Wie oft erleben wir Gefühle, die wir nicht einordnen können? Haben das Gefühl, nichts ändern zu können? Wie oft treffen wir Entscheidungen gegen unseren Bauch? Und wie oft haben wir das Gefühl, selbst in unserem Leben gar nicht so sehr zu Hause zu sein? Oder weniger dramatisch: Wie oft denken wir, wir könnten einfach ein bisschen glücklicher sein?
Wir können lernen, unsere Emotionen zu unseren Verbündeten zu machen, denn sie sind Botschafter unerfüllter Bedürfnisse. Wenn wir diese Bedürfnisse erkennen und ihnen genügend Raum geben, anstatt sie zu unterdrücken oder bekämpfen, können sich ungeahnte Kräfte freisetzen. Gefühle sind unser Kompass in unserem ab und an doch sehr turbulenten Leben.
Gefühle sind einfacher zu beeinflussen als wir häufig denken.
In dem Buch Emotional Detox – Wie Sie Ihr emotionales Immunsystem stärken zeige ich einen Ansatz, auf welche Bedürfnisebenen unsere unterschiedlichen Emotionen hinweisen und gebe leicht in den Alltag integrierbare Übungen in Form von ED-Meds (Emotional Detox Selbstmedikation), mit denen das emotionale Immunsystem entgiftet und gestützt werden kann. Denn Gefühle sind einfacher zu beeinflussen, als wir häufig denken.
ED MED 1: Mindestens 30 Minuten Tageslicht täglich!
Der Körper braucht Sonnenlicht, um jene Botenstoffe bilden zu können, die für gute Stimmung sorgen. Wenn wir in diesen Zeiten nicht nach draußen gehen können, setz dich an das geöffnete Fenster (das Licht durch Fensterscheiben reicht nicht) oder besorge dir eine Lichttherapielampe (ohne den schädlichen UV-Anteil!). Schon 30 Minuten täglich genügen, zum Beispiel beim Frühstück, beim Zeitungslesen oder während du am Computer arbeitest.
Tipp: Eine Lichtdosis am späten Nachmittag oder Abend macht so wach, dass das Einschlafen manchmal schwerfällt. Also lieber gleich morgens unter die Lampe!
ED MED 2: Bleib in Bewegung!
Bewegung wirkt Wunder, denn durch Bewegung werden sofort Endorphine im Körper freigesetzt. Diese körpereigenen Drogen vertreiben depressive Verstimmungen, unser Schmerzbewusstsein sinkt – und wir fühlen uns in unserem Körper zu Hause. Integriere Bewegung in deinen Alltag. Jede Form der Bewegung, die zu deinen Lebensumständen passt, hilft.
Integriere Bewegung in deinen Alltag. Jede Form der Bewegung, die zu deinen Lebensumständen passt, hilft.
Bewegung geht überall, auch in der Wohnung. Meine Kinder und mein Mann machen jetzt täglich Sportprogramm mit kleinem Trampolin, Luftballons und Matratzen. Sei kreativ: Tanze mit Kopfhören und widme dich deiner Sexualität.
ED MED 3: Lerne deine persönlichen Rhythmen kennen!
Beobachte dich! Wann bist du fit? Bist du ein Morgen,- Mittag-, Abend- oder Nachtmensch? Wann kannst du dich am besten konzentrieren? Wie viele Pausen brauchst du? Wie lange müssen diese Pausen sein, um richtig arbeiten, leben und lieben zu können? Es wirkt wie ein stabilisierendes Fundament, die eigenen Rhythmen zu kennen und entsprechend für sich zu sorgen.
Solange wir uns unserer persönlichen Besonderheiten nicht bewusst sind, empfinden wir die clevere Strategie unseres Körpers »sich zu nehmen, was er zum Funktionieren braucht« als Defizit. Dabei ist es eine kostbare Stärke, dass der Körper uns bei Bedarf zum Innehalten zwingt, indem er uns Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindel sendet.
Lasse deinen Tränen also bitte hin und wieder freien Lauf. Weinen ist gesund.
