Es gibt verschiedene Motive, warum Menschen Dating-Apps – die kleinen Hilfsmittel auf dem Liebesmarkt – benutzen. Der eine verspricht sich hiervon besonders viele neue Kerben in seinem Bettpfosten, die andere sucht vielleicht ihren neuen potenziellen Freund oder beste Freundin. Manch einer von uns will sich vielleicht einfach nur ausprobieren und gleichgeschlechtliche Erfahrungen machen oder spezielle sexuelle Praktiken probieren. Dann gibt es bestimmt auch wieder jene, die im echten Leben einfach zu schüchtern sind, ihren Schwarm anzusprechen und daher den digitalen Weg wählen.
Aber dann gibt es auch noch diejenigen unter uns, die sich nach einer gescheiterten Beziehung mit gebrochenem Herzen einfach nur nach ein wenig oberflächlicher Ablenkung und flüchtigem Vergnügen sehnen, denn eins ist klar:
Auch Singles und frisch getrennte emotionale Wracks haben Lust auf Nähe und Zärtlichkeit, oder aber Leidenschaft und erniedrigende Härte – wie auch immer. Außerdem hat es auch etwas Reizvolles, eine*n Fremde*n außerhalb vom Club und dementsprechend nicht im Dunkeln und halb berauscht anzutreffen. Vielleicht sogar in gewohnter Umgebung oder mit von vorneherein klaren Absichten und offener Kommunikation.
Interessanterweise gehöre ich scheinbar zu der Gruppe, die sich erstmal über einen längeren Zeitraum unverbindlich ablenken und flüchtig vergnügen will. Seien es ein- oder aber zweimalige Dates mit ein- und derselben Person, in manchen Phasen aber auch eher Affären mit situativem Tiefgang. Alles jedoch fernab meines Alltags, denn da bin ich in erster Linie erstmal wieder nur bei und mit mir.
Viel Zeit verbringe ich mit Schreiben, Lesen, (Nach-)Denken, Spazieren, Sport, Meditation … aber auch völliger Rastlosigkeit, Zerstreutheit, emotionaler Labilität und melancholischen, teils lethargischen Verstimmungen. Es sind lediglich Verstimmungen, alles ist dann besonders schwarz und schwer. Das Einzige, was dann richtig scheint, ist das Alleinsein. Gerade soziale Interaktionen wirken in diesen Phasen besonders zehrend und störend, zumal die eigenen Gedanken zu laut sind. Irgendwann ist es dann die Musik, bis es wieder (weiter-)geht.
Zurück zum eigentlichen Phänomen:
Auch wenn die abwechslungsreichen, zahlreichen Dates im ersten Moment unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen lassen, so haben diese im Endeffekt doch meist alle eins gemeinsam: Sie sind verloren, auf der Suche nach sich selbst. Denn eine Trennung bringt immer eine innere Zerrissenheit mit sich. Der*die Partner*in, mit dem*der man sich so lange verbunden gefühlt hat, ist nicht mehr da. Zumindest nicht mehr greifbar – in den meisten Fällen.
Wen ruft man denn jetzt abends an, um von seinem Tag zu erzählen oder wenn es Neuigkeiten gibt? Wer ist denn jetzt zur Stelle, wenn man vielleicht einen Rat oder Unterstützung braucht? An welcher Schulter lehnt man sich jetzt an oder weint sich die Augen aus? Mit wem teilt man fortan dieses Gefühl von Intimität? Nähe braucht Zeit. Die baut sich so schnell nicht auf. Die Chance, dass jemand anders das Loch in kürzester Zeit angemessen fühlen kann, ist sehr gering. Ausnahmen bestätigen die Regeln.
Alle tragen ihr Päckchen
Wenn mir eins aufgefallen ist, dann dass all diejenigen, die ich traf, ihr Herzschmerz-Päckchen zu tragen hatten. Witzigerweise war ich es, die von vorneherein die Karten auf den Tisch legte und jede auch nur ansatzweise romantische Geste freundlich, aber bestimmt zurückwies. Die Männer sollten direkt wissen, dass sie aktuell nicht viel erwarten konnten und ich nicht wirklich empfänglich für Tiefgang und emotionalen Austausch war. Sie nahmen es hin, sie fanden es attraktiv.
