Performance-Kunst und Bundestagswahl – die Happy Few machen’s möglich mit einem Theater-Projekt. Ungefragt und manchmal auch ungewollt treten sie auf Wahlveranstaltungen zwischen DIE LINKE und der AfD auf. Ihr Ziel: Menschen dazu bewegen, an ihre politische Kraft zu glauben.
Die Happy Few sind ein Kollektiv des Freien Theaters. Ein Teil der Performance-Künstler hat sich während des Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe zusammen gefunden. 2010 traten sie erstmals unter dem heutigen Namen auf. Mit jedem Projekt stießen weitere Mitlieder hinzu. Passend zur Bundestagswahl zeigt das Theaterkollektiv nun eine neue Performance: Agitprop für alle!
Agitprop versteht sich als Kunstwort aus den Worten Agitation und Propaganda. Das Wort stammte einst aus der kommunistischen Werbung und stand in Zeiten Lenins dafür, die Massen zu revolutionärem Handeln zu bewegen. Salber Williams, Patrick Schneider und der Rest der Theatergruppe haben es auf heute umgemünzt. Vor der Bundestagswahl sollen die Menschen wachgerüttelt werden, wieder an das „Unmögliche“ zu glauben, und sie sollen vor allem eines: sich politisch beteiligen.
Um der Theatergruppe zu begegnen, muss man keineswegs eine Theaterkarte kaufen, sondern viel im öffentlichen Raum unterwegs sein – in Museen, Bierzelten, Villen oder auf Straßenfesten. Besonders gerne taucht das Kollektiv bei Wahlveranstaltungen der großen Parteien von DIE LINKE bis zur AfD auf – spontan, ungefragt und ohne offizieller Programmpunkt der Wahlveranstaltungen zu sein. Für mich sind sie aber glücklicherweise angekündigt und geplant zum Interview auf einer Berliner Parkbank erschienen.
Was führt ihr eigentlich genau auf?
Patrick: „Eine Art Intervention – wir erscheinen oft etwa 20 Minuten vor dem offiziellen Beginn einer Wahlveranstaltung und dann springen wir aus unserem Tourbus, tanzen, spielen, singen und ich tue so, als wäre ich der Assistent von Angela Merkel, Sahra Wagenknecht oder wer auch immer dort als Politikerin oder Politiker später sprechen wird. Wir eignen uns den politischen Raum an und füllen ihn mit unserer Form von Theater, das zum Nachdenken anregt. Wir bieten sozusagen eine weitere Option an, Dinge zu sehen, die dort sonst nicht wären.“ (Wie das genau ausschaut, seht ihr in diesem Video.)
Und dann werfen die Leute mit faulen Tomaten?
Patrick: „Es gibt alle möglichen Nuancen von Emotionen, positive und negative. Manche Menschen sind irritiert und abwehrend, andere fühlen sich direkt angesprochen, möchten sich einmischen und diskutieren mit uns während des Auftritts. Wir können und wollen unseren Auftritt nicht kontrollieren. Die Herausforderung ist also, Theater ohne den Schutz der Bühne zu spielen und Kunst ungefragt zu machen, denn normalerweise entscheidet ja das Publikum, wo und wann es Theater und Kunst sieht. Aber es ist nun mal Agitprop für alle, und für alle heißt auch für jene, die sich nicht dazu entschieden haben, in ein Theater oder in ein Kunstmuseum gehen.“
Was ist eigentlich dieses „Unmögliche“, von dem die Menschen wieder träumen sollen?
Patrick: „Die Utopie – also die beste aller Welten. Wenn es dort regnet, regnet es Honig in süßen Tropfen. Vögel fliegen gebraten durch der Luft. Geld kann man von den Bäumen schütteln wie Kastanien.“ (Grinst.)
Ah ja!
Patrick: „Nicht ganz, also konkret sind das solche Ideen wie Solidarität in der Welt auf politischer und ökonomischer Ebene. Eine Maßnahme, an die wir denken, ist zum Beispiel die Abschaffung aller Schulden weltweit.“
Ein kleines Gedankenexperiment: Du hast jetzt das Wort und darfst es an Leute richten, die sagen, „egal, was ich tue, es verändert sich ja eh nichts in der Welt“.
