Als Pauline uns über den Erdgeschossbalkon in ihre Wohnung lässt, strahlt sie mit ihrer fünfjährigen Tochter Leonie* um die Wette. Die beiden sind freudig erregt bis aufgeregt (Leonie). Sie wissen, dass heute die beiden Frauen aus dem Internet kommen, Mama ganz viele Fragen stellen und es danach ein großes Fotoshooting geben wird. „Mama, wann machen wir denn endlich die Fotoooooosssss?“ Kinder sind die besten Menschen. Das mal vorab.
Pauline, 29, wird uns heute die intensive Geschichte ihrer Schwangerschaft erzählen. Dieses blonde elfenhafte Wesen macht auf den ersten Blick gar nicht den Eindruck, als wäre sie schon einmal durch den tiefsten Schmerz und zurück gegangen. Ist sie aber.
Bist du schwanger und brauchst Hilfe? Melde dich jederzeit, 24 Stunden täglich, beim Hilfetelefon Schwangere in Not (0800-4040020). Mehr zu dieser tollen Initiative findest du am Ende des Artikels.
Mit Anfang 20 lernt Pauline über gemeinsame Freunde den gleichaltrigen Max* kennen. Und lieben. Es funkt gewaltig. Einen Tag nach dem Kennenlernen zieht Max zum Studieren ins Rheinland, für die beiden kein Problem, sie schaffen sich von Anfang an ausreichend Freiräume, um füreinander da zu sein. Bis zur Schwangerschaft bewertet Pauline die Beziehung als harmonisch und liebevoll. „Wir hatten eine gute Zeit zusammen. Wir waren glücklich. Ich kann es nicht anders sagen.“
Sie waren füreinander nicht die erste große Beziehung im Leben. Das Thema Nähe und Vertrauen ist beiden durchaus bekannt. Nach einem Jahr sprechen sie ganz vage und entspannt über Kinder. Nichts Konkretes. Nur mal ganz dezent abklopfen, wie der andere das so findet. Beide wollen Kinder. Irgendwann. Schön. Das Thema wechseln sie schnell wieder. Sie sind ja noch jung und haben alle Zeit der Welt. Denken sie zumindest.
Beide wollen Kinder. Irgendwann. Sie sind ja noch jung und haben alle Zeit der Welt. Denken sie zumindest.
Nach knapp zwei Jahren Beziehung verträgt Pauline die Pille nicht mehr. Das Paar beschließt gemeinsam, auf eine natürliche Verhütungsmethode umzusteigen. Das machen Max und Pauline genau einen Monat. Dann ist sie schwanger. Sie merkt es, als sie mit Freunden im Restaurant sitzt und alle nach dem Essen einen Verdauungsschnaps trinken wollen. Normalerweise kippt sie Hochprozentiges locker weg.
Dieses Mal wird ihr allein beim Gedanken daran speiübel. Sie studiert selbst im fünften Semester und steht kurz vor einer der wichtigsten Prüfungen des Studiums. Nutzt ja nix. Sie holt sich einen Test, sieht das Ergebnis, ist schockiert und geht in den Verdrängungsmodus.
Max ist eh gerade im Rheinland, bei ihr steht diese Prüfung an, Ruhe bewahren. Sie sagt einfach niemandem Bescheid und will erst mal eine geile Performance an der Uni hinlegen. Wenige Tage später kommt Max übers Wochenende nach Hause. „Ich konnte ihm das nicht sagen. Ich hatte richtige Angst davor. Durch lautes Aussprechen wird es real.“ Das Thema ist ihr zu groß. Sie bekommt sofort das Gefühl, dass das alles ein Riesenproblem für ihn und mit ihm wird. Obwohl die Beziehung doch glücklich ist. Weibliche Intuition.
Ich konnte ihm das nicht sagen. Ich hatte richtige Angst davor. Durch lautes Aussprechen wird es real.
Sie beschließt innerhalb von Sekunden, das Kind zu behalten. Kurz bevor Max aus dem Rheinland ankommt, schreibt sie ihm einen Zettel („Ich bin schwanger.“), legt den Test dazu und geht in die Uni. Das Handy macht sie aus. „Ja, das war super uncool von mir. Ich hatte einfach so krasse Angst vor Ablehnung.“ Irgendwann schaltet sich ihr Gewissen ein und damit auch wieder ihr Handy. Er ruft schon seit Stunden an. Als sie rangeht, flippt er aus. „Ich hoffe, das ist ein Scherz, Pauline. Du kommst jetzt sofort nach Hause.“
Er merkt, dass es real ist. Sie kommt heim, es gibt kein Begrüßungsküsschen, kein Hallo und keine Umarmung. Max hat schon mal alles für einen Schwangerschaftsabbruch rausgesucht. Seine Entscheidung steht fest. Er will sofort mit ihr zu Pro Familia und eine Abtreibung in die Wege leiten. Ein Kind würde sein Leben versauen. Pauline weint. Sie kann nicht mehr aufhören. Seine Reaktion ist ihm zu viel und gibt ihr den Rest.
