich Sinn. Beides kann ich nicht wirklich und nicht langfristig erleben, ohne dass es nicht auch etwas mit meinem Körper zu tun hat.
Achtsamkeit und Selbstliebe – zwei erstrebenswerte Komponenten, die ich bisher über verschiedene Routinen und Rituale in mein Leben bringe, aber noch nie direkt mit Masturbation in Verbindung gebracht habe.
In echter, wahrer Liebe mit mir selbst bin ich erst dann, wenn ich auch meinen Körper so annehme, wie er ist und ihn liebevoll behandle. Und auch wirklich achtsam bin ich nur, wenn ich in meinen Körper reinfühle und darin präsent bin. Ohnehin mache ich ja keine Erfahrung auf dieser Welt und in diesem Leben ohne meinen Körper. Deshalb kann es nur Vorteile mit sich bringen, mich auch auf körperlicher und sexueller Ebene damit auseinanderzusetzen, was ich brauche und möchte und was mein Wohlbefinden steigert.
Wie funktioniert „Mindful Masturbation“?
Und wie geht jetzt diese „Mindful Masturbation“? Ich darf erst einmal für einen sicheren und gemütlichen Raum sorgen, emotional wie physisch. Auch da wieder: Selflove is key. Ein paar Kerzen, Decken und Kissen vielleicht und das Handy auf Flugmodus. Jetzt geht es nur um mich. Und dann darf ich mich entspannen und meine Gedanken ziehen lassen – über Atemübungen beispielsweise.
Im nächsten Schritt kann ich einmal meine gängigen Praktiken und Routinen der Selbstbefriedigung hinterfragen. Denn Bedürfnisse und Vorlieben verändern sich. Ist es überhaupt noch das, was ich wirklich gut finde und für meine Selbstliebe-Praxis möchte? Vielleicht passt mir eine andere Zeit am Tag viel besser als vor dem Schlafengehen. Vielleicht fühlt sich eine andere Position oder ein anderer Ort viel besser an. Und vielleicht bringt mir auch eine andere Methode oder ein anderes Toy wesentlich mehr Intensität oder Freude.
Manche Expert:innen raten, komplett auf Toys zu verzichten, um sich vollkommen mit dem eigenen Körper verbinden zu können. Außerdem darf ich den Fokus vom Orgasmus weg und hin zum Vergnügen lenken.
Manche Expert:innen raten, komplett auf Toys zu verzichten, um sich vollkommen mit dem eigenen Körper verbinden zu können. Außerdem darf ich den Fokus vom Orgasmus weg und hin zum Vergnügen lenken.
Es geht darum zu reflektieren und Neues ausprobieren – mit dem Ziel, meine Bedürfnisse noch besser kennenzulernen und dann auch zu erfüllen. Mich selbst wichtig zu nehmen und mir mit Liebe zu begegnen. Und gleichzeitig durch diese sehr achtsame und liebevolle Art der Masturbation ohne Druck Alltagsstress abzubauen und loszulassen.
Ein wundervolles Tool in Sachen Masturbation sind übrigens auch sogenannte Liebeskugeln oder Yoni-Eier. Diese lassen sich in jeder Situation im Alltag tragen, um währenddessen den Beckenboden zu trainieren, was wiederum das eigene Körpergefühl verbessert und die Orgasmusintensität- und Fähigkeit steigert.
Die gesellschaftliche Bedeutung von Masturbation
Wie der Amorelie-Report aus dem vergangenen Jahr zeigt, ist der weibliche Orgasmus (so wie der von Menschen mit Vulva allgemein) in unserer Gesellschaft unterrepräsentiert. Nur 17% der Befragten gaben an, beim Sex immer zum Höhepunkt zu kommen. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass wir das weibliche Geschlecht auch in Sachen Sexleben als zweitrangig betrachten – und deshalb keine Notwendigkeit darin sehen, uns näher mit dem weiblichen Orgasmus zu beschäftigen.
Wir betrachten das weibliche Geschlecht auch in Sachen Sexleben als zweitrangig betrachten – und deshalb keine Notwendigkeit darin sehen, uns näher mit dem weiblichen Orgasmus zu beschäftigen.
Was uns wieder zum Thema Masturbation führt. Wichtig: Damit möchte ich nicht sagen, dass es wichtig oder gar notwendig ist, bei jedem Geschlechtsverkehr zum Orgasmus zu kommen. Dieser Druck und Irrglaube sollten dringend aus der Welt geschafft werden. Aber eben auch dieses Hintenanstellen der eigenen Bedürfnisse und die Priorisierung des männlichen Geschlechts – sogar beim Sex.
Masturbation kann einen großen Teil dazu beitragen, den eigenen Orgasmus eben nicht mehr hintenanzustellen, sondern das eigene Vergnügen wichtig zu nehmen, und Bedürfnisse deutlicher zu kommunizieren. Zu wissen, wie du Spaß haben, deinen Körper kennenlernen und deine Vorlieben entdecken kannst, ist nicht nur für dein Sexleben unabdingbar, sondern auch für ein selbstbestimmtes Leben, das nicht im Schatten anderer stattfindet.
Masturbation kann einen großen Teil dazu beitragen das eigene Vergnügen wichtig zu nehmen, und Bedürfnisse deutlicher zu kommunizieren.
Von einer Pause für Masturbation im Arbeitsalltag aller Unternehmen sind wir vermutlich noch weit entfernt. Trotz allem sind Personen wie Erika Lust nicht ignorierbare Ausreißer:innen, sondern genau die Vorbilder, die es braucht, um auf ein wichtiges Thema wie dieses aufmerksam zu machen. Masturbation muss raus aus der verstaubten Tabu-Ecke und rein ins Scheinwerferlicht, weil sie nicht nur für individuelles Wohlbefinden sorgen kann, sondern eben auch für gesellschaftliche Veränderungen bezüglich der Gleichberechtigung.
Headerfoto: Daria Shevtsova via Pexels. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!