Von Liebesbriefen zu Visaanträgen – Liebe über kulturelle Grenzen hinweg

Lea ist achtundzwanzig, als sie ERASMUS-Studierende an einer progressiven linken Uni im Herzen Ankaras in der Türkei wird. Beim „Handstand-Üben“ trifft sie gleich am zweiten Tag auf Orhan. Das zarte Miteinander entspinnt sich zunächst über handgeschriebene Briefe, welche die beiden in einen Baum hängen. Das Techtelmechtel entwickelt sich schnell zu einer handfesten romantischen Paarbeziehung, die am Ende auf eine harte Probe gestellt wird. Eine kleine Geschichte über Liebe zwischen kulturellen Grenzen.

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

Als ich Orhan kennen lernte, habe ich keinen Gedanken daran verschwendet, dass er Türke ist und ich Deutsche. Es kam mir nie wie ein nennenswertes Hindernis vor. In mein Tagebuch habe ich am ersten Tag Schmetterlinge gemalt. „Eine Umarmung. Mhm, fühlt sich gut an“, steht dort.

Ich habe keinen Gedanken daran verschwendet, dass er Türke ist und ich Deutsche. Es kam mir nie wie ein nennenswertes Hindernis vor.

Ich weiß noch, dass ich meiner Freundin Cisem erzählte, ich möchte lieber vorsichtig sein, weil ich mich nicht für wenige Monate auf eine aufrichtige Liebesbeziehung einlassen kann. Ich lachte viel, wenn er mir Komplimente machte und ging einen Schritt nach dem anderen. Irgendwann schliefen wir miteinander, relativ offen vor meinen albanischen Mitbewohnerinnen, eher heimlich vor seinen Eltern.

Zwischenevaluation: alles bestens

Zu Besuch in Deutschland lief ich Ostern mit Mari über die Felder, strahlte und erzählte das, was ich in den sechseinhalb Jahren zuvor noch nie in derartiger Intensität vorgebracht hatte. Sagte, dass er sich einfach wie der Richtige anfühle. Mari lachte mit, aber sie wollte Details hören – verständlicherweise.

Ich begann mit der Sprache. Da Orhan nur ein paar Bruchstücke Deutsch sprach, und mein Türkisch recht einfach gestrickt war, sprachen wir von Anfang an nur Englisch. Seltsamerweise schufen wir uns damit unsere eigene Welt. Wir redeten viel über Familie und Kinder und fanden das selber witzig, weil das vorher nicht so unser Ding gewesen war.

Ich habe bis heute keinen Moment erlebt, in denen ich mit Orhan an die Grenzen unsere Ausdrucksmöglichkeit stieß.

Ich habe bis heute keinen Moment erlebt, in denen ich mit Orhan an die Grenzen unsere Ausdrucksmöglichkeit stieß. Das ist seltsam, wenn man sich überlegt, dass wir uns ja tagtäglich in einer Sprachwelt begegneten, die nicht unsere Muttersprache war. Vielleicht vereinfachte das sogar manche Dinge. Eine Liebesbeziehung steht ja immer vor der Herausforderung, sich in der Außenwelt zu verankern und doch das einzigartige Verbindende zu behalten.

Die gemeinsame Basis

Zusammen propagierten er und ich einen bestimmten westlichen Lifestyle und eine liberale Lebenshaltung, schauten zusammen eine US-amerikanische Serie und manchmal brachten wir uns zum Lachen, in dem wir spontan Hits von Britney Spears oder Justin Timberlake rezitierten. Auch die Uni, an der wir beide studierten, wurde in den 60er Jahren von Amerikanern mitbegründet, sämtliche Lehrende hatten mehrjährige Aufenthalte in den USA absolviert. Seine Eltern hatten dort während des Studiums seines Vaters ein Jahr gelebt und auch seine Schwester ist dort zur Welt gekommen.

Ich denke, dass uns nicht bewusst war, dass wir trotz vieler Gemeinsamkeiten völlig unterschiedlich sozialisiert worden waren.

Rückblickend denke ich, dass uns in diesem geschützten Rahmen, und unter dem Einfluss der Hormone von Frischverliebten, einfach nicht bewusst war, dass wir trotz vieler Gemeinsamkeiten völlig unterschiedlich aufgewachsen und sozialisiert worden waren. Er in einem Land, in dem „Muslim“ in den Pass eingetragen wird, wenn man nicht explizit etwas anderes verlautet, ich in einem christlichen, europäischen Land.