Auch die Momente, in denen uns einfach nur zum Weinen zumute ist, sind wertvoll, weil sie einen Weg des emotionalen Entgiftens darstellen: Über die Tränenflüssigkeit werden die beiden Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus dem Körper katapultiert. Lasse deinen Tränen also bitte hin und wieder freien Lauf. Weinen ist gesund.
Unser Körper ist der loyale Mitarbeiter, der immer dann einspringt, wenn wir als Chef:in nicht hinterherkommen, der uns zu mehr Achtsamkeit uns selbst gegenüber mahnt. Darum wäre es unfair, ihn in solchen Situationen zu beschimpfen oder zu bestrafen. Wir sollten lieber lernen, auf ihn zu hören und ihm zu vertrauen.
ED MED 4: Pflege deine Rituale!
Rituale und feste Strukturen geben uns Sicherheit und sorgen dafür, dass Kreativität und freies Denken sich entfalten können. Rituale sind sozusagen der Rahmen eines Bildes, der für den nötigen Halt sorgt. Nicht umsonst haben viele kreative Menschen fast zwanghaft wirkende Rituale. Immer zur selben Zeit aufstehen, immer dasselbe zur selben Zeit essen und trinken, immer zur selben Zeit arbeiten. Ritualisierte Abläufe vor dem Auftritt oder der Performance, um ja nicht aus dem »Takt« zu kommen, sondern fokussiert zu bleiben.
Früher wurden Rituale bereits durch die Religion und starre Familienstrukturen festgelegt. Heute obliegt es jedem von uns, den eigenen Alltag zu strukturieren. Klingt wunderbar frei, ist aber alles andere als einfach.
Heute obliegt es jedem von uns, den eigenen Alltag zu strukturieren. Klingt wunderbar frei, ist aber alles andere als einfach.
Mach es also wie Toni Morrison, Patricia Highsmith & Co.: Lege deine Strukturen fest und zelebriere deine Rituale. Ich habe zum Beispiel das Ritual, morgens gleich nach dem Aufstehen Zähne zu putzen, mir dann einen richtig guten Espresso zu kochen und dazu warme Getreidemilch aufzuschäumen. Das mag unspektakulär klingen, aber ich freue mich manchmal schon beim Einschlafen auf meinen Cappuccino am nächsten Morgen.
Der Nebeneffekt: Das Aufstehen fällt mir leichter, was wiederum hilft, wenn ich im Winter um fünf Uhr morgens aufstehen muss. Und abends höre ich am liebsten Hörbücher, weil ich da jederzeit auf »Pause« drücken kann, wenn ich zwischendurch eigenen Gedanken nachhängen möchte. Außerdem brauche ich relativ viel intellektuellen Input, damit ich den Tag als gelungen empfinde. Da kommt das Vorlesenlassen von Fachbüchern gerade recht.
Wie fängt dein Tag an? Wie hört er auf? Welche Rituale hast du? Und wo könnten ein paar Rituale helfen, dass du dich ab und zu getragen fühlst?
ED MED 5: Setze Prioritäten!
Kennst Du die Eisenhower-Methode? Sie lautet: Unterscheide zwischen »Wichtig« und »Dringlich« (sprich »Drängend«). Interessanterweise messen wir nämlich oft dringlichen, aber unwichtigen Dingen sehr viel mehr Bedeutung und Handlungsnotwendigkeit bei als wichtigen Angelegenheiten, die aber nicht dringlich sind. Wenn beispielsweise das Telefon klingelt oder das Messenger-Pling ertönt, erliegen wir oft dem sogenannten Antwortreflex.
Der Nachbar, die Mutter oder die Freundin hat da nur mal rasch eine Frage. Und schon nehmen wir uns Zeit, schenken Aufmerksamkeit, obwohl es für uns selbst oft wahrlich nicht wirklich wichtig ist und sich das Problem, wenn wir nicht erreichbar gewesen wären, vermutlich auch von allein gelöst hätte.
