Und plötzlich geht gar nichts mehr. Mein Kopf will und mein Körper bleibt wie ein bockiger Esel einfach stehen – demonstrativ böser Blick inklusive. Ich ziehe und zerre, ich bettele und flehe. Einmal stemme ich mich noch mit letzter Kraft in das Seil, aber nö!
Das Wort »Esel« ist nicht zufällig gewählt. Vor zwei Jahren habe ich mit meiner Familie einen Ausflug in die Eifel zum »Eselwandern« gemacht, kein Scherz. Entschleunigen und so. Da war ganz schnell klar, wer hier am längeren Hebel sitzt. Ich weiß, was es bedeutet, beim Spazieren gehen die Kontrolle abzugeben. Für zwei Stunden ist es ja ganz witzig, mal keinerlei Einfluss auf Tempo oder Pausen zu haben. Aber wenn ich dann abends nach Hause fahre, möchte ich sie bitteschön gerne wieder haben.
Ich weiß, was es bedeutet, die Kontrolle abzugeben. Für zwei Stunden ist es ja ganz witzig. Aber wenn ich dann abends nach Hause fahre, möchte ich sie bitte gerne wieder haben.
Tja. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Früher hat doch immer alles mit einer guten Portion Selbstdisziplin und Ehrgeiz geklappt! Ein bisschen angestrengt, ein bisschen Mühe gegeben und etwas Gutes ist dabei rum gekommen.
Und jetzt? Jetzt knallen Glaubenssätze auf einen Organismus im Streik. Denn so fühlt es sich tatsächlich an: Als ob mein Körper seinen Kooperationsvertrag aufgekündigt hat.
Ich fühle mich nicht nur ein bisschen bestraft und verraten. Bin beleidigt. Beschimpfe ihn und seine Schwäche.
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ – JA, AM ARSCH!
Da ist plötzlich ganz viel Wut. Rot und heiß und wild. Nur: Wohin mit all dieser brodelnden Energie, wenn die Kraft fehlt, sie in eine bestimmte Richtung zu lenken?
Wohin mit all dieser brodelnden Energie, wenn die Kraft fehlt, sie in eine bestimmte Richtung zu lenken?
In meiner Hilflosigkeit schiebt sich etwas anderes dazwischen. Mit großem Getöse rollt die Panik durch meinen Geist und lässt mich mit schwirrenden Gedanken und Herzklopfen im Bauch zurück.
Wie soll ich jetzt das Drehbuch für den Abschlussfilm schreiben? Was ist mit dem Praktikum im Sommer? Warum fühle ich mich nach dem Aufwachen nie erholt? What the fuck is happening?
Und als wäre das nicht schon Gefühlsapokalypse genug, gesellt sich jetzt auch noch etwas Anderes hinzu. Es klebt an mir wie altes Kaugummi unterm Schuh, das man einfach nicht loswird und bei jedem Schritt unter der Sohle spürt. Du bist schwach und nichtsnutzig, flüstert die Scham mir ins Ohr. Was kannst du eigentlich? Alle kriegen ihr Leben auf die Reihe, also warum brauchst du wieder ne Extrawurst?
Was kannst du eigentlich? Alle kriegen ihr Leben auf die Reihe, also warum brauchst du wieder ne Extrawurst?
Eigentlich muss ich mich nicht wundern. All die Jahre hab ich mein Selbst auf meinen Leistungen und Erfolgen aufgebaut. Wer bin ich denn, wenn nicht das, was ich leiste und erschaffe?
Ja, das hab ich mich dann irgendwann auch gefragt, als in meinem Alltag das Tun wegfiel und damit in logischer Konsequenz die gewohnten Ergebnisse ausblieben. Wenn plötzlich Kochen zum Highlight des Tages wird oder das höchste der Gefühle eintritt, wenn ich es mit dem Hund zum Kacken in den Wald schaffe, dann wird alten Definitionen kurz, aber schmerzhaft, der Prozess gemacht.
Vor kurzem hat mich mein Freund gefragt, was in meinem Leben mein bisher größter Erfolg gewesen ist. Basic Stuff halt, den man so fragt, wenn man sich abends auf der Couch trifft.
Was ist denn eigentlich Erfolg? Von diesem riesigen inflationär genutzten Begriff mal abgesehen.
Tja, da saß ich nun und hab ganz schön lange überlegt. Was ist denn eigentlich Erfolg? Von diesem riesigen inflationär genutzten Begriff mal abgesehen.
Ich hätte jetzt mein Einser-Abi oder mein Studium aufzählen können. Typische, akademische Meilensteine halt, für die man von Omi früher 20 Euro mit einem Augenzwinkern zugesteckt bekommen hat. Das erste Mal, als ein Text von mir publiziert worden ist. Oder das Überleben meines Auslandsjahres in der 11. Klasse.
Und was hab ich geantwortet?
„Als ich mal Nein gesagt und auf die Erwartungen der Anderen geschissen habe.“
Whoops! Da war ich kurz minimal selbst perplex. Klingt schon wahnsinnig banal, aber hat sich wirklich ganz und gar nicht übel angefühlt. Bitte mehr davon!
Mittlerweile stehe ich immer noch gefühlt am Spielfeldrand – mehr Zuschauerin als Teilnehmerin.
Mittlerweile stehe ich immer noch gefühlt am Spielfeldrand – mehr Zuschauerin als Teilnehmerin.
Aber das ist okay. Ich nutze die neu gewonnene Freiheit jetzt dafür, mich wirklich mal mit mir selbst auseinander zu setzen (oder zumindest so zu tun). Genügend Zeit habe ich ja. Das klappt mal mehr, mal weniger gut, aber Fakt ist: Wenn die Gesundheit den Bach runter geht, fühlt man sich ganz schnell mit der Frage konfrontiert, was eigentlich wirklich zählt.
Und auf einmal ist es ganz leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden. Mich daran zu erinnern und meinen Kurs sanft anzugleichen oder ihn gar neu auszurichten – darauf kommt es gerade an. Und das macht ganz viel Lust auf das Morgen.
Headerfoto: Joseph Rosales via Unsplash.com. („Wahrheit-oder-Licht“-Button hinzugefügt, Bild gespiegelt.) Danke dafür.