Und die Familie?

Unsere Väter nahmen unsere Beziehung wohl am besten auf. Mein Vater fand Orhan von Beginn an sympathisch, vermutlich, weil er selbst einmal hatte Physik studieren wollen. Orhans Vater, selbst ein ziemlich weltoffener Typ Mensch, freute sich über politische Gespräche außerhalb des türkischen Radius. Aber die Mütter … Sicher, von außen gab man sich natürlich wohlwollend, dahinter nahm ich jedoch stets auch Skepsis und Besorgnis war. Man kann sich so tolerant geben, wie man möchte, wenn der eigene Sohn oder die eigene Tochter mit einem Partner eines anderen Kontinents auftaucht, entsteht der wirkliche Ernstfall.

Wir jonglierten, redeten, träumten, studierten, reisten und schliefen viel in dieser Zeit miteinander.

Für uns war es wirklich ein Frühling voller Blüten und Poesie. Einmal, als ich von einem Besuch und Arbeit an einem Dokumentarfilm in Deutschland zurückkehrte, empfing er mich mit einer Schnitzeljagd aus selbstgebastelten Origami Tieren. Wir jonglierten, redeten, träumten, studierten, reisten und schliefen viel in dieser Zeit miteinander.

Formale Hindernisse als Beziehungskiller

Aber irgendwann tauchten dann plötzlich die ersten Probleme auf. Es begann mit Schwierigkeiten bei meiner Aufenthaltsgenehmigung und den damit verbundenen Geldstrafen, die ich am Flughafen zahlen musste. Wir hatten einen Besuch in Deutschland für den Sommer geplant: 10 Tage, die wir an unterschiedlichen Orten in Deutschland mit verschiedenen Menschen aus meinem Familien- und Freundeskreis verbringen wollten. Die Hälfte dieser Zeit verbrachten wir damit, ein Visum für mich zu organisieren.

Eigentlich sollte das Liebespaar realisieren, dass es allen äußeren Schwierigkeiten trotzt und zusammenhält. Wir fühlten uns aber erschöpft vom Ankämpfen gegen formelle und kulturelle Barrieren.

Unter normalen Umständen wäre uns das nie geglückt, aber dank der Kontakte von Orhans Vater innerhalb der Regierung, bekamen wir einen Blitztermin bei der Botschaft in Hamburg. Eigentlich wäre das der Punkt gewesen, an dem das Liebespaar realisieren würde, dass es allen äußeren Schwierigkeiten trotzt und zusammenhält. Stattdessen fühlten wir uns ausgebrannt und erschöpft vom Ankämpfen gegen formelle und kulturelle Barrieren.

Was bleibt sind Fragen

Wir drehten dann noch zusammen im August meinen Dokumentarfilm zu Ende. Ich erhielt auch meine Aufenthaltsgenehmigung und im September verbrachten wir eine Zeltwoche unter freiem Himmel am Meer. Aber das war das Ende. Es folgten traurige Gespräche, viel Distanz voneinander und drei Monate Beziehungskrieg.

Wie viel Interkulturalität verträgt eine Beziehung?

Zurück bleiben meine Fragen: Wie viel Interkulturalität verträgt eine Beziehung? Wie stabil und sicher müssen beide ihr eigenes Leben haben, um nicht voneinander abhängig zu sein? Und ist eine Beziehung überhaupt möglich, wenn die Lebensmittelpunkte in unterschiedlichen Ländern liegen?

Was auf den ersten Blick wie ein unerschöpfliches Potential wirkte, entpuppt sich auf den zweiten Blick als erschöpfende kulturelle Barriere, welche die langfristige Stabilität und Gesundheit unserer Liebesbeziehung beeinträchtigte.

Lea ist 29 Jahre als und hat was mit ‚Wissenschaft‘ studiert (Umwelt & Bildung um genau zu sein) und liest im akademischen Kontext gerade viel zu ‚Tanz‘. Daneben meistert sie ein Pendlerleben zwischen Köln und Lüneburg und vermisst ihre Freunde aus Ankara. Zu ihren alltäglichen Fragen gehört: wieviel ‚unterwegs sein‘ verträgt ein Liebesleben?

HeaderfotoPablo Heimplatz via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

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