Ich habe einen Kater, ohne getrunken zu haben. Mein Kopf ist schwer, mein Herz auch. Gestern war alles bunt und laut und schnell. Zu schnell. Heute würde ich gerne zurück, zurück zu gestern Abend. Ich würde dir gerne schreiben, dir danken für die schöne Nacht, dich fragen, wie dein Tag war, was du heute Abend vorhast. Aber das geht nicht, denn die Funkstille gehört zum Nüchtern-Werden dazu.
Das Drücken in meiner Brust wird genau 36 Stunden dauern, das tut es immer, danach wird es leichter werden. Vorausgesetzt, ich greife jetzt nicht zu meinem Handy und rufe dich an, denn ab dem Moment werden es wieder 36 Stunden sein.
Man kann nicht kontrollieren, ob man sich verliebt oder nicht, hat meine Oma immer gesagt.
Man kann nicht kontrollieren, ob man sich verliebt oder nicht, hat meine Oma immer gesagt. Und in gewisser Weise hat sie damit Recht. Wenn ich mit einem Mann einen intensiven Abend verbracht habe, wenn wir gelacht haben, wenn die Blicke länger wurden, die Berührungen häufiger und die Zeit irrelevant, dann bin ich am nächsten Morgen ein bisschen verliebt.
Insbesondere wenn ich mich nicht vernünftig verabschiedet habe, sondern mich einfach aus dem Zimmer schleiche. Ganz leise. Um ihn nicht zu wecken. Dann ist es schwerer, als wenn wir über die Nacht gesprochen haben. Schwerer ist es auch, wenn er meine Regeln zwar verstanden hat, sie aber trotzdem zu umgehen versucht. Wenn er sich am nächsten Tag meldet, wenn er versucht, uns zu Freunden zu machen. Aber Freunde sind wir nicht. Werden wir nicht. Denn wir haben miteinander geschlafen.
Ich schlafe nicht mit Freunden. Ich schlafe mit Fremden.
Mich reizt das Unbekannte und auch nur so kann es funktionieren. So sind die Regeln. Regeln, die ich mit meinem Freund abgesprochen habe.
Ich darf Abenteuer erleben, so wie er auch. Ich darf Verbindungen mit Männern eingehen. Ich darf bis spät in die Nacht tanzen und trinken, darf knutschen und flirten, darf berühren und berührt werden. Ich darf mich sogar ein klein bisschen verknallen. Dieses Gefühl, wenn man sich begehrt fühlt, macht mich süchtig, lässt mich mutig werden. Ich liebe es, wenn aus einem gegenseitigen Necken ein eindeutiger Flirt wird und man nur auf den Moment wartet, in dem man die Lippen des anderen auf den eigenen spürt.
Mich reizt das Unbekannte und auch nur so kann es funktionieren. So sind die Regeln. Regeln, die ich mit meinem Freund abgesprochen habe.
Der Augenblick, wenn er seine Hand in meinen Nacken legt und uns beiden klar wird, dass wir heute miteinander heimgehen werden. Zu ihm. Immer zu ihm. Nie zu mir. Ich warte nur auf den Moment, wenn seine Hand sich um meine schließt und ich ihm die Treppen hinauf in seine Wohnung folge. Oder wenn wir im Aufzug stehen und seine Küsse abrupt fordernder werden. Während meine Zunge sich vorsichtig vortastet, schmecke ich ihn, rieche ihn, abseits von Zigarettenrauch und den Verwirrungen der Nacht. Dann gibt es nur noch uns.
Es ist jedes Mal anders. Manchmal besser, manchmal schlechter, aber immer spannend. Wie er mich anfasst. Die Art, wie er sein Hemd auszieht. Seine Wohnung. Wird er auf einmal schüchtern? Ist er eher zärtlich oder dominant? Fordert er oder verwöhnt er lieber?
Das ist auch meistens der Moment, in dem von seiner Seite nochmal Fragen aufkommen. Seit wann bist du in einer offenen Beziehung? Was macht dein Freund gerade? Wirst du ihm meinen Namen nennen? Ein kurzes Innehalten. Für viele ist es ungewohnt, so genau zu wissen, dass das hier zu nichts führen wird, außer zu dem, was es gerade ist und in den nächsten Stunden sein wird.
Bis die Sonne aufgeht, bis wir beide in unsere Leben zurückkehren.
Es sind diese unglaublich leichten, kribbelnden Begegnungen, die mir am nächsten Tag die Gedanken vernebeln. Nicht selten lasse ich ein winziges Stück meines Herzens in seiner Wohnung zurück und fülle den frei gewordenen Platz in meiner Brust mit warmen Erinnerungen, unglaublichen Gesprächen und einem leichten Flattern in der Magengegend beim Blick zurück.
Die Routine und das Vertraute meines Lebens, das mit so unglaublich viel Nähe, Liebe und Zukunft gefüllt ist, aber eben auch über das Abenteuer solcher Nächte.
36 Stunden später ist mein Kopf dann meistens wieder klar. Der Kater überstanden. Der Trip vorbei. Der Alltag zurück. Ich freue mich über beides. Die Routine und das Vertraute meines Lebens, das mit so unglaublich viel Nähe, Liebe und Zukunft gefüllt ist, aber eben auch über das Abenteuer solcher Nächte, das Herzklopfen, die Aufregung und den Schmerz danach.
Ob das nicht anstrengend ist? Ja bestimmt! Aber auch wunderschön. Leicht und schwer zu gleichen Teilen
Headerfoto: Daniel Spase via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Ein wunderschöner und ehrlicher Text 🙂