Danach kommt die Scham. „Wieso habe ich es nicht hinbekommen, ordentlich zu verhüten? Ist das wirklich alles meine Schuld?“ Enttäuscht ist sie weniger, denn Max‘ Wunsch ist glasklar formuliert. Er weicht nicht davon ab. Die Hoffnung stirbt trotzdem zuletzt: Wenn erst mal das kleine Herzchen schlägt, dann überlegt er es sich ja vielleicht anders. Die Botschaft muss erstmal bei ihm ankommen. Das wird schon.
Wenn erst mal das kleine Herzchen schlägt, dann überlegt er es sich ja vielleicht anders.
Paulines Eltern reagieren zu ihrer Überraschung mit ehrlicher Freude auf die Botschaft. Was für eine Erleichterung. Als sie ihrem Papa sagt, dass Max das Kind auf keinen Fall haben will, antwortet er wie der lässigste Mensch der Welt: „Egal, was passiert, dieses Kind wird hier mit Liebe aufgenommen. Wir ziehen das auch ohne ihn durch. Unsere Unterstützung hast du.“ Shoutout an Paulines Eltern: Ihr seid gut. Genau so was brauchen die eigenen Kinder, wenn sie in eine komplexe Situation geraten.
Max hingegen erzählt niemandem, dass Pauline schwanger ist. Das macht sie extrem traurig. Wenn er sich niemandem anvertraut, wird sich sein Wunsch nach Abtreibung vermutlich kaum ändern. Wenige Wochen vergehen und sie realisiert, dass Max die Situation nicht für voll nimmt. Als sie in der sechsten Woche schwanger ist, will er abends ein Weinchen mitbringen. Sie beginnt sich auf das Kind zu freuen, er verdrängt es offensichtlich. Noch sind sie so was wie zusammen, seine Sachen sind noch bei ihr in der Wohnung.
Pauline fordert ein, dass Max‘ endlich mit seinen Eltern spricht. Das ist ihm egal. Er sperrt ihre Nummer im Handy seiner Eltern, so gehen ihre Kontaktversuche an seinen Vater zunächst ins Leere. Die Eltern finden Pauline eh schon nicht ganz so spitze. Wenn sie sich eine Schwiegertochter backen dürften, wäre es garantiert eine andere. Als der Kontakt über Umwege endlich zustande kommt, sagt Max‘ Mutter zu ihr: „Wir können mit Dir sprechen, wir stehen aber zu 100 Prozent hinter unserem Sohn.“ – in einem Ton, der ihr den krassesten Schauer über den Rücken treibt.
Pauline fährt zu seiner Familie, um über ihre Schwangerschaft zu sprechen und erlebt die reinste Horror-Show. Max bleibt in der Küche sitzen („Der arme Junge!“), Pauline und seine Eltern diskutieren im Wohnzimmer. Sie erklärt ihre Situation, wie gerne sie das Kind bekommen möchte, mit Max als Vater. Die Mutter reagiert eiskalt: „Abtreibung ist doch nichts Schlimmes, das habe ich auch schon gemacht. Wenn Du nicht abreibst, erreichst Du nichts mehr in Deinem Leben.“ Die leistungsorientierte Familie von Max hat kein Verständnis dafür, wie sich eine 23-Jährige aktiv für ihr Baby entscheiden kann.
Abtreibung ist doch nichts Schlimmes. Wenn Du nicht abreibst, erreichst Du nichts mehr in Deinem Leben.
„Ich habe mich so missverstanden gefühlt. Sie als Mutter hätte doch anders reagieren müssen. Sie hat mir durchweg das Gefühl gegeben, dass ich der letzte Abschaum bin.“ Empathie muss Pauline sich woanders suchen. Ihr ist schon länger klar, wie abhängig der gleichaltrige Max von seinen Eltern ist. Die Abnabelung hat noch nicht stattgefunden. Die Meinung seiner Eltern wiegt definitiv schwerer als ihre. Sie gibt die Hoffnung trotzdem nicht auf. Wenn der erstmal den großen Kugelbauch sieht, dann …
Die beiden trennen sich. Max holt seine Sachen aus ihrer Wohnung und fängt an, Freunden zu erzählen, dass sie ihm das Kind untergejubelt hat. Nach der Trennung. Natürlich. Seine Aussage hält sich jahrelang. Erst viel später kommen einige gemeinsame Freunde wieder auf Pauline zu und gestehen, dass sie wissen, dass Max‘ Version der Schwangerschaft nicht stimmt. Immerhin ein bisschen Genugtuung.