Patrick: „Erstens, schau Dir unsere Performance an, und zweitens, sei du selbst die Veränderung, die du dir von der Welt wünschst.“
Salber: „It’s not enough to desire a better world, you have to create it“! (Salber versteht Deutsch, spricht aber sehr viel besser Englisch.)
Und für diese Message reist ihr umher – ist das eine Art schlechtbezahlter Job?
Salber: (Lacht laut auf.) „It’s not a kind of job. A job is something you leave when you go home – but this feels more like it has to be done. But yes, we don’t earn any money. Everything we do is donation-based.“
Wenn du das erzählst, hört es sich fast ein bisschen nach Herzensbedürfnis oder Bestimmung an …
Salber: „How I came to meet Happy Few was a work of chance really! I briefly met Corinne at a volunteer meeting at another theatre in July, and then a couple of weeks later we ended up next to one another in the ticket line at the Martin-Gropius-Bau museum! It was crazy. We got to talking and the project came up. They were looking for an actor and it turned out I was an actor, so I met with the rest of the group later in July and it was great, and the rest is history. If you really want something, it tends to happen.“ (Grinst.)
Wenn ihr Menschen zur politische Partizipation aufrufen wollt, wie wichtig ist es für euch, wählen zu gehen?
Patrick: „Wenn man nicht wählen geht, überlässt man die Stimme denen, die man sich wahrscheinlich am wenigsten gewünscht hätte. Wählen zu gehen heißt auch, dass man das Feld nicht anderen überlässt – auch wenn man hinter keiner Partei steht. Das kleine Übel ist besser als ein großes Übel.“
Ganz ehrlich, seid ihr bei allen Wahlveranstaltungen, ob AfD oder DIE LINKE, gleich gerne?
Patrick: „Absolut. Wir wollen Menschen dazu bewegen, an ihre politische Kraft zu glauben. Die Parteien unterscheiden sich zwar, aber vom utopischen Standpunkt aus sind ihre Vorschläge allesamt zu klein gedacht. Wahlen und Parteien sind nur ein kleiner Teil. Bei Wahlen werden Verantwortungen delegiert. Unser Agitprop steht aber für Selbstermächtigung und direkte Partizipation.“
Und wie könnte diese aussehen?
Patrick: „Im Grunde wollen wir Menschen dazu ermuntern zu sehen, dass sie mit ihrem ganzen Tun Dinge zum Besseren verändern können. Im Großen und im Kleinen. Wir, innerhalb der Theatergruppe, verändern schon Dynamiken, indem wir versuchen, Hierarchien unter uns zu reduzieren, Solidarität zu entwickeln, zu lernen und dann vorwärts zu gehen.“
Salber: „For me that means being productive and happy, feeling as valuable as the next person and recognizing this value in the other.“
Also jetzt mal Hand aufs Herz: Wo würdet ihr euch politisch einordnen?
Patrick: „Also wenn du unbedingt was hören willst – wir sind so was wie eine libertäre Graswurzelbewegung.“ (Lacht.)
Was meint ihr: Welche soziale Gruppe scheut besonders die politische Partizipation?
Patrick: „Ich denke, Menschen mit Migrationshintergrund, denen das Land fremd bleibt und die sich entfremdet fühlen.“
Was war die herausforderndste Situation, die ihr erlebt habt während eures Auftritts?
Patrick: „Bei einem Auftritt in Berlin bei DIE LINKE war es der Veranstalter und das BKA, die uns nicht spielen lassen wollten und entgegen der Kunstfreiheit den öffentlichen Raum für sich reklamiert haben. Zuerst hat der Veranstalter seine Jazz-Band angewiesen, über uns drüber zu spielen. Und als die Musiker uns zuliebe aufhörten, ist das BKA eingeschritten.“
Salber: „There are countless challenges. One of the main ones lies in the nature of this work – performing in the public space where we’re not really expected, nor really … wanted? Or I’d say, initially not wanted. But once people realize that we don’t mean any harm – quite the opposite actually – a lot stay to listen. And there are some beautiful moments. We never know how it’s going to go, we can never predict what will happen because no performance is the same, no group of spectators is the same, and with us being on tour, no space is the same.“
Wann habt ihr das Gefühl, erfolgreich gewesen zu sein?
Patrick: „Wenn wir zu Ende spielen können, ohne dass das BKA kommt und die Performance auflöst.“ (Alle lachen.)
Fotos: Pauline Fabry.
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