Die Utopie von #plasticfree

Umweltprobleme um marine Vermüllung und Mikroplastik sind inzwischen vielen von uns präsent. Wer Inspiration zu einem Alltag ohne Plastik(verpackungen) sucht, wird schnell fündig. Wenige Klicks im Browserfenster entfernt offenbaren sich Interessierten Erfahrungsberichte, #zerowaste-Tricks und Tutorials und Vorbilder für einen solchen Lebenswandel.

#plasticfree ist eine Utopie

Ich lasse mal vorab die Bombe platzen: Für mich ist #plasticfree eine Utopie. #Plasticfree – ein Konzept, das für den Einzelnen unter Umständen machbar ist, für die Masse erscheint es mir hingegen unbequem bis unmöglich umzusetzen.

Ein plastikfreier Konsumstil bedeutet heute Verzicht. Verzicht auf Produkte und Services, die in Plastik verpackt daherkommen. Auf Bio-Obst und -Gemüse aus dem Supermarkt, wenn ich es mal nicht auf den Wochenmarkt schaffe. Auf die Lebensmittellieferung, die mir Zeit und Nerven spart. Auf (Natur)Kosmetikprodukte, die für eine lange Haltbarkeit und Wirkung ein besonderes Maß an Verpackungsschutz benötigen. Auf den spontan gekauften Schokoriegel an der Supermarktkasse.

Die Beispiele zeigen die Mühseligkeit eines gänzlichen Verzichts auf Plastik für mich persönlich auf, aber auch die Unvereinbarkeit mit unserem aktuellen Rechts- und Wirtschaftssystem. Mit gesetzlichen Regularien zur Lebensmittelhygiene zum Beispiel, die das In-Kontakt-Kommen von konventionell angebautem und Biogemüse verbieten und deshalb Plastikverpackungen für letztere vorschreiben.

Unvereinbar: Hier-und-Jetzt-Verfügbarkeit und #plasticfree

Insbesondere hinderlich ist die Art und Weise, wie wir Produkte heute beziehen. Wir sind an Hier-und-jetzt-Verfügbarkeit eines globalen Produktangebots gewöhnt. Aus diesen Ansprüchen ergibt sich häufig eine grundsätzliche Verpackungsnotwendigkeit. Die Anforderungen an Performance und Preis der Verpackungsart wiederum kann oft nur Plastik erfüllen.

Aus umweltethischer Perspektive ist #noplastic ebenfalls kein einhelliger Lösungsansatz: Plastikfolien und Behältnisse sind gegenüber anderen Verpackungsmaterialien leichter und sparen CO2 beim Transport. Ob ein Material eine bessere Ökobilanz als ein anderes hat, kann letztlich aber auch nicht per se attestiert werden, sondern nur produktbezogen. Es bleibt einzig festzustellen: Weniger Verpackung ist ökologischer als viel Verpackung. Womit wir wieder bei der Problematik globaler Märkte wären, die den Plastikbedarf im Verpackungsbereich befeuern.

Eine Frage der Motivation

#Plasticfree-Kämpfer*innen zitieren nun gerne das Beispiel der eigenen (Ur)Großmutter, die doch auch selbst Gemüse zog, Überschuss einweckte, immer frisch und saisonal kochte und Hausmittelchen für Schön- und Gesundheit für den Eigenbedarf herstellte.

Aus meiner jetzigen Perspektive würde ich behaupten, dass dieser Aufwand als Single-Haushalt noch zu bewältigen sei. Wie sich das zusätzliche Zeitaufkommen allerdings mit Kind(ern) und Berufstätigkeit beider Eltern vereinbaren lassen soll, entzieht sich meinem logistischen Verständnis.

Aus der zeitlichen Aufwandsaufrechnung ausgelassen sind zudem weitere Aktivitäten, die wir heute zahlreich, zwecks des Gefühls der Selbstverwirklichung verfolgen. Man muss also aktiv gewillt sein, den beschrieben DIY-Aufwand zu einer alltäglichen Priorität (Hobby) zu machen.