Beim Treffen kam schnell heraus, dass sie ebenfalls noch nicht lange solo waren. Sie sprachen sehr gelassen darüber, zeigten Verständnis und gaben sich mit eigentlich allem zufrieden. Jedoch dauerte es nicht lang und nicht nur die Hüllen fielen, sondern auch die Masken verrutschten immer mehr. Auf einmal waren auch dort gebrochene Seelen erkennbar, traurig und verloren. Nichtwissend, warum das alles geschehen war, frustriert über den vergangenen und aktuellen Schmerz.
Einfach authentisch, aber auch nicht mehr schönzureden
Jede Konstellation brachte also mindestens zweimal Herzschmerz und verschiedene Lösungsansätze auf der Suche nach Sinn und Heilung hervor. Der eine lächelte, um nicht zu weinen, sprach von einem netten Umgang zuhause, denn leider teilte er sich weiterhin eine Wohnung mit seiner Ex-Partnerin. Der andere eröffnete mir ehrlich, wie sehr er unter der Trennung gelitten hatte und auch zum Schluss noch an seiner Geliebten festhielt. Seine Nachrichten waren zuerst voller Lebensfreude, nach unserem Treffen las ich zwischen den Zeilen und verstand die Zwischentöne.
Wieder ein anderer gab sich erst recht frei und emotional ungebunden, nach dem Sex wiederum sah er mich an und wurde traurig. An seine letzte Liebschaft, die er sehr betrauerte, erinnerte ich ihn. Auf einmal wirkte er verletzt und ein klein wenig resigniert. Seine Nachrichten waren sehr direkt gewesen, sie passten auf einmal kein Stückweit mehr zu ihm.
… aus den anfänglich selbstbewussten Charakteren, die auf der Suche nach Spaß ihrem eigenen Hedonismus frönten und sich wenig kompromissbereit gaben, wurden nach der ein oder anderen gemeinsamen Turnstunde durch die Laken verletzte und gebrochene Seelen.
Sie alle hatten Lust und waren auf der Suche, ihre Triebe zu stillen. Es ging um Befriedigung, sexuelle Befriedigung. Das war bei jedem Treffen eigentlich klar. Aber aus den anfänglich selbstbewussten Charakteren, die auf der Suche nach Spaß ihrem eigenen Hedonismus frönten und sich wenig kompromissbereit gaben, wurden nach der ein oder anderen gemeinsamen Turnstunde durch die Laken
verletzte und gebrochene Seelen. Aber sie weinten nicht, sie hatten Sex und teilten danach ihr seelisches Leid … jeder so viel, wie er mochte. Witzig, wenn man bedenkt, dass dies oftmals kurz nach dem Sex geschah. Aber offen über die eigenen Gefühle und nicht erfüllten Bedürfnisse zu sprechen, kann eben auch intim sein und sich wie Nähe anfühlen.
Ein offenes Ohr und Verständnis ist Sex für die Seele
Geteiltes Leid, ist halbes Leid … und manchmal geil. Von vorneherein die Karten auf den Tisch zu legen, sich einander Lust zu verschaffen und danach eventuell sogar noch Sorgen und nächtliche Gedankenspiralen zu vergleichen, kann befreiend wirken. Man ist sich schließlich nichts schuldig, man befindet sich in derselben Situation. Doppelt befriedigt: seelisch und sexuell. Frust raus, Lust gestillt, kurzzeitig Nähe und Verbundenheit empfunden.
Interessant, wie ehrlich solche Momente doch sein können, obgleich man sich zuvor geschworen hat, die Maske aufzubehalten und lediglich seinen Körper an dem Abend teilhaben zu lassen. Gedanklich ist man schließlich zu sehr bei sich oder noch zu sehr in alten Gefühlen gefangen – zumindest war es bei mir so. Was ich damit sagen will: Schluss mit dem Verstecken und der Schönmalerei.
Lasst nicht nur die Hüllen fallen, sondern auch die Masken.
Headerbild: Brooke Cagle. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Story of my 2020. Aber sowas von. 🙂