Pauline ist also im zweiten Monat schwanger und Max verschwindet aus ihrem Leben. Sie sendet ihm ein Video vom pochenden Herzchen, er schreibt wortwörtlich: „Hast Du immer noch nicht kapiert, dass ich dieses Scheiß-Kind nicht haben will?“Auf die wenigen Nachrichten, die noch an ihn und seine Familie folgen, reagiert niemand mehr. Der Vater ihres Kindes ghostet sie. Er ist weg. Wirklich voll und ganz weg.
Die Schwangerschaft verläuft mittelmäßig gut. Pauline macht ihr Studium weiter, hat allerdings öfters starke Blutungen und muss ins Krankenhaus. Zum Glück ist es nichts lebensbedrohendes. Die werdende Mama ist erleichtert, dass das Baby bei ihr bleibt.
Sie sendet ihm ein Video vom pochenden Herzchen, er schreibt: ‚Hast Du immer noch nicht kapiert, dass ich dieses Scheiß-Kind nicht haben will?‘
Dinge, die andere als Paar erleben, macht Pauline alleine: Krankenhaus auswählen, Geburtstvorbereitungskurs besuchen, eine Hebamme finden. Da kommt das Schamgefühl wieder in ihr auf, sie fühlt sich wie die krasseste Außenseiterin. Ihr streichelt kein Partner zärtlich über den Bauch, niemand massiert die geschwollenen Füße und keiner knutscht sie von oben bis unten ab, wenn ihr alles zu anstrengend wird.
Sie freut sich so krass auf das Baby und empfindet die Schwangerschaft gleichzeitig als Makel. Andere fangen an, sie zu bemitleiden, was in ihr ein Gefühl des Versagens und von Wut auslöst. Wird sie als alleinerziehende Mutter abgehängt werden? Pauline beschließt: „Nein, ich bin kein Opfer. Diese Rolle steht mir nicht.“
Im Kreißsaal ist Paulines Mama mit dabei. Leonie wird gesund und ohne Komplikationen geboren. Sie informieren Max per SMS. Er reagiert nicht. Im ersten Jahr nach der Geburt war sie oft richtig sauer, besonders in den Momenten, wo sie vor Müdigkeit fast zusammengebrochen wäre. Wie geil wäre es jetzt, wenn jemand das weinende Baby trägt? Wenn mal jemand durch die dreckige Bude saugen, was Warmes zu Essen bringen würde?
Zwischendurch hat sie Mitleid. Max verpasst alles: Das erste Lächeln, das erste Wort, die ersten Schritte. Momente der allergrößten Herzensfreude. Ihr ist unklar, wie er bis heute erfolgreich verdrängen kann, dass er eine fünfjährige Tochter hat.
Max verpasst alles: Das erste Lächeln, das erste Wort, die ersten Schritte.
Während Pauline uns ihre Geschichte erzählt, wird klar, wie stark sie als Person ist. An keiner Stelle beleidigt sie ihren Exfreund. „Immerhin hat er von Anfang an gesagt, dass er nicht will. Er hat keine Versprechungen gemacht, die er dann nicht gehalten hat.“
Ihre Tochter Leonie weiß, dass sie einen Vater hat, der woanders lebt und zu dem es keinen Kontakt gibt. Pauline verheimlicht ihr nichts, lässt die schmerzhaften Details selbstredend aus. Sie bleibt im Sinne ihre Tochter dafür offen, dass sich der Vater irgendwann meldet und Kontakt sucht. Wenn dieser Kontakt eine Regelmäßigkeit hat und gewisse Grundsätze befolgt, wird Pauline eine Beziehung der beiden unterstützen.
Mittlerweile hat sie ihr Studium abgeschlossen, eine feste Arbeitsstelle und seit eineinhalb Jahren auch einen neuen Freund. Das war alles kein Spaziergang, dafür hat sie hart gearbeitet. „Man muss sich gut organisieren, dann bekommt man das auch alleine hin.“
Pauline ist – anders als von Max und seinen Eltern erwartet – keine gescheiterte Existenz. Sie hat eine wundervolle Tochter, zahlt Steuern und ist verliebt. Das Jugendamt überweist ihr regelmäßig den Unterhalt für Leonie. Ihre Eltern, ihre guten Freunde und der Vorteil als alleinerziehende Mutter (z. B. bei der Kita-Suche) haben ihr dabei geholfen, wieder auf die Beine zu kommen. Sie ist durch den Schmerz gegangen und auf der anderen Seite mit einem Lächeln wieder raus gekommen.