Eine solche intrinsische Motivation scheint mir ein stark umweltzentriertes Werteverständnis vorauszusetzen, welches aktuell mehrheitlich nicht existiert (tat es das je?) und das zu etablieren eine umfangreiche Verankerung von Umweltschutz in den Pädagogikkonzepten und Lehrplänen sowie zahlreiche weitere Maßnahmen fordern würde.

The bigger picture: Größer als individuelle Konsumentscheidungen

Mit dem Publizieren auf Nicetohave Mag habe ich mich verschrieben, das ohnehin wacklige Konstrukt eines umweltbewussten, ethischen Konsums zu fördern. Je mehr ich allerdings über Konsum und Wirtschaftsprozesse in Theorie und Praxis lerne, frage ich mich: Sind umweltschonender Konsum und faire und ökologische Produktion von Gütern mit einer globalen Marktwirtschaft vereinbar? Braucht es insgesamt statt kleiner Schritte zu einer „besseren“ Wirtschaftsweise nicht doch einen grundsätzlichen Umstoß unserer wachstumsgetriebenen, globalen Wirtschaft, um in Dingen Umweltschutz tatsächlich voran zu kommen? „Back to the roots“ zu regionalen Märkten? Wie sollte dieser Umstoß zustande kommen?

Und wäre dies dann ein fortschrittlicher Rückschritt oder nur Rückschritt? Immerhin hat der Kurs des Wirtschaftswachstum nicht nur Wegwerfmentalität gefördert, sondern auch anderen Wertewandel. Einen Verzicht auf die Gleichstellung von Mann und Frau, so folgere ich als VWL-Laie, kann sich eine wachstumsgetriebene Wirtschaftsstrategie kaum leisten.

Vielleicht sind auch moderne Technologien, wie sie in Tech-und-Cyber-Thrillern beschrieben und antizipiert werden, der Schlüssel zu allem? Brauchen wir vielleicht einfach nur Entsorgungs- und Verwertungssysteme, die besser funktionieren? Höhere Recyclingquoten? Geschlossene Stoffkreisläufe, die halten, was sie versprechen?

Spätestens jetzt beginne ich zu grübeln, mir Szenarien auszumalen und vages Für und Wider abzuwägen. Zu einem Schluss komme ich nicht. Außer, dass wir dringend (weiter)diskutieren müssen. Tbc.

Headerfoto: Utopische Frau via Shutterstock.com. („Heal the World“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

Agnes Pauline und Julia-Maria sind die beiden Gründerinnen hinter dem Blog NICETOHAVE MAG. Der Name ist Programm! Denn hier berichten sie über all die tollen Mode, Beauty, Interior und Lifestyle Nicetohaves, die das Leben noch ein wenig schöner machen. Wie sich all das Schöne mit Nachhaltigkeit, Zerowaste und Fair Fashion vereinbaren lässt? Auf Instagram geben sie täglich Anstöße, wie es gelingen kann, vegan, plastikfrei und nachhaltig zu leben, zu konsumieren oder zu reisen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder erhobenen Zeigefinger, sondern: Green, fair and fun!

1 Comment

  • hey mädels, klasse topic! Habt ihr es mal selbst versucht einen Monat (nicht nur ein paar Tage) ohne plastik zu konsumieren. Es geht! und ist auch nicht sooooo unmöglich! Ja ich gebe zu, Verzicht spielt eine GROSSE Rolle! Ist es jetzt langfristig für mich wichtiger den Schokoriegel noch schnell reinzudrücken oder in Zukunft Urlaub mit meiner Family und Freunden an sauberen Stränden zu verbringen? Wir, in Europa sehen den Müll nicht tagtäglich vor unserer Nase, in anderen Ländern ist es jedoch unvermeidlich geworden! No Plastic oder #plasticfree soll awareness kreieren! Und ich stimme 100% zu, dass es schon heute notwendig ist zu handeln. Wir leben in einer absoluten überfluss Gesellschaft, bequem und sicher.. dafür sollten wir der Natur danken und unseren part leisten weniger oder kein plastic müll beizutragen.. es ist nicht so schwer, denn andere schaffen es ja auch!

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