Die eigenen Bedürfnisse sind in der Regel sehr, sehr geduldig. Leider.
Dabei lohnt es sich, mal auf die wichtigen und nicht dringlichen Angelegenheiten zu achten, denn dahinter verstecken sich häufig unsere eigenen Bedürfnisse. Nur weil niemand anderes uns drängt, nachfragt, auf Antwort oder Erledigung wartet, schieben wir alles Wichtige, aber nicht Dringliche auf unserer Prioritätenliste immer wieder nach hinten. Immerhin sind die eigenen Bedürfnisse in der Regel sehr, sehr geduldig. Leider. Denn so leben wir meist viel zu lange in Situationen, die uns eigentlich gar nicht guttun.
Finde heraus, was für dich persönlich wichtig ist (= B-Quadrant) – und gib diesen Aspekten ausreichend Raum und Zeit. Typische Beispiele für den B-Quadranten sind Sport, eigene Projekte, Muße- und Ruhezeiten, Hobby, Gesundheit, also alles, was unser emotionales Immunsystem stärkt.
ED MED 6: Erstelle deine persönliche »6-Punkte-Liste« für den nächsten Tag!
Überlege dir abends sechs Dinge, die du am nächsten Tag erledigen möchtest, und bringe diese in eine Prioritätenfolge, wobei du den Unterschied zwischen »Wichtig« und »Dringlich« beachten solltest. Von nun an arbeitest du jeden Tag die Punkte in der vorgegebenen Reihenfolge ab. Und was du nicht schaffst, setzt du abends an den Anfang der Liste für den kommenden Tag. Dabei aber nicht einfach nur das Unerledigte wieder auf die Liste setzen, sondern erneut prüfen: Was ist mir morgen besonders wichtig?
ED MED 7: Erkenne die Macht der abgeschlossenen Geschäfte!
Warum hängen wir eigentlich alle so viel mit Social Media, Netflix-Serien und Internet ab? Dabei wissen wir doch, dass es meistens zu lange und zu intensiv ist? Der Grund: All diese Tätigkeiten sind niemals richtig abgeschlossen. Wir bleiben also dran – immer in der (vergeblichen) Hoffnung, doch noch zum Abschluss zu kommen. Hinzu kommt, dass unser Gehirn neugierig ist, also gierig nach Neuem.
Folglich haben wir gleich zwei Sehnsüchte in uns: den Wunsch nach Abgeschlossenheit und unsere Neugier. Das bedeutet, sobald wir uns den neuen Medien zuwenden, begeben wir uns in eine Zwickmühle, denn unsere Neugier steht unserem Wunsch nach einem erfüllenden Abschluss im Weg.
Wenn wir ständig neue Projekte anfangen, die unsere Aufmerksamkeit binden, dann fehlt irgendwann die Energie, um uns zentralen Lebensfragen zu stellen.
Ähnlich sieht es im Alltag jenseits der modernen Medienwelt aus: Wenn wir ständig neue Projekte anfangen, die unsere Aufmerksamkeit binden, dann fehlt irgendwann die Energie, um wichtige Entscheidungen zu treffen oder uns zentralen Lebensfragen zu stellen. Wir haben nun einmal nur begrenzte Energie- und Aufmerksamkeitsressourcen zur Verfügung – und manchmal genügen schon ein paar Runden auf Social Media oder mit Mr. Google, um diese nahezu aufzubrauchen.
Gerade jetzt haben wir eigentlich so viel mehr Zeit als sonst, die wir nutzen können, um uns mit uns selber zu beschäftigen: unserer persönlichen Wunschliste, unseren Gefühlen, der Muße, der Kultur, der Heilung und der Empathie für uns und den Menschen, die uns nahestehen. Für die körperliche Gesundheit ist die emotionale Ausgeglichenheit eine wertvolle Unterstützung. Nutzen wir unsere Emotionen, um zu wachsen! Gerade jetzt.
Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.
Headerfoto: Analise Benevides via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!
Total hilfreich! Vielen Dank!! 🙂