Pauline wünscht sich für andere werdende Mütter in ähnlichen Situationen, dass es mehr und übersichtlichere Hilfsangebote gibt.
Pauline wünscht sich für andere werdende Mütter in ihrer oder einer ähnlichen Situation, dass es mehr und übersichtlichere Hilfsangebote gibt. Ein Geburtsvorbereitungskurs für Alleinerziehende wäre zum Beispiel genial. Oder eine Übersichtsseite für alle relevanten Hilfestellen in der Umgebung. Pauline musste sich jedes Detail alleine zusammen suchen. Das war schon nervig. Ihre freien Kapatzitäten hätte sie gerne anders genutzt.
Die Anlaufstellen, bei denen sie Unterstützung bekam, waren allerdings spitze. Dort hat sie sich weniger alleine und als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft gefühlt. Das ist schön. Genau so soll es sein.
Wie praktisch, dass das Bundesfamilienministerium eine kostenlose 24-Stunden-Hilfe für Schwangere in Not eingerichtet hat. Alle werdenden Eltern – also Frauen und Männer – in problematischen Situationen können sich hier jederzeit per Telefon (0800-4040020) oder Online-Chat beraten lassen. In 18 Sprachen plus Gebärdensprache. Mega! Die Website www.schwanger-und-viele-fragen.de erklärt das alles ganz ausführlich.
Alle werdenden Eltern – also Frauen und Männer – in problematischen Situationen können sich jederzeit per Telefon, Online-Chat oder persönlich beraten lassen. In 18 Sprachen plus Gebärdensprache.
Wann ist eine Situation problematisch? Wenn Du sie so empfindest. Egal, ob Du im Streit mit Deinem*r Partner*in bist, keine Ahnung hast, wie Du ein Baby finanzieren sollst oder Dein Arbeitgeber dich rausschmeißen will: Melde Dich bitte jederzeit, sobald Deine Welt kopfsteht. Die Berater*innen hören Dir zu und stellen Dir das beste Hilfsangebot in Deiner Umgebung zusammen. Das Ganze passiert vertraulich und auf Wunsch komplett anonym.
Please tell all your friends: If you or your partner are pregnant and you feel overwhelmed because of financial problems, arguments or any other uncomfortable situation please contact 0800-4040020. It is free of charge and you can speak anonymously. The counselors of the German pregnancy advice will help you. Please click here to find more information in English.
Danke Pauline für Deine Offenheit, danke Leonie für Deine Gags. Ihr und Eure Geschichte geht uns ans Herz. <3
*Die Namen wurden zum Schutz der Beteiligten geändert
Anzeige: Wir danken außerdem dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die Zusammenarbeit. Das Ministerium hat die Produktionskosten dieses Artikels getragen. Eure Hilfe für Schwangere ist essenziell. Daumen hoch.
Liebe Pauline und im-gegenteil-team,
ich muss sagen – ich bin sprachlos.
Denn genauso ist meine Geschichte verlaufen und unsere Kinder tragen denselben Namen.
Ich fuehlte mich bis gerade eben sehr einsam, eben bis ich nach ghosting dad gegoogel und euren artikel dazu gefunden habe. Ich brauche Hilfe, ich brauche Austausch, kaum einer kann verstehen was ich durchlebt habe und durchlebe.
Liebes Team, koennt ihr Pauline meine Emailadresse geben und sie bitten, sich bei mir zu melden? ch wuerde so wahnsinnig gerne mich mit ihr unterhalten.
Ich habe in meinen 4 Jahren noch keine einzige Mama gefunden, die in der Schwangerschaft gehostet wurde. Das Thema ist (gott sei dank) furchtbar selten, aber auch sehr schwierig fuer Normal-Mamas.
Ich wuerde mich sehr freuen.
Vielen lieben Dank und allen einen unvergesslichen Sommer,
GLG Franziska
Liebe Franziska, ich hab deinen Kommentar an Pauline weitergeleitet. Ganz viel Kraft und Erfolg dir. <3
Hallo,
ich würde gerne mehr mitteilen. Wir sind seit 12 Jahren auf uns allein gestellt.
Beste Grüße Anja
Ich bin auch so eine „Pauline“ mit einem vater-unwilligen Ghoster, der sich gleich zu Beginn der Schwangerschaft in Luft aufgelöst hat. Nicht leicht und sehr kräftezehrend, diese insgesamt fünf Jahre als Alleinbegleiterin meines großartigen Sohnes. Umso mehr fühlt es sich seit Januar an, als wär ich zum zweiten Mal erstmals schwanger, so mit Mann dazu in freudiger Erwartung seines Kindes und liebevoller Kumpel meines Großen. Manchmal braucht das Glück einfach einen zweiten Anlauf 🙂